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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this...

Ethische Fragen beim Umgang mit Tieren

Menschenrechte für Schimpansen?

Von Peter Markl

Vergangene Woche ließ eine besonders unrühmliche Episode in einem seit langem schwelenden Konflikt aufhorchen: Die Universität Oxford löste einen Vertrag mit der Baufirma Montpellier, welche mit dem Bau des neuen biomedizinischen Forschungslaboratoriums beauftragt war. Das neue, 18 Millionen Pfund teure Forschungszentrum, dessen Fertigstellung für 2005 geplant war, sollte die Tierstallungen, welche man für 130 bereits laufende medizinische Forschungsprojekte benötigt, unter einem Dach vereinen. Der Bau war nach den neuesten Erkenntnissen der Tierhaltung geplant und ist im Hinblick auf die ethische Vertretbarkeit von Tierversuchen geprüft worden. Bei 98 Prozent der dabei benötigten Tiere handelt es sich um Ratten oder Mäuse. Etwa ein Dutzend Projekte kann jedoch ohne den Einsatz von Primaten nicht durchgeführt werden.

Militante Tierversuchsgegner hatten die Arbeiten immer wieder durch Sachbeschädigungen beeinträchtigt. In den letzten Wochen waren sie auch dazu übergegangen, führenden Angestellten der Kontraktfirmen mit einer gezielten Verleumdungskampagne zu drohen und sie mit Briefen zu bombardieren, in denen Sätze vorkamen wie: "Sie werden ernten, was sie gesät haben. Es wird für Sie permanente persönliche Konsequenzen haben, wenn dieses Projekt unter Mitwirkung Ihrer Firma weitergeführt wird. Denken Sie darüber lang und gut nach - Ihre Entscheidung entscheidet über Ihr zukünftiges Leben und das Ihrer Familie."

Militanter Tierschutz

Es war nicht das erste Projekt einer großen englischen Universität, das durch eine massive Kampagne der Tierversuchsgegner in Schwierigkeiten gebracht wurde. Der Bau eines anderen Zentrums für Tierversuche an Primaten, das die Universität Cambridge geplant hatte, ist bereits verhindert worden.

Die Stimmung unter den Tierversuchsgegnern wurde vor allem angeheizt, weil die Vermutung bestand, dass die in Cambridge verhinderten Versuche nun in Oxford durchgeführt werden sollten. Die Universität Oxford hat dies bestritten und darauf hingewiesen, dass das neue Zentrum nur den Programmen dienen sollte, die zur Erforschung der Ursachen von Leukämie, Herzkrankheiten, Arthritis, Krebs und Diabetes bereits im Gange sind. Ein Minimum an Tierversuchen ist dazu leider notwendig - wer das bezweifelt, sollte sich ausmalen, wie die Welt heute aussehen würde, wenn Tierversuche es nicht möglich gemacht hätten, die Erreger von Aids oder SARS zu identifizieren und therapeutische Schritte dagegen auszuarbeiten.

Extreme Tierversuchsgegner jedoch sind durch rationale Argument dieser Art wahrscheinlich nicht zu beeinflussen. Für sie gibt es keinen Grund, der es rechtfertigen würde, einem Tier Schmerzen zuzufügen.

Andere Kritiker suchen nach einem rationalen ethischen Prinzip, mit dessen Hilfe auch der Umgang mit Tieren zu bewerten wäre. Peter Singer, der heute in Princeton lehrende australische Philosoph, sieht in der Leidensfähigkeit der Tiere und ihrem daraus folgenden "Interesse" an der Vermeidung von Schmerzen die Basis dafür, Tiere und Menschen in dieser Hinsicht gleich zu behandeln.

Nach Singers Ansicht sind die psychologischen Unterschiede zwischen Menschen und Menschenaffen zu klein, um eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen zu können - der Umgang mit beiden hat sich an den jeweiligen Interessen zu orientieren. Singer behauptet nicht, dass Menschen und Tiere in jeder Hinsicht die gleichen Interessen hätten. Was die Schmerzvermeidung betrifft, ist das, seiner Ansicht nach, jedoch der Fall. Wenn wir es für unerträglich halten, Kindern mit ihren noch nicht voll entwickelten kognitiven Fähigkeiten oder geistig behinderten Menschen Schmerzen zuzufügen und sie davor auch durch Gesetze schützen, dann sollte dieser Schutz auch den Menschenaffen zuteil werden. Alles andere wäre "Speziesismus", also eine nicht zu rechtfertigende Bevorzugung der eigenen Spezies, die dem Rassismus an Unerträglichkeit nicht nachsteht. Peter Singer gehört daher auch zu den Unterzeichnern einer mittlerweile berühmt gewordenen Deklaration, in der für die großen Primaten der Status legaler Personen gefordert wird. Diese Deklaration hat sehr prominente Anhänger gefunden, unter anderen Richard Dawkins, Jared Diamond und Jane Goodall.

