Die Kolumne von Wäis Kiani.


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Kolumne

Wäis Kiani in bester Gesellschaft: Der Schatz vom Zürichberg

von Wäis Kiani

Neulich, es war einer dieser perfekten Oktobertage mit wolkenlosem Himmel, güldener Blätterpracht und idealer Herbstwaldtapetenstimmung, hatte ich mich mit meiner Freundin Angela auf der Dachterrasse des Grieder Kaufhauses in Zürich verabredet.

ZUM THEMA

Ich möchte vielleicht noch schnell erwähnen, dass diese Dachterrasse einer der kaum vorhandenen Plätze in der Zürcher Innenstadt ist, wo man nachmittags gepflegt abhängen kann. Aber nur bei schönem Wetter, denn drinnen sitzen immer viele Mütter mit Kinderwagen wie mittlerweile überall auf der Welt.

Jedenfalls, ich saß da so in meiner neuen Herbstgarderobe mit meiner edlen Freundin Angela, trank Eistee, starrte auf ihre goldene Rolex und suchte verzweifelt nach einem Gesprächsthema. Ich mag Angela, obwohl oder vielleicht auch weil sie in dieser Welt lebt, die mich total langweilt, mir eigentlich sogar zuwider ist. Aber eigentlich ist sie ihr auch zuwider, sie traut sich nur noch nicht, dazu zu stehen. Angela hat einen uralten, superreichen Mann, eine Wohnung in Sankt Moritz, ein Haus in Saint-Tropez, nose and boob job done und jede Menge Schönheitschirurgen und Bankiersgattinnen im Freundeskreis. Trotzdem ist sie extrem in Ordnung. Nur an diesem Nachmittag fiel mir kein passendes Thema ein. Alles, was in meinem Leben momentan eine Rolle spielte, hatte keine Besprechung mit Angela verdient. Die Scheidung von Guy und Madonna stand ganz oben auf meiner Themenliste, gefolgt von dem rührenden Inhalt der letzten SMS von meinem neuen Mr X. Ich wollte sie nicht mit meiner pubertären Seite langweilen. Mitten ins Schweigen hinein sagte sie plötzlich: "Die Finanzkrise macht einen wirklich fertig."

Kaum gehört, war ich einige Sekunden lang wie gelähmt. Sie hatte es echt gesagt. Wenn ich es gesagt hätte, wäre es ein Superwitz gewesen, aber sie meinte es ernst. Ich sah sie an, sie wirkte besorgt und genervt. "Hast du etwa Geld verloren?" Sie nickte empört: ALLE haben Geld verloren. Ich lachte sie an: Ich nicht! Hahahahaha. Denn ich hab natürlich gar kein Geld, das ich verlieren könnte. Statt Immobilienfonds hatte ich mir gerade ein Paar hautenge Lederleggings von Givenchy gekauft. Sie jammerte, wie lang sie für das verlorene Geld arbeiten muss.

Ich schüttelte den Kopf. Und dann erklärte ich ihr in aller Ruhe, dass man doch nicht sein Geld irgendwelchen Pennern gibt, die bei der Bank arbeiten. Dass ich bei den Dingen, von denen ich was verstehe, sehe, was andere davon verstehen: nichts. Dass Versager die Welt regieren und ich mich nicht mal einem Agenten anvertrauen würde wie die meisten Kollegen, weil der Agent natürlich ebenfalls ein Vollidiot ist und kontrolliert werden muss. Ich sagte ihr, man solle besser nicht auf unkontrollierbare Größen wie Fonds, Aktien oder sonstige Anlagen setzen. Denn dazu müsse man tagtäglich die wirtschaftlichen Entwicklungen auf der ganzen Welt verfolgen und interpretieren. Dass man sich nie, jedenfalls nicht in den wichtigen Dingen des Lebens, auf andere verlassen darf. Dass es außerdem ganz natürlich ist, dass solche Dinge passieren, weil die Menschen seit ein paar Jahrzehnten nur noch am Nehmen sind und sich nicht den kleinsten Gedanken darüber machen, wofür sie eigentlich auf der Welt sind. Dass sie die Erde zerstören und damit immer weitermachen aus reiner Habgier und reinem Materialismus. Dass wir zu viele auf der Erde sind und sie total überfordern und sie uns das mit Tsunamis und anderen Katastrophen heimzahlt, bis der Haushalt der Natur wieder zu seinem Recht kommt. Man könne nicht immer nur nehmen und MEHR wollen, ohne etwas zu geben, sagte ich Angela. Und dass ich es völlig in Ordnung finde, wenn auf der ganzen Welt viele Menschen sehr viel Geld verlieren. Dass mir der Dax shitegal ist, weil ich gar nicht weiß, was das ist.

Ich predigte und predigte. Wir hätten auf der Welt echt andere Probleme als ein paar Millionen Millionäre mit weniger Geld. Die Chinesen zum Beispiel sind damit beschäftigt, die Welt in Windeseile zu zerfressen, und alle anderen machen mit, weil sie auch noch Geld daran verdienen wollen. Dass ich vielleicht die Einzige bin, die ihren Fernseher während der Olympiade kein einziges Mal eingeschaltet hat. Dass ich es unaussprechlich finde, dass man so einem miesen, autoritären System auch noch die Ehre der Olympiade erweist, statt mit Sanktionen zu reagieren. Dass die chinesische Regierung die Bauern, die auf den Inseln leben, im Landesinneren in Plattenbuden zusammenpfercht, wo sie ihre Schweine auf Betonböden halten müssen, damit an der Küste schön viel Platz für Hotelbunker ist, wie sie doch schon genug auf Gran Canaria stehen.

Dann schimpfte ich noch ein wenig auf Russland und kam zum Schluss meiner Rede: Ich würde, wenn ich Geld hätte, nie darauf hören, was mir so ein Bankwichser erzählt. Ich würde es in einen Louboutin-Schuhkarton stopfen und mit einem Gummiband drum oben bei mir auf dem Zürichberg im Wald verscharren.

Angela sah mich nachdenklich an. Dann riss sie die Augen auf und sagte: "Louboutin? Du hast ja sooo recht, das ist wirklich das Beste. Genauso werde ich es machen!"

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FTD.de, 11.12.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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