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Fälschung statt Forschung

Hat das etablierte Gutachtersystem gegen wissenschaftliche Betrüger eine Chance?
Illustration
- Der koreanische Biologe Woo Suk Hwang hat Forschungsergebnisse in großem Stil gefälscht.  Foto: EPA

Der koreanische Biologe Woo Suk Hwang hat Forschungsergebnisse in großem Stil gefälscht. Foto: EPA

Von Peter Markl

Wenn sich das Ende der Vorweihnachtshektik abzeichnet, beginnt in manchen Wissenschaftsredaktionen ein beliebtes Spiel: Man bastelt – jenseits der Tagesaktualität – an Jahrsrückblicken und wagt gelegentlich sogar einen riskanten Blick in die Zukunft: Was sind die Forschungstrends, deren Früchte die nächsten Wissenschaftsspalten füllen sollten?

Für die Redakteure der renommierten amerikanischen Zeitschrift "Science" entsprach das vergangene Jahr in einer Hinsicht genau den Erwartungen: Es ist vor allem ein Jahr der Biologie und ihrer Anwendungen gewesen, wenngleich kein überragendes Forschungsresultat erzielt worden ist. "Science" hat daher die Fülle der neuen Belege für die Mechanismen des Wandels der Arten unter dem Slogan "Evolution in Aktion" zusammengefasst und als den wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres 2005 herausgestellt.

Das war ein Versuch, die ungeheuren Erklärungsleistungen der heutigen Evolutionstheorie wieder ins Zentrum der Diskussion zu rücken, in dem sie 2005 aber nicht standen. Da hatten die Turbulenzen um das "Intelligente Design" als wissenschaftliche Alternative zur Erklärung der funktionalen Komplexität von Organismen die Diskussion dominiert. Dass "Science" infolge des Gewichts ihrer Veröffentlichungen und Kommentare damit einmal mehr auch Wissenschaftspolitik macht, hat bei dieser Entscheidung sicher eine Rolle gespielt.

"Science" im Zwielicht

Mitte Dezember aber geriet ausgerechnet "Science" selbst in Turbulenzen, weil in dieser Zeitschrift Probleme sichtbar geworden sind, die seit langem schwelen – Probleme, die aus dem Zentrum des heutigen Wissenschaftsbetriebs kommen, wo sich wissenschaftliche mit ökonomischen und weltanschaulichen Interessen schneiden.

Es geht um die Frage der Qualitätskontrolle in der Wissenschaft. Dabei geht es nicht um "Science" allein, sondern auch um ihre gleich gewichtige englische Rivalin "Nature". Was dem Problem weltweit Schlagzeilen verschafft hat, ist die weltanschauliche Brisanz der biomedizischen Forschung, die nun aufgrund gefälschter Resultate in mehreren wichtigen Veröffentlichungen aus den letzten beiden Jahren betroffen ist: die Forschung an Stammzellen, mit ihren Implikationen für das medizinische Potential der Stammzellentherapie und das Klonen höherer Organismen.

Als "Science" 2004 ihre Jahresrückschau publizierte, prangte auf einer der Seiten das strahlende Bild des Superstars der südkoreanischen Wissenschaft, des aus einer kleinen Bauernfamilie zum Nationalhelden aufgestiegenen Forschers Woo Suk Hwang. Er war zum führenden Stammzellen-Experten der Welt geworden: Ein Veterinärmediziner, der den Grundstein seiner steilen Karriere mit einer Reihe von Arbeiten legte, in denen er effizientere Methoden zur Erzeugung von Stammzell-Linien beschrieb.

Alle Stammzellen tragen noch die gesamte genetische Information in sich – auch die zum Bau jedes einzelnen der differenzierten Zelltypen, wie man sie in den spezialisierten Organen findet. Der Weg zu den Spezialzellen führt über so genannte "epigenetische" Prozesse, welche die zellulären Prozesse steuern, die von der zur Spezialisierung notwendigen genetischen Information abgerufen werden. Sie machen es möglich, eine neue Zellgeneration zu produzieren, und werden dadurch auf die Produktion von Spezialzellen umprogrammiert. Stammzellen, wie man sie in Embryonen findet, haben noch keine derartige "epigenetische" Modifikation durchgemacht.

