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Starke Meinungen

Von Walter Klier

Wie wir ja auch aus der österreichischen Politik wissen, muss man auch einmal laut und deutlich sagen, wenn es einem reicht. Eben das tut auch Richard Wagner in einem gleichnamigen Essayband ("Es reicht. Gegen den Ausverkauf unserer Werte." Aufbau Verlag 2008, 163 S.). Dem Autor reicht vor allem die mausige, verdruckste Art, mit der das einst so selbstgewisse, stolze Europa heute auf die Provokation durch den islamischen Fundamentalismus antwortet, d. h. vielmehr nicht antwortet, sondern das Problem mithilfe windelweicher Formulierungen auszusitzen hofft. "So schlimm wird es schon nicht kommen." Wagner gehört zu jenen, die der Ansicht sind, dass es sehr wohl schlimm kommen wird, wenn wir nicht aufpassen, zumal es ja in den letzten Jahren, angefangen mit der Todesdrohung gegen Salman Rushdie, schon häufig ziemlich schlimm gekommen ist.

Auch wenn man die islamistische Bedrohung weniger dramatisch einschätzt und die europäische Gesellschaft für nicht ganz so dekadent hält wie der Autor, wird man dessen Betrachtungen höchst anregend finden: "Jede Zeit hat ihre eigenen, um nicht zu sagen eigenartigen Kriterien zur Einschätzung von Gefahren. Die unsere, die häufig genug von Hysterien heimgesucht wird, hat eines der Hauptübel im Rauchen ausgemacht . . . Unauffällig machen sich auf der Harmlosfolie der Erlebnisgesellschaft die Tabuisierung und das Verbot breit. Das wichtigste Instrument des neuen Autoritarismus ist die Political Correctness. Sie verwaltet den Index der Wiedergutmacher. Diese verpflichten uns zur Friedfertigkeit und zum Dialog mit den Schurken. Freiheit aber wird nicht durch Verzicht auf Freiheit gerettet. Es geht nicht darum, die 40 Stockhiebe auf 20 zu reduzieren oder ein weicheres Holz zu nehmen, es geht um die Unzulässigkeit der Prügelstrafe."

"Wenn man Mirabeau und Robespierre mit Perücken abgebildet sieht, so muss man sich doch wundern, dass sie die Revolution nicht bei ihrem eigenen Kopf anfingen." Ein Inhaber starker Meinungen war seinerzeit auch der Dramatiker Friedrich Hebbel (1813–1863), der heute, zu Unrecht, kaum noch gespielt oder gelesen wird. Das Problem mit den Klassikern besteht ja darin, dass man sie, wenn überhaupt, bloß in Form leicht angestaubter Gesamtausgaben oder schwer vergilbter Reclam-Hefte besitzt, und wer liest darin schon freiwillig? Alfred Brendel hat nun dankenswerterweise eine Auswahl aus Hebbels Tagebüchern herausgebracht und mit einem sehr begeisterten Nachwort versehen (F. H.: "Weltgericht mit Pausen. Aus den Tagebüchern." Auswahl und Nachwort von Alfred Brendel, Carl Hanser Verlag, München 2008, 173 S.). Hebbels Tagebücher sind keine Chronik der laufenden Ereignisse, sondern eine bunte Mischung aus Aphorismen, Beobachtungen, Lesefrüchten, Gedanken aller Art. Brendel hat die bunte Mischung in Kategorien eingeteilt, was nicht sein müsste. Der Reiz dessen, was bei Lichtenberg treffend "Sudelbuch" heißt, liegt gerade im Unverbundenen der aufeinanderfolgenden Einträge, die eine Vorstellung vom freien Gedankenfluss geben.

Einmal geht Hebbel ins Theater, um sich zu zerstreuen. Die Vorstellung ist überaus gut besucht. "Der Vorhang ging auf, und mir blitzten so viele Uniformen entgegen, dass ich das gefüllte Haus schon begriff, ehe noch ein Wort gesprochen war. Mir kam die Idee zu einer ganz neuen Gattung von Dramen, deren Realisierung vielleicht eine völlige Umgestaltung der Bühne, die man ja schon so lange mit Sehnsucht und Ungeduld erwartet, zur Folge haben würde. Es steht ja doch wohl fest, dass man an Schauspielerinnen und Schauspielern hauptsächlich die Garderobe bewundert und das ist niemandem zu verdenken, denn an lebenden Personen, mit denen man sich, was Statur, Embonpoint u.s.w. betrifft, vergleichen kann, sieht man ganz anders, wie die neuen Pariser Moden stehen, als an den leblosen Kupfern des Modejournals. Wie wäre es, wenn man weiterginge, wenn man alles störende Beiwerk, zu allernächst z.B. die Poesie, die es mit allem, mit Herz und Welt, nur nie oder selten, mit der wirklichen reellen Hauptsache, zu tun hat, wegwürfe und, da nun freilich Dialog sein muss, die Beschaffenheit und den Preis der Waren-Artikel, die Adressen der Kaufleute und Schneider, darin abhandelte?"

Printausgabe vom Samstag, 27. Dezember 2008

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