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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Wenn man die Vorgänge der Wirtschaft nicht versteht, wächst die Besorgnis – Beobachtungen zur Psychologie der gegenwärtigen Finanzkrise

Unwissenheit macht Angst

Von Detlef Fetchenhauer

Das Thema der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise dominiert weltweit die Nachrichten. Was kann die wissenschaftliche Psychologie dazu beitragen, Ursachen und Folgen dieser gefährlichen Situation zu verstehen?
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Auch Experten wie dieser New Yorker Börsianer wissen nicht genau, wie es zur großen Wirtschaftskrise kam. Wie sollen sich da erst die Laien auskennen? Foto: epa/ Peter Foley

Betrachten wir zunächst einmal, wie Ökonomen mit der
aktuellen Krise umgehen. Sie sind ja in einer sehr unangenehmen Position, weil sie von allen Seiten genötigt werden zu erklären, wie es denn zum derzeitigen Zustand der Weltwirtschaft hat kommen können und wann es mit der Weltwirtschaft wieder bergauf gehen wird.

Zeit für Optimismus?

Hinsichtlich der Frage, wie lange diese Krise noch andauert, kann man von Ökonomen die unterschiedlichsten Prognosen erhalten. In der letzten Woche hatte ich bei einem vom Berufsverband der österreichischen Psychologen veranstalteten Kamingespräch die Gelegenheit, diese Frage mit Klaus Liebscher, dem vormaligen Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, zu diskutieren. Er gab sich optimistisch, dass es bereits im heurigen Herbst mit der österreichischen Wirtschaft wieder bergauf gehen und Österreich aufgrund seiner guten wirtschaftlichen Konstitution von den Auswirkungen der Krise weitgehend verschont bleiben würde. Sehr kritisch hingegen sieht der renommierte Linzer Ökonomieprofessor Friedrich Schneider die Situation. In einem Interview mit der "Financial Times" sagte er, die gegenwärtige Krise zeige, dass "Wirtschaftswissenschafter auf viele Fragen unzureichende Antworten haben. Oft können wir gar nichts Konkretes sagen. Zum Beispiel fällt es Ökonomen schwer, die tatsächlichen Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie deren Interaktion zu analysieren. Ganz zu schweigen von Vorschlägen, wie wir sie lösen können."

Und wie wird die Krise von den Bürgern Österreichs wahrgenommen? In der letzten Woche habe ich die Teilnehmer an einem Workshop (rund 35 Psychologen) gefragt, wie es der österreichischen Wirtschaft in einem Jahr und in fünf Jahren denn wohl gehen würde. Bei ihren Antworten taten sich die meisten außerordentlich schwer. Dennoch zeigten die Antworten eine deutliche Tendenz auf: In einem Jahr, so glaubten die meisten, werde es "etwas schlechter" gehen, aber in fünf Jahren werde die österreichische Wirtschaft besser dastehen als heute.

Die Teilnehmer wirkten zunächst nur mäßig beeindruckt vom derzeitigen Krisengerede. In der anschließenden Diskussion offenbarten sich jedoch sehr viel tiefer gehende Ängste und Verunsicherungen. Ich denke, dass es vielen Österreichern so ergeht. Im eigenen Geldbeutel ist die Krise zwar noch nicht angekommen, andererseits jedoch bestehen schon Zukunftsängste.

Hilflosigkeit

Dies hat aus psychologischer Sicht auch damit zu tun, dass die meisten ökonomischen Laien dem "System Wirtschaft" hilflos ausgeliefert sind, und es zudem nicht wirklich verstehen. Die meisten Laien wissen nicht, was ein Hedge Fonds ist, was ein Investmentbanker eigentlich tut und warum Österreichs Wirtschaft davon beeinflusst ist, dass amerikanische Hausbesitzer ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen können.

Ähnlich hilflos stehen die meisten Laien der Frage gegenüber, welche Wirtschaftspolitik in der derzeitigen Lage die richtige wäre. Ob Konjunkturprogramme zweckmäßig sind oder nicht, können die meisten nicht beurteilen. Aber sie nehmen durchaus wahr, dass Ökonomen solche staatlichen Maßnahmen zur Konjunkturförderung bis vor kurzem noch vehement abgelehnt haben, jetzt aber plötzlich dafür sind. Außerdem finden die Folgen der Krise in einem Zahlenraum statt, der meist jenseits der Vorstellungskraft von Nichtmathematikern liegt. In der Wirtschaftspolitik ist ja schon lange nicht mehr von Millionen, sondern von Milliarden und seit neuestem sogar von Billionenbeträgen die Rede. So rechnet die neue Regierung in den USA in diesem Jahr mit einem Defizit von über einer Billion US-Dollar. Wem soll angesichts solcher Beträge nicht schwindlig werden?

