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Nahrungsmittelerzeugung mit und ohne Gentechnik
Koexistenz und Wahlfreiheit
- ein Spiel mit verdeckten Karten
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Verbraucher und Landwirte sollen auch in
Zukunft zwischen Produkten mit und ohne Gentechnik wählen
können. Diese "Wahlfreiheit" wollen alle - doch selten wird offen
gelegt, was darunter konkret verstanden wird.
Bis auf kleinere Flächen in Spanien
werden in der EU keine
gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut. Seit 1998
sind keine Zulassungen erteilt worden. Dennoch
wird derzeit heftig darum gestritten, ob in Zukunft
eine Landwirtschaft, die gentechnisch veränderte
Pflanzen nutzen, und
eine, die ausdrücklich darauf verzichten will,
nebeneinander bestehen können - ohne die Wahlfreiheit
zu gefährden.
Das Problem: Die
strikte, absolute Trennung der beiden
landwirtschaftliche Konzepte ist unter natürlichen
Bedingungen kaum möglich. Wenn Pflanzen blühen, wird
Pollen verbreitet. Bei der Ernte und Verarbeitung sind
Vermischungen nicht völlig auszuschließen oder zu
verhindern. Vor diesem
Hintergrund wird Wahlfreiheit unterschiedlich
ausgelegt.
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Umwelt- und Teile der Verbraucherverbände verstehen
unter Wahlfreiheit, dass auch in Zukunft Lebensmittel
erzeugt werden können, die absolut frei von
nachweisbaren GVO-Anteilen sind.
Eine entsprechende Kennzeichnung soll die
Verbraucher selbst auf minimale GVO-Spuren hinweisen.
Eine rechtsverbindliche
Garantie auf eine 100%ige GVO-Freiheit wird niemand
abgeben können, wenn in einer Region gv-Pflanzen
derselben Kulturart freigesetzt oder angebaut werden. Wenn Wahlfreiheit bedeutet,
dass es absolut GVO-freie Produkte geben muss, dann ist
eine Koexistenz zwischen einer Landwirtschaft mit und
ohne Gentechnik nicht möglich. Folglich haben vor
allem jene Verbände die Nulltoleranz auf ihre Fahnen geschrieben,
welche die Grüne Gentechnik grundsätzlich ablehnen.
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Auch Industrie, Handel, Bauernverband, sowie einige
Gewerkschaften plädieren für Wahlfreiheit. Sie
verstehen darunter, dass es Produkte auf dem Markt geben soll,
die unter Anwendung der Gentechnik erzeugt werden, und
solche, bei denen bewusst auf diese Technologie
verzichtet wird.
Hier bezieht sich
Wahlfreiheit auf Produkte, die mit oder ohne eine
gezielte Anwendung der Gentechnik erzeugt wurden, nicht auf einen absoluten Ausschluss
jeglicher GVO-Spuren. Dieses Verständnis von
Wahlfreiheit erfordert es, eine
Grenze zwischen gezielter Anwendung und ungewollter,
zufälliger "Verunreinigung" zu definieren. Dazu ist
es notwendig, Schwellenwerte für tolerierbare
GVO-Spuren festzulegen.
Schwellenwerte: Entscheidung über Koexistenz.
Um die Höhe dieser Schwellenwerte - sowohl im Saatgut,
wie bei Lebensmitteln - wird heftig gestritten.
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Die Gentechnik-Gegner wollen einen Schwellenwert
von 0 oder 0,1%, der technischen Nachweisgrenze.
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Verbände aus Handel und Industrie sowie
einige Gewerkschaften haben unterschiedliche Vorstellungen. In
einem gemeinsamen Thesenpapier wird kein konkreter Wert genannt.
Einig ist man, dass er "praktikabel" sein soll.
Künftig gilt für Lebens- und Futtermittel ein Schwellenwert
von 0,9%, bis zu dem zufällige, technisch
unvermeidbare GVO-Beimischungen ohne
Kennzeichnung toleriert werden.
Noch etwas komplizierter liegt die Sache bei
Saatgut. Bisher gibt es keine besonderen
Gentechnik-Vorschriften. Künftig will die
EU-Kommission einen je nach Pflanzenart
gestaffelten Schwellenwert von 0,3 - 0,7%
tolerieren. Die Saatgut-Schwellenwerte sind so
berechnet, dass die aus den jeweiligen Pflanzen
erzeugten Produkte unter dem
Kennzeichnungs-Schwellenwert von 0,9% bleiben.