Woo Suk Hwang trat im März 2004 an die Öffentlichkeit, als "Science" eine Arbeit publizierte, in der ein Team von 15 koreanischen Forschern die erste Stammzellenproduktion aus einem geklonten menschlichen Embryo beschrieb. Das war einer der entscheidenden Schritte auf dem Weg zu einem unbegrenzten Vorrat an Spezialzellen, mit denen sich vielleicht einmal Zellen ersetzen lassen, die im Laufe degenerativer Erkrankungen wie Diabetes oder Parkinson defekt geworden sind. Es geht also um "therapeutisches Klonen".

Woo Suk Wang und seine Kollegen beschrieben, wie man den Zellkern einer bereits differenzierten Körperzelle in eine Eizelle, deren Zellkern entfernt worden ist, transferiert und aus dieser künstlichen Zelle dann Zell-Linien embryonaler Stammzellen erzeugen kann. Es hatte den Anschein, als ob Zellplasma der Eizelle die Umprogrammierung durch epigenetische Prozesse wieder rückgängig gemacht hätte, so dass eine Art Embryo entstanden war, aus dem man undifferenzierte embryonale Stammzellen züchten könnte.

Dieser Erfolg gelang dem koreanischen Team allerdings mit "entkernten" Eizellen, in die man den Kern einer Hautzelle injiziert hatte, die von derselben Frau stammte wie die Eizelle. (Wie damals in dem "Science"-Artikel ausdrücklich vermerkt wurde, wurden die Eizellen von den Versuchspersonen freiwillig und ohne Bezahlung gespendet.)

Die Arbeit ließ noch offen, ob dieses technische Kunststück auch möglich wäre, wenn die injizierten Zellen und die Eizellen von verschiedenen Menschen stammen würden. Diesen nächsten Schritt beschrieb im Juni 2005 ein Team aus 25 Südkoreanern und einem Amerikaner – wiederum in "Science". Sie behaupteten, es sei ihnen gelungen, aus den Körperzellen von fremden Patienten Zell-Linien von embryonalen Stammzellen zu erzeugen und auch Indizien dafür zu haben, dass das Immunsystem der Patienten keines der aus solchen Zell-Linien produzierten Gewebe abstoßen würde.

Der enttarnte Fälscher

Woo Suk Hwang, der als ein von seiner Arbeit besessener, charismatischer Forscher ohne irgendwelche finanziellen Interessen beschrieben wird, hat, wie "Time" berichtet, alle seine Patentrechte an Regierung und Universität übertragen. Er war bereits zum Nationalhelden geworden, als ein koreanisches Team in einer weiteren, diesmal in "Nature" veröffentlichten Arbeit beschrieben hatte, wie es zu dem Afghanen "Snuppy" kam – den ersten Klon eines Hundes, den "Time" prompt zur Erfindung des Jahres 2005 kürte.

Was dann geschah, hatte es in der Geschichte der Wissenschaft noch nie gegeben! Es begann mit einem anonymen Hinweis, der am 1. Juni 2005 kurz nach Mitternacht auf der Website des koreanischen Fernsehmagazins "PD Notebook" einlangte. In den folgenden sechs Monaten wurde im Lauf der nicht immer mit ethisch vertretbaren Methoden geführten Nachforschungen für die breite Öffentlichkeit aus dem führenden Wissenschaftler und Nationalhelden ein cleverer Betrüger. Man ist heute noch weit davon entfernt, die Details der Umstände oder die Motive der beteiligten Personen zu kennen, aber was man bisher über den Verlauf der Untersuchung weiß, würde man in jedem Hollywoodkrimi als zu absurd ablehnen.

Die Universität von Seoul hat jedenfalls am 29. Dezember das Ergebnis einer Untersuchung der Vorwürfe bekannt gegeben: Man hat von den patientenspezifischen embryonalen Stammzellen, deren Produktion in "Science" dargestellt wurde, auch nicht die leisesten Spur finden können. Am Dienstag dieser Woche ist nun der Endbericht der Untersuchungskommission erschienen: beide "Science"-Arbeiten sind gefälscht. Es ist Woo Suk Hwang nie gelungen, mit seinen Methoden eine Zellkultur embryonaler Stammzellen anzulegen. Die in beiden Fällen dafür vorgelegten Belege enthalten gefälschtes Material. "Snuppy" aber ist wirklich der erste geklonte Hund, was in der "Nature"-Redaktion Freude und Schadenfreude hervorgerufen haben muss.

