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Was genau bedeutet "H5N1"?

Wie sich das Wissen um die Grippeviren im Verlauf des 20. Jahrhunderts entwickelte
Illustration
- Das Immunsystem ist ständig dem Angriff von Viren und Bakterien ausgesetzt. Grafik: Kleinert/ Peschkes

Das Immunsystem ist ständig dem Angriff von Viren und Bakterien ausgesetzt. Grafik: Kleinert/ Peschkes

Illustration
- Bergung eines an Vogelgrippe verendeten Schwans. Foto: APA/ Leodolter

Bergung eines an Vogelgrippe verendeten Schwans. Foto: APA/ Leodolter

Von Friedrich Katscher

Obwohl in der Berichterstattung über die Vogelgrippe ständig von H5N1 die Rede ist, wissen die meisten Menschen nicht, was diese Abkürzung wirklich bedeutet. Deshalb soll hier dargestellt werden, wie sich unser Wissen über die Grippeviren seit den Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelte, um die derzeitige

Vor 110 Jahren, im März 1896, gab der Wiener Bakteriologe Max von Gruber (1853 – 1927) das Ergebnis eineinhalbjähriger Forschungen gemeinsam mit seinem englischen Mitarbeiter Herbert Edward Durham (1866 – 1945) bekannt: Im Blutserum (der Blutflüssigkeit ohne Blutkörperchen, aber mit zahlreichen Proteinen, also Eiweißstoffen) immunisierter Tiere befinden sich Schutzstoffe, die bewirken, dass die Bakterienleiber klebrig werden und aneinander hängen bleiben, so dass sie sich schließlich zu leicht erkennbaren Häufchen zusammenballen. "Wir nennen daher die specifischen Substanzen der Immunsera Verkleber, Agglutinine." (Lateinisch: gluten , Leim; agglutinare , zusammenleimen, zusammenkleben; der Vorgang selbst heißt daher Agglutination .) Dieser Name ist der Ursprung einer Bezeichnung, die wir gleich kennen lernen werden.

Der Erreger der Grippe

Die echte Grippe (nicht die grippalen, grippeartigen Infekte) hat in der Medizin den italienischen Namen Influenza, Einfluss, weil man im 16. Jahrhundert während einer Grippeepidemie in Florenz glaubte, dass die Krankheit durch die Einwirkung der Sterne entstehe. Der Erreger dieser sehr ansteckenden Krankheit, die durch Einatmen kleinster keimbeladener, ausgeniester oder ausgehusteter Tröpfchen übertragen wird, ist kein Bakterium, sondern ein Virus, das 1933 in London zum ersten Mal aus Patienten isoliert wurde, nachdem das zwei Jahre vorher bereits mit dem Influenzavirus eines Schweins geschehen war. Seit 1935 wurde die weitere Forschung sehr erleichtert, als gefunden wurde, dass man Grippeviren züchten kann, indem man sie in ein sich entwickelndes Hühnerembryo in einem befruchteten und bebrüteten Ei einimpft. In den darauf folgenden Jahren wurde festgestellt, dass es drei Influenza-Virustypen gibt, die die Bezeichnungen A, B und C erhielten und mehrere Varianten haben. Der Typ A kann Epidemien und Pandemien (mehrere Länder oder sogar Erdteile erfassende Seuchen) auslösen.

Vor 65 Jahren, 1941, fand der New Yorker Mediziner George K. Hirst, dass die Influenzaviren rote Blutkörperchen ebenso zusammenkleben, agglutinieren , wie die Immunsera Bakterien. Da Blut auf griechisch haima heißt, wurden die Virussubstanzen, die das bewirken, Hämagglutinine genannt und HA oder H abgekürzt. Sie vermitteln auch die Anheftung und das Eindringen der Viren in die Wirtszellen.

Die Influenzaviren haben noch einen weiteren Bestandteil, der es ihnen ermöglicht, sich in Tieren oder Menschen zu vermehren: Unter einem Enzym versteht man ein Protein, das in lebenden Organismen vorkommende chemische Reaktionen – das Zusammenhängen, Übertragen oder Umlagern von Atomen oder Atomgruppen und das Zerlegen von Molekülen durch Abspaltung – in Gang setzt und beschleunigt. Ohne Enzyme wäre ein geordneter Stoffwechsel und damit Leben nicht möglich. (Die Verdauung zum Beispiel erfolgt hauptsächlich durch Enzyme.)

Der australische Virologe und Immunologe Frank Macfarlane Burnet (1899 – 1985) und seine Mitarbeiterin Joyce D. Stone hatten gefunden, dass ein solches vom Grippevirus erzeugtes Enzym die schützende Schleimschicht an der Oberfläche von tierischen und menschlichen Zellen auflöst, indem es Rezeptoren ("Empfänger", Proteine, die Moleküle an sich binden) zerstört. Er veranlasste den von den Nazis vertriebenen deutschen Biochemiker Alfred Gottschalk (1894 – 1973), der in seinem Institut in Melbourne Unterschlupf gefunden hatte, das "receptor-destroying enzyme" (RDE) zu suchen. Gottschalk nahm an, dass der Rezeptor durch das Enzym zerlegt werden würde und suchte daher nach einem abgespaltenen Stück. Er fand, dass der Rezeptor, der zerspalten wird, die Neuramin- oder Sialsäure ist. Da Enzyme meist nach ihrem "Substrat" – der Substanz, auf die sie einwirken – und der Endung -ase oder -idase benannt werden, heißt das Enzym des Influenzavirus Sialidase oder Neuraminidase , abgekürzt NA oder N. Die NA befühigt das Virus, an einer Wirtszelle anzubinden, und ermöglicht den innerhalb der Zellen neugebildeten Virusteilchen, sich von den Zellen loszulösen.

