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Vermutungen statt Wissen

Qualitätskontrollen von Therapien mittels klinischer Versuche sind auf dem Rückzug
Von Peter Markl

Vor zwei Wochen ging eine Meldung durch die Weltpresse, die unter ein deprimierendes Kapitel der Medizin einen vorläufigen Schlusspunkt setzt. Werner Bezwoda,
Onkologe an der Universität von Witwatersrand in Johannesburg, gestand, Daten gefälscht zu haben, welche die bislang am besten gestützten Indizien für die Wirksamkeit einer Methode zu sein schienen,
mit denen man das Leben von Patientinnen mit Brustkrebs in fortgeschrittenem Stadium zu verlängern hoffte · der Kombination einer aggressiven Chemotherapie mit einer Knochenmark-Transplantation.
Deprimierend ist die neue Entwicklung nicht nur wegen der enttäuschten Hoffnungen der Patientinnen, sondern auch wegen der fortwirkenden Randbedingungen im Medizingeschäft, welche so lange nicht
fundierte Hoffnungen am Leben erhalten und Fortschritte in der wissenschaftlichen Medizin immer schwieriger machen.

Dr. Bezworda hatte seine Daten letzten Mai auf dem Treffen der Amerikanischen Vereinigung für klinische Onkologie in Atlanta präsentiert, wo sie schon deshalb Aufsehen erregten, weil die aus den
Daten gezogenen Schlüsse vier anderen dort präsentierten Studien zum gleichen Thema widersprachen: nur Dr. Bezworda hatte gefunden, dass eine Kombination von Knochenmark-Transplantation und
aggressiver Chemotherapie Patientinnen länger überleben ließ, als die Patientinnen einer Kontrollgruppe, welche eine konventionelle Chemotherapie auf sich genommen hatten. Es war diese Diskrepanz,
welche eine Gruppe amerikanischer Krebsspezialisten skeptisch bleiben ließ: sie schlugen vor, diese für die Patientinnen sehr belastende Therapie nicht weiter einzusetzen, bevor eine unabhängige
Gruppe von Experten die Daten in Johannesburg eingehend geprüft hätten. Jetzt, nachdem eine solche Gruppe das Johannesburger Forschungslabor besucht hat, ist klar: Dr. Bezworda konnte zu seinen
ermutigenden Schlüssen nur kommen, weil er einen Vergleich angestellt hatte, der methodisch falsch war. Was er verglich, war unvergleichlich: man hatte bei der Kontrollgruppe eine andere
Chemotherapie angewandt als bei der Gruppe, an der zusätzlich noch eine Knochenmark-Transplantation vorgenommen worden war.

Der klinische Versuch in Johannesburg, bei dem nur 154 Patientinnen behandelt worden waren, ist natürlich nicht der einzige Versuch dazu, mehr Klarheit über die Wirksamkeit dieser Therapiemethode zu
schaffen. Bisher wurden vier weitere Versuche abgeschlossen · zwei große Versuche in Europa und zwei große Versuche in den USA, bei denen insgesamt 2.000 Patientinnen, methodisch einwandfrei nach dem
Zufallsprinzip in eine behandelte Gruppe und eine Kontrollgruppe eingeteilt, teilgenommen hatten. Bei keinem dieser Versuche hat man bisher einen zwischen beiden Gruppen signifikanten Unterschied in
der Überlebenszeit gefunden.

Die Problemsituation ist damit klar: es gibt zurzeit keinen wissenschaftlich haltbaren Beleg dafür, dass die Kombination einer Knochenmark-Transplantation mit einer aggressiven Chemotherapie das
Leben der Patientinnen verlängert. Die Aussicht darauf, dass sich das durch die Resultate weiter laufender klinischer Versuche ändert, ist nach Ansicht nicht weniger Experten klein: wenn sich in
diesen klinischen Versuchen bisher eine Lebensverlängerung nicht finden ließ, dann kann sie nur so klein sein, dass es fraglich ist, ob sie die Leiden einer intensiven Chemotherapie rechtfertigen
kann. Natürlich gibt es noch Einwände gegen die bisher vorliegenden Resultate: da man das Schicksal der Patientinnen über lange Zeit verfolgen muss, um einen Unterscheid ausmachen zu können, haben
sich mittlerweile auch die Methoden der Chemotherapie geändert, so dass die verbesserten Methoden in analogen Versuchen besser abschneiden könnten. Viele Experten zögern daher, wenn es gilt, ein
endgültiges Urteil zu fällen. Sie halten die Frage noch für offen.

Patientennot als Geldquelle

Auf der anderen Seite aber gibt es kein Zögern. Ein vor kurzem in der „New York Times" erschienener Artikel enthielt die Daten für die USA: 1989 wurden dort 271 Brustkrebspatientinnen
registriert, die eine Knochenmark-Transplantation auf sich genommen hatten, 1997 waren es bereits 2.853 Patientinnen. In den letzten 10 Jahren waren es in den USA allein etwa 15.000 Patientinnen. Da
diese Register, die aus freiwilligen Meldungen gespeist werden, nur etwa die Hälfte dieser Patientinnen erfassen, haben sich bisher in den USA an die 30.000 Brustkrebspatientinnen einer Knochenmark-
Transplantation unterzogen.

