Nach dem Pisa-Schock wurden ständig neue Unterrichtsmethoden entwickelt. Der Druck auf Lehrer zur Fortbildung steigt daher, aber die Angebote sind rar. Nun drängen auch verstärkt Schulbuchverlage in den Markt.
Mathematikunterricht in der Klasse 3a. Lena hat die Rechenaufgaben schon gelöst und dreht gelangweilt an ihren Haaren. Max hat keine Lust zu dividieren und piekst seinen Tischnachbarn mit dem Bleistift. Berkan starrt verzweifelt abwechselnd auf sein Schulheft und seine Lehrerin, er weiß nicht weiter. Alltag in einer deutschen Schule.
In den Klassenzimmern sitzen mehr als zwei Dutzend Kinder, der eine schlau, der andere schwach, der eine hyperaktiv, der andere schweigsam. Doch den Umgang mit unterschiedlich begabten Kindern lernen Lehrer nicht im Studium. Ein Problem, das durch Leistungsvergleiche wie die in dieser Woche veröffentlichten Studien Tims (Trends in International Mathematics and Science) und Iglu (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) deutlich wurde.
Es wird getestet und verglichen, "aber keiner erklärt hinterher den Lehrern, wie sie mit den Ergebnissen umgehen sollen", sagt der Leiter des Dortmunder Instituts für Schulentwicklungsforschung, Wilfried Bos, er ist auch verantwortlich für die Iglu-Studie. "Wir müssen dringend neue Module zur Lehrerfortbildung erarbeiten: Wie geht man mit Individualisierung um? Wie funktioniert eine gescheite Binnendifferenzierung?" Jedenfalls nicht, wenn der Lehrer nur vorn an der Tafel steht und doziert.
Die Anforderungen an Lehrer sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Nach dem schlechten Abschneiden deutscher Schüler bei der ersten Pisa-Studie 2001 werden ständig neue Bildungsstandards definiert und neue Unterrichtsmethoden entwickelt, um Kinder stärker individuell zu fördern und die Leistungen zu verbessern. Der Bedarf an Fortbildung ist daher riesig. Doch an den staatlichen Instituten gibt es nicht genügend Seminare, und die, die es gibt, sind oft veraltet. "Die Versorgung war nie gut, und sie ist noch schlechter geworden", sagt Marianne Demmer, stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
"Die Qualität schwankt enorm", bestätigt der Hamburger Gymnasiallehrer Marko Stazic. Lehrerfortbildungen sollen möglichst preiswert sein und auch nicht zulasten des Unterrichts gehen. In Hamburg sind Lehrer immerhin verpflichtet, sich mindestens 30 Stunden im Jahr weiterzubilden, aber sie müssen einige Seminare selbst bezahlen.
Eine Gymnasiallehrerin aus dem Bergischen Land, die ihren Namen nicht nennen möchte, erzählt, dass sie an ihrer Schule die IT-Systeme betreut, obwohl sie von Computern nicht viel versteht. "In jeder Firma in der freien Wirtschaft würde ich für den Job geschult werden", sagt sie. An der Schule nicht. Manchmal fehlt der Wille, oft jedoch das richtige Angebot. Marianne Demmer sieht deutliche Anzeichen dafür, dass der Staat sich immer mehr aus der Lehrerfortbildung zurückzieht.
In diese Lücke stoßen nun verstärkt private Anbieter, allen voran die Schulbuchverlage. Allein der Klett Verlag, Marktführer in Deutschland, lädt jedes Jahr zu durchschnittlich 1800 Veranstaltungen ein. Wenn sich in einem Bundesland beispielsweise die Lehrpläne für die Grundschulen ändern und deshalb neue Schulbücher aufgelegt werden, zeigen Verlagsmitarbeiter den Lehrern, wie sie die neuen Unterrichtsinhalte mit dem hauseigenen Sortiment vermitteln können. "Natürlich wollen wir die Bücher verkaufen", sagt Gabriela Carmanns, Klett-Gebietsleiterin für Nord- und Ostdeutschland.