Die Idee, dass Tiere Rechte (und Pflichten) haben sollten, war übrigens im Mittelalter in Europa weit verbreitet, wo sie manchmal ganz erstaunliche Formen annahm: So hat im Herbst 1487 der Großvikar des Kardinalerzbischofs von Autun seine Kuraten angewiesen, die Schnecken bei jeder Prozession drei Mal feierlich davor zu warnen, weiter die Blätter des Gemüses auf den Feldern und Weinstöcken zu fressen, andernfalls sie exkommuniziert und - wie es sich für Exkommunizierte gebührt - ausgerottet werden würden. Wölfe, Hunde oder Schweine, die Menschen angefallen hatten, wurden gelegentlich feierlich gehängt, auch weil man den Gedanken nicht los wurde, sie könnten vom Teufel besessen sein.

Eine der Ausgangsprämissen für die Gleichbehandlung der Tiere wird in der letzten Zeit wieder sehr kontrovers diskutiert: die Geringfügigkeit der psychologischen Unterschiede zwischen Menschen und Primaten.

Clive D. L. Wynne, Professor für Psychologie an der Universität von Florida und Autor eines Buches über kognitive Prozesse im mentalen Leben von Tieren, vermutet, der Eindruck, dass der Unterschied vernachlässigbar klein sei, gehe nicht unwesentlich darauf zurück, dass nach einigen Jahrzehnten relativer Abstinenz einige der führenden Tierverhaltensexperten einer immer präsenten Versuchung nachgeben und tierisches Verhalten anthropomorph deuten. Was sie an Tieren beobachten, sehen sie im Lichte menschlicher Alltagspsychologie.

"Bambifizierung" der Tiere

Natürlich halten sich die führenden Experten weit entfernt von dem, was Frans de Waal - selbst in dieser Hinsicht von seinen Kritikern eher unter die Verdächtigen gereiht - die "Bambifizierung" der Tiere genannt hat. De Waal, einer der führenden Schimpansen-Experten der Welt, unterscheidet zwischen "tierzentriertem" und "menschenzentriertem" Anthropomorphismus, und konstatiert bei manchen seiner Kollegen "eine Blindheit für die menschenähnlichen Charakteristika von Tieren und die tierähnlichen Charakteristika an uns selbst".

Clive Wynne plädiert für extreme Vorsicht, wenn man Tieren irgendeinen Grad von Bewusstsein zuschreibt. Wie schwierig es ist, darüber zu einem Urteil zu kommen, demonstrieren die jüngsten Diskussionen rund um die Frage, ob ein Schimpanse eine Vorstellung davon hat, was im Kopf eines anderen Schimpansen vor sich geht. Oder erklären sich einzig die Menschen das beobachtbare Verhalten der anderen dadurch, dass es die Folge von nicht beobachtbaren mentalen Zuständen im Kopf des anderen ist? Weiß - zum Beispiel - ein Schimpanse, was der andere Schimpanse sieht?

In der zweiten Hälfte der 90er Jahre waren sich die meisten Experten darin einig, dass sich die Fähigkeit, mentale Prozesse im Kopf der anderen zu erschließen, erst in der Evolutionslinie entwickelt hat, die zu den Menschen führte. Dafür sprach zumindest die große Mehrheit der Deutungen der experimentellen Belege. Seither ist dieser Konsens aber wieder zerbrochen.

Die beiden auf der Welt führenden Teams beurteilen die Problemsituation heute ziemlich unterschiedlich: Das Team um Michael Tomasello in Leipzig ist sich ziemlich sicher: "Die neuen Daten legen eine drastische Revision unserer Theorien darüber, wie weit andere Tiere die psychologischen Zustände der Artgenossen verstehen, nahe. Schimpansen scheinen etwas davon zu verstehen, was andere sehen oder nicht sehen, oder was sie in der unmittelbaren Vergangenheit gesehen haben oder nicht sehen konnten; und auch einiges über die mentalen Zustände hinter den zielgerichteten Aktivitäten des anderen. Es ist auch ganz klar, dass sich diese Vorstellungen von denen unterscheiden, die sich Menschen machen. Schimpansen verstehen einige psychologische Zustände in anderen - die Frage ist nur, welche und wie weit."

Die zweite der führenden Gruppen - geleitet von Daniel Povinelli in Lafayette, Louisiana - ist zu einem anderen, vorläufigen Schluss gekommen. Auch sie leugnet nicht die prinzipielle Möglichkeit, dass Schimpansen die Fähigkeit haben könnten, in ihrem Hirn mentale Zustände anderer zu repräsentieren und diese Repräsentationen in kognitive Prozesse einzubinden. Sie ist aber zu der Ansicht gelangt, dass die Methoden, mit denen man bisher eindeutige Belege zu bekommen hoffte, dafür prinzipiell nicht geeignet sind. "Die zentrale Frage ist: Wie kann man über jeden vernünftigen Zweifel hinaus feststellen, dass ein Organismus, der nicht sprechen kann, über verborgene, subjektive mentale Zustände anderer nachdenkt?" Man braucht ein Experiment, das bei den Schimpansen ein unterschiedliches Verhalten hervorruft - je nachdem, ob ein Schimpanse in seinem beobachtbaren Verhalten nur auf beobachtbares Verhalten eines anderen regiert oder ob sein Verhalten darüber hinaus auch von einer Repräsentation des mentalen Zustands des anderen gesteuert ist.