In den späten Achtzigerjahren haben profitorientierte private Organisationen die Not dieser Patientinnen als Geldquelle entdeckt. Ein Beispiel dafür ist die Firma „Response Oncology", welche als eine
der ersten 1989 begann, die Behandlung im Rahmen eines „klinischen Versuchsprogramms" anzubieten und damit 1998 einen großen Teil ihrer Einkünfte von 128 Mill. Dollar erzielte. Es wäre jedoch falsch,
hier nur auf die rein privaten Firmen hinzuweisen · seit den frühen Neunzigerjahren bietet fast jedes größere medizinische Zentrum in den USA seinen Brustkrebspatienten ein Knochenmark-
Transplantationsprogramm an. Auch an manchen akademischen Medizinzentren begann man, die gesamte Arbeit der Krebsabteilungen aus dem zu finanzieren, was man an den Transplantationspatientinnen
verdienen konnte. Man wirbt daher um die Patientinnen · mit Billigpreisen, besserer Versorgung, schöneren Klinikaufenthalten.

Alles das wäre wahrscheinlich nicht möglich, wenn die Frauen nicht so verzweifelt und die Grundidee nicht bestechend einfach wäre. Wenn eine relativ milde konventionelle Chemotherapie immer wieder
versagt, dann deshalb, weil die Medikamente in niedriger Dosis nicht alle Krebszellen erfassen konnten. Man vermutete daher, dass eine höhere Dosis die Erfolgswahrscheinlichkeit steigern würde. Bei
einer derart aggressiven Chemotherapie wären allerdings auch die Nebenwirkungen nicht mehr hinnehmbar · die hohe Dosis würde die Zellen des Knochenmarks und damit das Immunsystem zerstören. Man
gewinnt daher vor der Chemotherapie Knochenmark-Stammzellen oder rote Blutkörperchen der Patientinnen, die man nach der Chemotherapie wieder in den Körper einbringt · alles in der Hoffnung, dass die
Knochenmark-Zellen das Immunsystem der Patientin wieder hinreichend wirksam werden lassen, bevor die immunologisch wehrlose Patientin einer Infektion zum Opfer fällt.

Etwas Ähnliches hat sich in der Vergangenheit bewährt, allerdings nur für einen Krebs des Knochenmarks selbst, wenn das Knochenmark durch jenes eines Knochenmarkspenders ersetzt wurde. Es war daher
eine wagemutige Vermutung, dass eine ähnliche Methode auch bei Brustkrebspatientinnen vorteilhaft sein könnte. Obwohl bisher nicht gezeigt werden konnte, dass die Methode auch bei diesen Patientinnen
Vorteile bringt, ist man jetzt mancherorts dazu übergegangen, Knochenmark-Transplantationen auch Patienten anzubieten, die an Eierstockkrebs oder Hirntumoren leiden.

Was die Experten stört, ist nicht so sehr der Schritt in therapeutisches Neuland, sondern die unkontrollierte Art, in der er um des Profits willen vorgenommen wurde. Von den etwa 30.000 Patientinnen
in den USA haben nur etwa 1.000 an wissenschaftlich geplanten klinischen Versuchen teilgenommen. Den meisten anderen hatte man zwar gesagt, dass sie an einem „klinischen Versuchsprogramm" teilnehmen
würden, aber „klinischer Versuch" hieß dabei nur, dass die Kliniken sich klar waren, dass es sich um eine in ihrer Wirksamkeit nicht geprüfte Methode handeln würde. Man bot den Patientinnen die neue
Therapie an, auch wenn man keine Ahnung hatte, ob die den Patientinnen als letzte Hoffnung propagierte Methode nicht schlechter war als die herkömmlichen Therapiemethoden. Die Kliniken wollten dafür
jedenfalls nicht haftbar gemacht werden. Die Leiden der etwa 29.000 Patientinnen, die in keinem systematischen klinischen Versuch erfasst wurden, spiegeln sich bestenfalls in berührenden
anekdotischen Erzählungen im Reklamematerial der Kliniken wider.

Therapien nicht kontrolliert

Jetzt, wo immer wahrscheinlicher wird, dass die anfangs so plausibel scheinende Methode nichts bringt, steigt die Bitterkeit unter den Wissenschaftlern: „In fünfzig Jahren", so konstatiert
Larry Norton, Abteilungsleiter am weltberühmten „Memorial Sloan Kettering-Krebs-Institut" in New York, „werden wir mit Schreck auf diese Zeit zurückblicken und uns fragen, wie das geschehen
konnte."