Seit der ersten Pisa-Studie haben fast alle Schulbuchverlage ihr Veranstaltungsangebot deutlich erweitert - und sich damit schon fast unentbehrlich gemacht: Wenn von einem Tag auf den anderen die privaten Angebote wegfielen, wäre das "eine Katastrophe für die Lehrerfortbildung", sagt der Bundesvorsitzende des Lehrerverbands Bildung und Erziehung (VBE), Ludwig Eckinger. Das, was Verlage und Verbände anbieten würden, sei "sehr hilfreich".
Klett bietet viele Seminare zum Nulltarif an. Finanziell lohnt sich das nicht, die Kurse werden subventioniert aus dem Marketingetat. Denn Fortbildungen sind für die Verlage vor allem eins: ein Marketinginstrument für ihre Schulbücher. Damit das dann aber nicht wie eine Werbeveranstaltung wirkt, kooperieren die Verlage teilweise mit staatlichen Fortbildungsinstituten. Allerdings hätten manche Institute noch sehr große Berührungsängste, mit privaten Anbietern zu kooperieren, sagt Carmanns.
Neben gebührenfreien Veranstaltungen gehen die Verlage zunehmend auch mit kostenpflichtigen Seminaren in den Markt. Vorreiter auf diesem Gebiet ist der Cornelsen Verlag, der eine eigene Fortbildungsakademie gegründet hat. Gut 100 Euro pro Person kosten eineinhalbtägige Kurse.
Pädagogische Verkaufsschlager im vergangenen Jahr waren genau die Themen, die Schulforscher Bos auch für die staatlichen Institute dringend anmahnt: Differenzieren im Unterricht und individuelle Förderpläne. Stark nachgefragt waren auch Schulentwicklung, Stimmtraining und Elterngespräche. Alternativ können die Schulen auch interne Veranstaltungen fürs komplette Kollegium buchen, Kosten etwa 1500 Euro pro Tagung.
Die Preise sind nur deshalb so niedrig, weil die Verlage auch hier für jeden einzelnen Teilnehmer Geld zuschießen. "Deshalb sind die Fortbildungen für uns auch kein eigentliches Geschäftsfeld", sagt Wolf-Rüdiger Feldmann, Geschäftsführer für den Bereich Marketing bei Cornelsen. Vorrangig geht es darum, die Schulbücher zu vermarkten.
Die Chance, verstärkt in den Fortbildungsmarkt einzusteigen, eröffnet sich den privaten Anbietern durch veränderte Schulgesetze. Beispiel Nordrhein-Westfalen: Hier gilt seit 2005 das Prinzip der "eigenverantwortlichen Schule". Dazu zählt ein selbstständig verwaltetes Fortbildungsbudget, pro Lehrkraft und Jahr 45 Euro. Insgesamt gibt NRW in diesem Jahr 8 Mio. Euro für Fortbildungen direkt an die Schulen, 2005 waren es nur 4,8 Mio. Euro. Das Ziel sei die Öffnung des Weiterbildungsmarkts, sagt Paul Eschbach, Referatsleiter für Lehrerfortbildung im NRW-Schulministerium. Schulleiter sollen selbst dafür Sorge tragen, dass ihre Mitarbeiter sich fortbilden. Die Idee, das an die Schulen zu delegieren, findet auch die Lehrerin aus dem Bergischen Land sinnvoll: "Aber es ist fraglich, ob 45 Euro ausreichen."
In Hessen, wo Lehrer laut Schulgesetz Fortbildungspunkte sammeln müssen, gibt es nur einen Zuschuss von jährlich 40 Euro pro Lehrer. Das Budget müsse auf 300 Euro aufgestockt werden, fordert GEW-Landeschef Jochen Nagel: "Das Land sollte sich ein Beispiel an großen Firmen nehmen, die wenigstens fünf bis sieben Prozent ihres Personalkostenbudgets investieren."
FTD.de, 11.12.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: dpa
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