Im Jahr 1943 sah man erstmals Influenza-Viren mit dem Elektronenmikroskop. Man fand heraus, dass sie winzige Kugeln mit einem Durchmesser von 75 bis 120 Nanometer (Millionstelmillimeter) sind, auf deren Oberfläche, der fetthaltigen Virushülle, zwei Arten von "Spikes" (wie die Stahlnägel von Autoreifen) herausragen: zwei "Glykoproteine" (zuckerhaltige Eiweißstoffe), die wir schon kennen, nämlich etwa 500 Stäbchen von rund 10 Nanometer Länge – die Hämagglutinine – und rund 100 "Pilze" – die Neuraminidasen.

Gefährliche Subtypen

Inzwischen hat man auch Unterarten, sogenannte Subtypen, der beiden Oberflächenproteine festgestellt: von den Hämagglutininen 16 verschiedene, die mit H1 bis H 16 bezeichnet werden, und von den Neuraminidasen 9 verschiedene, die mit N1 bis N9 etikettiert werden. Bei den menschlichen Infektionen kamen nur Viren mit H1, H2 und H3 vor; die restlichen dreizehn, H4 bis H16, beobachtete man nur bei Tieren. Doch im Jahr 1997 fand man auf dem Vogelmarkt in Hongkong Hühner, die mit gefährlichen Viren vom Subtyp H5N1 angesteckt waren, und diese begannen auch Menschen zu infizieren, die in engem Kontakt mit den Haustieren gewesen waren. Damals gab es 18 Fälle mit sechs Toten. Inzwischen starben an die hundert weitere Infizierte durch H5N1. Von den neun Neuraminidasesubtypen treten nur N1 und N2 beim Menschen auf, die übrigen sieben bei Tieren. Jedes neu isolierte Influenzavirus erhält nach internationaler Übereinkunft eine (englische) Bezeichnung, aus der Informationen zum Virustyp, bei Tieren die Spezies (Tierart), der Fundort, die Isolat-Nummer, das Isolierungsjahr und die Subtypen hervorgehen. So besteht der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Grippeimpfstoff für die Saison 2005/2006 auf der Nordhalbkugel der Erde aus drei Bestandteilen: A/New Caledonia/20/99 (H1N1); A/California/7/2004 (H3N2) und B/Shanghai/361/2002 (ohne H und N).

Bei Vögeln kommen alle möglichen H-N-Kombinationen vor. Die meisten davon sind nicht oder nur schwach krankheitserregend. Es gibt aber auch gefährliche Subtypen wie H5 und H7. Das Hauptvirusreservoir sind wilde Wasservögel. Daher ist es unmöglich, die Infektionskrankheit auszurotten. Bei Enten verläuft die Infektion in der Regel ohne Symptome, doch können in ihrem Darm und in ihrem Kot Influenzaviren vorhanden sein.

Mutierende Viren

Die Spanische Grippe von 1918, die weltweit Millionen Menschen (in Wien schätzungsweise 10.000, darunter den Maler Egon Schiele und seine Frau) tötete, hatte den Subtyp H1N1. Im Jahre 1957 verursachte ein neues Influenzavirus vom Subtypus H2N2 die Asiatische Grippe, 1968 der Subtyp H3N2 die Hongkong-Grippe. 1977 tauchte der Subtyp H1N1 wieder auf. Schweine können sowohl von Vogel- wie auch von menschlichen Influenzaviren angesteckt werden und bei ihnen könnte eine Vermischung der beiden eine gefährliche Virusart wie bei der Spanischen Grippe hervorrufen, die von Mensch zu Mensch übertragen wurde. Die Gene der Grippeviren verändern sich dauernd; und die Folge ist, dass bösartige Viren plötzlich harmlos werden können – und unschädliche tödlich. Wegen der dauernden Änderung der Erreger nützt eine Grippeimpfung nur für kurze Zeit, und jedes Jahr muss man sich mit einem neuen Impfstoff immunisieren lassen.

Enzyme können auch gehemmt, also unwirksam gemacht werden. Auf diese Weise kann man die Virusvermehrung verhindern. In den Neunziger Jahren wurden zwei Neuraminidasehemmer entwickelt – Oseltamvir mit dem Handelsnamen Tamiflu, eine zu schluckende Hartkapsel zur Behandlung und zur Vorbeugung, und Zanamivir mit dem Handelsnamen Relenza, ein Pulver zur Inhalation, das nur zur Behandlung dient. Beide vermindern die Symptome und verkürzen die Dauer der Erkrankung; doch da sie Schäden, die das Virus bereits angerichtet hat, nicht reparieren können, soll die Anwendung so früh wie möglich innerhalb der ersten 48 Stunden nach dem Auftreten der Symptome einer Grippe begonnen werden. Die beiden recht teuren Medikamente sind jedoch kein Ersatz für eine Grippeimpfung. Weitere Neuraminidasehemmer sind in Entwicklung.

Antibiotika haben keine Wirkung gegen Grippeviren. Sie werden jedoch oft gegeben, um sekundäre bakterielle Infektionen zu bekämpfen, die gleichzeitig auftreten.

Prof. Friedrich Katscher lebt als freier Wissenschaftsjournalist in Wien.

Samstag, 25. Februar 2006

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