Um Saatgut-Schwellenwerte wird heftig
gestritten. Pflanzenzüchter fordern
mindestens 1%, Umwelt- und Ökoverbände
0,1%. Sie sehen die "Reinheit des
Saatguts" gefährdet.
Die Auseinandersetzung um die Höhe der
Schwellenwerte wird auch deshalb so erbittert
geführt, weil damit indirekt über
die Bedingungen entschieden, unter denen eine
Nutzung der Grünen Gentechnik möglich wird.
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Je niedriger der Schwellenwert ist, um so
aufwändiger und kostspieliger werden die Maßnahmen,
welche die Landwirte zu seiner Einhaltung ergreifen
müssen: etwa die Einhaltung von Abstandsflächen, abgestimmte Aussaattermine
und Fruchtfolgen, Säuberung von Ernte- und
Verarbeitungsmaschinen.
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Schwellenwerte nahe an der 0%-Grenze sind in einer
kleinteiligen Landwirtschaft mit unabhängigen Betrieben
nicht finanzierbar.
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Bleibt es etwa bei den Schwellenwerten, wie sie die
Kommission vorschlägt, sind diese bei Einhaltung
bestimmter Regeln grundsätzlich
erreichbar, auch wenn es zu einem Anbau von gv-Pflanzen
kommen sollte. Die jeweils erforderlichen Maßnahmen
unterscheiden sich je nach Pflanzenart und
Anbaubedingungen (etwa Größe der Betriebe, Zuschnitt
der Felder).
Mit der Höhe des Schwellenwerts wird auch über
die Höhe der Kosten entschieden, die
aufzubringen ist, wenn es Koexistenz einer
Landwirtschaft mit und ohne Gentechnik geben
sollte. Nur - wer zahlt dafür? Und wer haftet, wenn
ein Produkt wegen überschreiten des
Schwellenwerts gekennzeichnet werden muss und
Markteinbussen erleidet? Auch jenseits der
Entscheidung über die Höhe des Schwellenwerts sind noch viele Fragen ungelöst.
Nulltoleranz: Nicht einzuhalten. Dennoch: zum Schwellenwert-Konzept gibt es keine
Alternative.
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Auch wenn die die Grüne Gentechnik in Europa nicht zur
praktischen Anwendung kommt - aus der Welt schaffen kann man sie
nicht. Derzeit werden auf etwa 67 Mio. ha weltweit gv-Pflanzen angebaut - Tendenz steigend. Europa kann
sich gegen die internationalen Agrarmärkte nicht
abschotten.
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Schon jetzt sind in vielen mais- und sojahaltigen
Lebensmitteln GVO-Spuren nachweisbar - selbst bei Öko-
und anderen Produkten, deren Hersteller sich um
gentechnik-freie Vorprodukte bemühen. Ein sehr
niedriger Schwellenwert wird dazu führen, dass
Produkte, die ohne Gentechnik erzeugt wurden,
gekennzeichnet werden müssen. Die Konsumenten
können nicht mehr zwischen bewusster
Gentechnik-Anwendung und unvermeidbaren Spuren
unterscheiden.
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Unerwünschte Stoffe in Lebensmitteln sind nichts
grundsätzlich Neues. So ist im ökologischen Landbau
zwar das Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln
verboten, dennoch sind diese in Öko-Produkten
nachweisbar.
In der Natur gibt es kein "Null Prozent". Ökosysteme sind offen;
ein Verfrachten und Austausch von Genen und biologischem
Material - über Pollenflug und Gentransfer - ist nicht
zu unterbinden. Allerdings: Gene vermischen sich nicht
nach Belieben. Einzelne Pollen fliegen zwar weit, aber
schon wenige Meter neben einem Feld mit gv-Mais und
-Raps sinkt die Zahl der Auskreuzungen auf konventionelle
Sorten drastisch.
Verschiedene Studien zeigen, dass es
durchaus möglich ist, Vermischungen zwischen
GVO- und konventionellen Produkten so weit zu
minimieren, um auch in Zukunft eine Wahlfreiheit
zu gewährleisten - als Entscheidung der
Konsumenten, ob sie Produkte kaufen wollen, die
mit oder unter Ausschluss gentechnischer
Anwendungen erzeugt wurden.
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