Die Antwort darauf ist nicht so schwierig. Es ist nur möglich, weil bei Therapieverfahren erlaubt ist, was bei Medikamenten durch Gesetze untersagt wurde: Therapien dürfen vermarktet werden, bevor
ihre Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist, bei Medikamenten ist das verboten. Gerade bei den Therapien, welche Menschen in dramatischen Situationen zu helfen versprechen, ist es jedoch sehr
schwierig, für wissenschaftlich einwandfreie klinische Versuche genügend Patienten zu finden. Die Patienten müssen dazu ja vorher darüber informiert werden, dass sie an einem klinischen Versuch
teilnehmen, mit dem eine viel versprechende, aber eben noch unerprobte Therapiemethode getestet werden soll. Die unter großen emotionalen Druck stehenden, verzweifelnden Patienten lehnen ·
verständlicherweise · dieses neue Risiko immer häufiger ab und vertrauen sich Medizinern an, welche alternative Methoden anpreisen, ohne zu erwähnen, dass sie für die Wirksamkeit ihrer Methode nichts
zu bieten haben, was einem wissenschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit auch nur nahe kommt · oft genügt die Persönlichkeit des Arztes, wenn er nur überzeugende Anekdoten erzählt.

Das fatale Ergebnis dieser Problemsituation ist, dass auch die an den Instituten der naturwissenschaftlichen Medizin angebotenen Therapieverfahren immer schwieriger in ernsthaften klinischen
Versuchen getestet werden können, so dass eine Grauzone der Ungewissheit entsteht, in der man für eine Therapie nicht mehr anführen kann, dass sie wissenschaftlich nicht unplausibel ist und es einige
Indizien für ihre Wirksamkeit gibt. Das hat · dem Urteil der Kliniker nach · bereits jetzt zu einer deutlichen Verlangsamung bei der Suche nach effektiveren Krebstherapien geführt.

Wie wirksam eine durch rasch durchgeführte, methodisch einwandfreie klinische Versuche geleitete Verbesserung der Chemotherapie sein kann, belegt die Krebstherapie von Leukämie bei Kindern. Es
gelingt heute, 75 bis 80 Prozent der erkrankten Kinder zu heilen · ein Erfolg, den manche zu den Wundern der wissenschaftlichen Medizin zählen. Dabei war eine Koordination der klinischen Tests ganz
entscheidend. Es sind jedoch nicht klinische Versuche, sondern die Methoden der alternativen Medizin, die heute immer populärer werden · und die werden nur selten kritisch geprüft, obwohl zum
Beispiel in den USA politischer Druck dazu geführt hat, dass für eine solche Prüfung Geld zur Verfügung stünde, wie ein Editorial im „New England Journal of Medicine" ausführte.

Das 1992 gegründete National Institute of Health Office of Alternative Medicine hat nach schwierigen Manövern 1993 einschlägige 30 Forschungsprojekte gefördert, von denen 5 Jahre später als
Schlussberichte nur 28 Kurzzusammenfassungen vorgelegt worden waren. Aus diesen 28 Endberichten entstanden letztlich nur 9 wissenschaftliche Arbeiten, von denen allerdings 5 in zwei
Wissenschaftszeitschriften veröffentlicht wurden, deren Qualität zu fragwürdig war, um in die 3.500 Wissenschaftszeitschriften eingereiht zu werden, welche der Medline on-line-
Informationsdienst erfasst. Damit bleiben nur mehr vier wissenschaftliche Arbeiten von ernsthaft diskutierbarem Niveau, von denen keine einzige über einen klinischen Versuch berichtete, „der
irgendeinen Schluss über die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode möglich macht".

Welche emotionalen Vorteile die alternativen Methoden für verzweifelte Patienten auch bieten, allein dass sie angeboten werden, lässt die Grauzone wachsen, in der wissenschaftliche Mediziner und
alternative Mediziner arbeiten müssen · die Zahl der Methoden, die wissenschaftlich und daher methodisch einwandfrei bewertet wurden, sinkt. Als man die Wirksamkeit der Knochenmark-Transplantation
kombiniert mit einer Chemotherapie für Krebs der Eierstöcke in einem klinischen Versuch testen wollte, mussten die Kliniker in den USA resignieren: zweieinhalb Jahre lang suchten sie an über hundert
Spitälern 285 Frauen, die bereit wären, an dem klinischen Versuch teilzunehmen · gefunden haben sie 25. Zu wenig, um aussagekräftige Resultate möglich zu machen. Den Klinikern bleibt damit vorderhand
nur die Resignation.

Literatur:

Denise Grady: Breast Cancer Researcher Admits Falsifying Data. New York Times 5. Februar 2000.

Gina Kotola, Kurt Eichenwald: Health Business Thrives in Unproven Treatment, Leaving Science Behind, New York Times 2. Oktober 1999.

Editorial: Alternative Medicine · The Risks of Untested and Unregulated Remedies, New England Journal of Medicine, 17. September 1998.

Freitag, 18. Februar 2000

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