Wenn man ein System nicht versteht, von dem man jedoch in so hohem Maße abhängig ist, wie der Einzelne von der Wirtschaft, dann ist Ängstlichkeit eine natürliche Reaktion – zumal, wenn selbst Experten nicht wirklich wissen, wie es zur Krise gekommen ist und wie sie zu lösen sei.

Dabei geht es den Österreichern wirtschaftlich so gut wie noch nie in ihrer Geschichte. In den letzten drei Jahrzehnten ist die Wirtschaft kontinuierlich gewachsen, der Wohlstand des durchschnittlichen Österreichers hat sich nahezu verdoppelt. Diese Entwicklung passt in den weltweiten Trend, dass die Menschheit an sich immer wohlhabender wird (auch wenn nach wie vor jährlich Millionen Menschen verhungern, was ein Skandal ist).

Wohlstand und Glück

Empirische Studien zeigen allerdings, dass absoluter Wohlstand die Menschen kaum glücklicher macht. Menschen in Industrienationen sind freilich sehr viel zufriedener mit ihrem Leben als Menschen in der Dritten Welt. Das bedeutet: Wer nicht genug zu essen und zu trinken hat, ist unglücklicher als jemand, für den die existentielle Grundversorgung gesichert ist. Jenseits einer bestimmten Einkommensschwelle jedoch führt mehr Wohlstand nicht zu mehr Glück und Zufriedenheit. So sind etwa die Einwohner Südkoreas in ähnlichem Maße glücklich und zufrieden mit ihrem Leben wie Menschen in Österreich, obwohl ihr Einkommen deutlich niedriger ist.

Ist Wohlstand also gar nicht wichtig? Das kommt darauf an, von welcher Perspektive aus man die Umfragedaten betrachtet. Der durchschnittliche Österreicher ist heute doppelt so wohlhabend wie vor 30 Jahren. An seiner Lebenszufriedenheit hat dies kaum etwas geändert. Mehr absoluter Wohlstand macht also nicht glücklicher. Wichtiger als der absolute Wohlstand eines Menschen ist nämlich sein relativer Wohlstand. Einem Menschen geht es dann gut, wenn er mehr als andere hat, mit denen er sich vergleicht. Reich sein, so lautet ein amerikanisches Sprichwort, bedeutet 50 Dollar mehr zu verdienen als der eigene Schwager. Dieser Befund konnte durch viele internationale Studien bestätigt werden: Überall empfinden wohlhabende Menschen mehr Lebenszufriedenheit als arme Menschen.

Noch ein anderer Vergleichsmaßstab ist für uns wichtig, nämlich der mit der Vergangenheit. Wenn jemand jetzt mehr verdient als im Vorjahr, empfindet er dies als Gewinn. Wenn jemand heute weniger verdient als im letzten Jahr, empfindet er dies als Verlust, und zwar unabhängig davon, ob er absolut viel oder wenig verdient.

Aus der Finanzpsychologie wissen wir, dass Menschen vor allem eines hassen: Verluste (dies gilt gleichermaßen für Verluste an der Börse wie für den Verlust eines geliebten Menschen). Über einen Gewinn von 100 Euro können wir uns weniger freuen, als wir uns über einen Verlust von 100 Euro ärgern. Der amerikanische Psychologe Daniel Kahneman hat unter anderem für diese Erkenntnis den Nobelpreis für Ökonomie erhalten.

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Sparen ist notwendig. Foto: Bilderbox

Vor diesem Hintergrund erscheint die Angst der Bürger vor der Finanzkrise durchaus verständlich, nämlich als Angst davor, in Zukunft zu den "Verlierern" zu zählen, d.h. weniger Einkommen zu haben als andere, bzw. weniger Einkommen zu haben als in der Vergangenheit. Dabei spielt es nur eine geringe Rolle, auf welchem Niveau sich solche Verluste ereignen.