Die zentrale Frage allerdings ist, wieso "Science" auf diese Fälschungen hereinfallen konnte. Haben die Redaktionsteams wissenschaftlicher Zeitschriften überhaupt eine Chance, Fälschungen aufzuspüren ?

"Science" und "Nature" haben ein von Wissenschaftlern gefürchtetes Auswahlsystem, aber die Selektion der Artikel beginnt ja schon, bevor technische Gutachter ins Spiel kommen. Ein Team von Herausgebern entscheidet, ob eine Arbeit in relevanter Weise ein wissenschaftlich gerade im Brennpunkt der Diskussion stehendes Thema aufgreift und in neuer und origineller Art zu lösen versucht. Zu den eigentlichen Gutachtern, welche sich mit den technischen Details der vorgelegten Daten beschäftigen, gelangen bei "Science" nur etwa 30 Prozent der Arbeiten. Aber auch diese Gutachter stoßen bei Arbeiten, welche methodische Fortschritte beschreiben, und das Produkt eines großen Autorenteams mit verschiedensten Spezialgebieten sind, an ihre Grenzen: jeder von ihnen vermag nur die Details seines Spezialgebietes zu beurteilen, und auch das nur in jenen Fällen, wo es sich nicht um eine wirkliche Neuheit handelt, mit der außer den Autoren noch niemand anderer Erfahrungen gemacht hat.

Die Rolle der Gutachter

Die Herausgeber beider Zeitschriften erinnerten daran, dass das Gutachtersystem ( englisch: Peer Review ) einfach nicht dazu geeignet ist, Betrug aufzudecken, und den Redaktionen Zeit und Mittel fehlten, um raffinierte und clevere Betrüger zu entlarven. (Und was bisher über das Vorgehen von Woo Suk Hwang kolportiert wird, spricht – zumindest nachdem er in die Defensive geraten war – für beträchtliche Cleverness.)

"Peer Review" , so Donald Kennedy, der "Science"-Herausgeber, "kann keinen Betrug aufdecken, der raffiniert gemacht ist". Martin Blume, verantwortlich für die neun Zeitschriften, welche von der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft herausgegeben werden, stimmt ihm zu: "Wenn eine Arbeit das Gutachtersystem passiert hat, heißt das noch nicht, dass sie richtig ist. Es heißt nur, dass es wert ist, sie zu publizieren."

Dr. Philip Campbell, der "Nature"-Herausgeber, merkt dazu an: "Das Peer Review-System zielt nicht auf die Aufdeckung von Betrug ab." Es geht nicht ohne Vertrauen. Das Review-System dient lediglich dazu, die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit dessen einzuschätzen, was der Autor vorlegt.

Man kann der Ansicht sein, dass das Review-System auch in diesem Fall funktioniert hat – schließlich wurde der Betrug ja aufgedeckt. Aber das stimmt nicht: Es waren vor allem koreanische Studenten, welche die Untersuchungen ins Rollen brachten, und nicht das etablierte Review System, das sich in den neuen Arten der Forschungsorganisation als Qualitätskontrollsystem immer weniger effizient erweist.

Das Untersuchungsteam der Nationalen Universität in Seoul hat daher gute Gründe , wenn es in seinem, mit nationalen Tönen unterlegtem Bericht diesen Punkt aufgreift: "Die jugen Wissenschaftler, die mutig genug waren, auf Fälschungen hinzuweisen und damit die Bildung dieser Untersuchungskommission angeregt haben, sind unsere Hoffnung für die Zukunft."

Literatur: "Science", 6. Jänner 2006.

Peter Markl ist Professor für Analytische Chemie an der Universität Wien, wo er auch Methodik der Naturwissenschaften lehrte. Er ist Mitglied des Kuratoriums des Europäischen Forums Alpbach.

Freitag, 13. Jänner 2006

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