Donnerstag, 22. Jänner 2009 | Schriftgröße: AAA

» Registrieren / Anmelden

Deine, meine, UNSERE

Patchwork: Eine Familie kann auch unter zwei Dächern harmonieren. Entscheidend sind Organisation und Geduld. Tipps vom KURIER Family-Coach.

Familie Neue Vater-Rolle: Martin Schuhbeck mit Freundin Susi und deren Kindern Daniel und Paula. DruckenSendenLeserbrief
Patchwork – das klingt lässiger und moderner als die ungeliebte "Stieffamilie". Der Begriff ist jedoch weit entfernt von einer modischen Erscheinung.

Reinhard Sieder, Professor für Soziologie an der Uni Wien sowie Autor von "Patchworks – das Familienleben getrennter Eltern und ihrer Kinder" (erschienen bei Klett Cotta, 2008, um 30,40 €) schätzt, dass ein Viertel bis ein Drittel aller Kinder einmal in ihrer Kindheit eine Zeit in einer Patchworkfamilie verbringt.

"Das Mama-Papa-Kind-Modell ist längst nicht mehr die einzige Form von Familienleben", sagt Sieder. Darin sieht er jedoch keinen Niedergang, sondern den Ausdruck der Flexibilisierung unserer Lebensweise. "So wie immer weniger Menschen mit einem 40-Stunden-Kollektivvertrag und starker Gewerkschaft im Rücken arbeiten, so lebt nur ein Bruchteil der Bevölkerung in der Normalfamilie." Ein Gesetz, das solchen Lebensgemeinschaften mehr Rechte bringen sollte und für 1. Jänner 2009 geplant war, ist jedoch der Regierungsumbildung zum Opfer gefallen.

Immer mehr Menschen verlieben sich vier, fünf Mal in ihrem Leben, sagt Sieder. "Der Auftrag lautet: Trenne dich, wenn die Beziehung dich kaputt macht. Denn man kann sich auch auf eine Weise trennen, die das Leiden der Kinder sehr in Grenzen hält." Wie? "Man bildet zwei Familien aus – bei der Mutter und beim Vater."

Mehr Impulse

Das bringe sogar Vorteile. "Früher hieß es: 'Nur eine Familie ist normal, alles andere schadet.' Das ist ein Schmarren. Wir wissen aus Untersuchungen, dass Kinder sich an das Pendeln gewöhnen. Je strikter sich die Eltern einigen, desto besser."

In der Differenz liegt die Kraft. "Der Papa ist sportlicher, die Mama-Familie musikalischer. Daraus beziehen die Kinder Impulse für soziales und emotionales Lernen."

Zudem wird auf diese Weise die Qualität der väterlichen Elternarbeit intensiviert. "Plötzlich ist auch der Vater für Kochen, Waschen und Schulaufgaben zuständig, er kann die unangenehmen Dinge nicht mehr an die Mutter delegieren."

Probleme entstünden laut Sieder nur dort, wo versucht werde, die frühere Familie zu ersetzen.

Hier einige Regeln:
Liebe: Überfordern Sie sich nicht, weil Sie glauben, Sie müssten die Kinder Ihres Partners lieben, nur weil Sie Ihren Partner lieben. Die Liebe kann entstehen, muss aber nicht. Streben Sie eine bilaterale Freundschaft zu dem Kind an.
Pflichten: Verlangen Sie nicht von Ihrem neuen Partner, ein Elternteil zu sein. Ihr Kind hat bereits einen Vater und eine Mutter.
Entscheidungen: Zwingen Sie Ihr Kind nicht, sich zwischen Vater und Mutter zu entscheiden. Ein Loyalitätskonflikt wäre die Folge.
Zuhause: Ein Zwei-Zuhause-Modell intensiviert die Bindung zu beiden Elternteilen. Eine Woche beim Papa, eine Woche bei der Mama wäre das Optimum.


"Freundin gesucht, Familie bekommen"

Martin" sagen sie zu ihm, "Ersatzpapa" sagen sie über ihn.
Seit fünfeinhalb Jahren haben Paula (7) und Daniel (9) zwei Mamas und zwei Papas. So erzählen sie es zumindest in der Schule. Der eine, ihr leiblicher Vater, hat mittlerweile eine neue Familie; der andere heißt Martin Schuhbeck, ist 35 Jahre alt und Unternehmer.

"Ich habe eine Freundin gesucht und gleich eine ganze Familie bekommen", sagt er. Die Umstellung war anfangs schwer. Von der zweigeschoßigen Single-Wohnung ins Reihenhaus südlich von Wien, von Metallica und Iron Maiden zu Lego und Playmobil. "Aber als ich mir sicher war, dass ich diese Frau liebe, habe ich mich darauf eingelassen."
Langsam wurden auch die Kinder darauf vorbereitet, dass die Mama einen neuen Freund hat. Immer öfter kam er zu Besuch, doch Übernachten blieb lange ein Tabu.
Nach einem halben Jahr wagten Martin und Freundin Susi den Schritt und zogen zusammen. "Am Anfang habe ich von den Kindern oft gehört: 'Du hast mir nichts zu sagen, du bist nicht mein Vater'", erzählt er.
Es hat ein Jahr gedauert, bis sich die neue Familie zusammengerauft hat. "Jetzt sind wir ein Team, jeder hat seine Aufgaben."

Alles anders

Martin Schuhbecks Leben hat sich mit einem Schlag geändert. Die Freizeit, die Hobbys, die Urlaube, alles. Eine (Patchwork)-Familie zu haben, das heißt, Verantwortung zu tragen und eine Vaterrolle übernehmen zu müssen. "Ich sage jedem: 'Das ist meine Familie, das sind meine Kinder.' Absolut."
Gleichzeitig heißt es aber auch, keine Rechte zu haben. "Ich darf nicht einmal zum Eltern-Sprechtag gehen. Das stört mich, weil ich die Kinder auch erziehe. Aber gesetzlich werde ich von allen Problemen ausgeschlossen."

Jedes zweite Wochenende verbringen Paula und Daniel bei ihrem Vater und dessen neuer Frau. Das Verhältnis ist gut, auch zwischen den Ex-Partnern. Paula und Daniel würden sich wünschen, dass auch ihre Mutter und Martin – der selbst schon einmal geschieden ist – heiraten. "Damit wir noch ein Geschwisterchen kriegen", sagen sie.
Aber genau das will ihre Mutter nicht mehr. Leider, sagt Martin, der gerne leibliche Kinder hätte: "Das ist der Nachteil, wenn man eine fertige Familie kriegt."

Artikel vom 10.01.2009 18:14 | KURIER | Niki Nussbaumer, Paulina Szmydke

Nachrichten

Thema: Family-Coach





Werbung