Ein einfaches Experiment

Povinelli und seine Kollegen in Lafayette stehen unter dem Eindruck eines ganz einfach scheinenden Experiments, das ein verblüffendes Resultat hatte. Es ging um die eingangs erwähnte Frage, ob Schimpansen verstehen, was andere sehen können. Es scheint für die Schimpansen etwas ganz Natürliches zu sein, ihre Pfleger um Nahrung anzubetteln, indem sie die Hände nach ihnen ausstreckten. Man vermutet natürlich, dass es auch für einen Schimpansen sinnlos ist, jemanden anzubetteln, vom dem er nicht gesehen wird. Das Lafayette-Team ließ seine Schimpansen zwischen zwei Personen wählen: die eine konnte die Bettelgeste der Affen gar nicht sehen, die andere stand mit ihnen in Blickkontakt.

Da saßen also vor dem Käfig zwei Pflegerinnen, von denen die eine den Mund verbunden hatte, die andere die Augen. Die Schimpansen bettelten die beiden gleich häufig an. Das änderte sich auch nicht, als sich die eine einen Kübel über den Kopf gestülpt hatte, während die andere sich den Kübel neben den Kopf hielt. Wenn eine Pflegerin sich die Augen zuhielt, während die andere ihre Ohren verbarg, hielten es die Schimpansen auch für aussichtsreich, diejenige anzubetteln, die sie offensichtlich nicht sehen konnte. Nur wenn eine der Pflegerinnen den Schimpansen offen den Rücken zukehrte, wandten sie sich an diejenige Pflegerin, die sie sehen konnte.

Man ist natürlich versucht, sich das durch die Annahme zu erklären, die Schimpansen wüssten nicht, dass man mit den Augen sieht und würden daher alle anbetteln, die sie nicht nur von hinten wahrnehmen. Aber auch das ist noch zu "anthropomorph" gedacht. Wenn man den Schimpansen zwei Pflegerinnen in Rückenansicht präsentierte, von denen eine sie mit nach vorn gewendetem Kopf über die Schulter ansah, hielten sie auch die andere, von der nur der Rücken sichtbar war, wieder für gleich anbettelnswert.

Selbst erwachsene Schimpansen begreifen also nicht, was Menschenkindern schon nach 2 bis 3 Jahren selbstverständlich ist.

Resultat der Evolution

Die mentalen Zustände von Schimpansen sind eben wirklich "anders" - sie sind nicht einfach "unvollkommene" Menschen, so dass es schwierig ist, ausgehend von der menschlichen (im Hinblick auf ihre neuronalen Grundlagen ohnehin auch noch reichlich schlecht verstandenen) Alltagspsychologie Tests zu entwerfen, aus deren Resultaten etwas über die mentalen Zustände von Schimpansen erschließbar werden könnte. Nach Povinelli ist heute noch offen, ob sich Schimpansen in die Geistesverfassung anderer hineinversetzen können; selbst die Frage, ob sie ein mentales Selbstkonzept haben, das über ein effektives und ausgeklügeltes System der Selbstrepräsentation zur Planung von Bewegungen hinaus geht, ist noch nicht klar.

Die Zeit - so einige Kommentatoren - ist reif geworden für eine schlichte und plausible Einsicht: Jede Spezies ist auch in ihrem Verhalten im Lauf von Jahrmillionen der Evolution der ökologischen Nische angepasst worden, in der sie überlebt hat. Povinelli vermutet, dass sich die ersten Ansätze der grundlegenden neuronalen Mechanismen, welche das Verhalten der heutigen Schimpansen steuern, schon vor mehr als 60 Millionen Jahren entwickelten - als die damaligen, ursprünglich eher einzelgängerischen frühen Primaten-Arten gezwungen wurden, in größeren Gruppen zu leben, weil sie nur dann Überlebenschancen hatten.

Die Notwendigkeit, mit immer komplexeren sozialen Interaktionen fertig zu werden, führte dann zu einem reichen Spektrum an sozialen Verhaltensweisen, wie es die modernen Primaten auszeichnet: sie vermögen einem Blick zu folgen, täuschen Artgenossen, können jemanden beschwichtigen - alles Verhaltensweisen, die zu einer anthropomorphen Interpretation geradezu verführen.

Es gehört zu den großen kulturellen Errungenschaften, dass heute das ethische Prinzip, vermeidbares Leiden auch zu vermeiden, weitgehend anerkannt ist - das Leiden von Tieren eingeschlossen. Diese Norm verdient aber ein besseres Fundament als die Berufung auf eine Gleichbehandlung, die aus der Geringfügigkeit der psychologischen Unterschiede zwischen - zum Beispiel - Menschen und Schimpansen folgt.

Literatur:

Michael Tomasello, Joseph Call und Brian

Hare: Chimpanzies unterstand psychological states - the question is which one and to what extend. Trends in Cognitive Sciences, Vol. 7, No. 4, April 2003, p. 153.

Daniell J. Povinelli und Jennifer Vonk: Mind and Language, Vol. 19, Februar 2004,

pp. 1-28.

Freitag, 30. Juli 2004

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