Das Unbehagen an der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise hat aber, wie erwähnt, noch eine andere psychologische Ursache. Viele Studien zeigen, dass ökonomische Laien die Dynamik wirtschaftlicher Entwicklung nicht verstehen. Gutes Wirtschaften verstehen viele Laien als die möglichst gerechte Aufteilung eines Kuchens, der bereits gebacken ist, wobei die Größe dieses Kuchens als weitgehend konstant wahrgenommen wird. Laien verstehen nicht, dass dieser Kuchen in einer dynamischen Wirtschaft ständig wächst, weil menschliche Arbeit durch technologische Innovationen und Effizienzsteigerungen immer produktiver wird.

Im Gegensatz dazu sind viele Menschen der Meinung, dass der Weltgesamtwohlstand stets gleich groß bleibt, also nicht gesteigert werden kann. Sie haben gerade in Zeiten wachsenden Wohlstands das Gefühl, dass diese (oft enorme) Steigerung nicht mit rechten Dingen zugehe und mit einem bösen Erwachen enden müsse. Von manchen wird die derzeitige Krise als Vorbote eines totalen, langfristig unvermeidbaren wirtschaftlichen Zusammenbruchs empfunden.

Deshalb erscheint es dringend geboten, dass die Ökonomie den Menschen endlich – klarer und besser als in der Vergangenheit – erklärt, warum dauerhaftes Wachstum möglich ist und unser heutiger Wohlstand nicht notwendigerweise einen Raubbau an unserer Zukunft bedeutet.

Auch wenn die Entwicklung der Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten, vor allem seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa, insgesamt sehr erfreulich war, bleibt dennoch festzuhalten, dass dieser generelle Aufwärtstrend keine kontinuierliche Fortsetzung garantiert. Wirtschaftliche Entwicklung ist eher zu vergleichen mit der berühmten "Echternacher Springprozession": Drei Schritte vor, zwei Schritte zurück. Das heißt keineswegs Stillstand, aber es bedeutet, dass auf gute, fette Jahre (oder Jahrzehnte) immer wieder Rückschläge folgen (müssen).

Diese Tatsache scheinen die Österreicher in den vielen guten Jahren, die hinter ihnen liegen, ein wenig vergessen zu haben.

Der Sinn des Sparens

Es ist aber wichtig, dass sich die Gesellschaft wie jeder Einzelne der Tatsache bewusst sind, dass man in guten Zeiten Vorsorge treffen sollte für schlechtere Tage. Das Sprichwort "Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not" klingt zwar nüchtern und wenig begeisternd, aber wahr ist es doch. Bedauerlich, dass der österreichische Staat in den Wachstumsjahren der letzten Jahrzehnte seine Staatsschulden keineswegs verringert, sondern stattdessen Jahr für Jahr neue Schulden gemacht hat.

Bei den privaten Haushalten sieht die Situation nicht viel anders aus. Zwar weist Österreich im internationalen Vergleich eine hohe Sparquote aus, welche aber in hohem Maße an die Einkommen gekoppelt ist. Wer viel hat, legt etwas davon auf die Seite. Wer wenig hat, spart hingegen kaum oder macht sogar Schulden. Dies mag trivial erscheinen, aus ökonomischer Perspektive ist es jedoch höchst irrational. Wer nur über ein geringes Einkommen verfügt, läuft weit eher Gefahr, in Zukunft wirtschaftliche Verluste zu erleiden, etwa dadurch, dass er seinen Arbeitsplatz verliert, und dann vor der Notwendigkeit steht, auf Rücklagen angewiesen zu sein. Bei vielen Menschen überwiegt hingegen die Neigung, die Verantwortung für die eigene Zukunft an die Gesellschaft oder an den Staat zu delegieren. Dies aber ist gefährlich, weil der Staat eben nicht für den eigenen Arbeitsplatz oder für die Stabilität der eigenen Rente garantieren kann.

Die gegenwärtige Finanzkrise zeigt deutlich, wie sich die Herausforderungen, die sich dem Einzelnen stellen, in Zeiten der Globalisierung wandeln. Gefragt sind heute gut informierte Bürger, die bereit sind, kompetent und mutig Verantwortung für ihre eigene wirtschaftliche Zukunft übernehmen.

Detlef Fetchenhauer ist Professor und Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der Universität zu Köln.

Printausgabe vom Samstag, 21. März 2009

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