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Mensch oder Schimpanse?

Neue Forschungen zum Ursprung der genetischen Unterschiede
Von Peter Markl

Eigentlich sollten die jüngst in der englischen Zeitschrift "Nature" veröffentlichten Daten zur Frage, wie sehr sich Menschen und Schimpansen genetisch voneinander unterscheiden, zu einer kritischen Revision der Zettelkästen führen, in denen die für den schnellen Gebrauch in Artikeln und Festreden gesammelten genetischen Slogans deponiert sind. Es sind nämlich allzu viele solcher Slogans von begeisterten Genetikern in die Welt gesetzt worden, die dafür warben, die Aufeinanderfolge der rund drei Milliarden Basenpaare im menschlichen Genom zu bestimmen. Da hörte man immer wieder, dass die Kenntnis dieser gigantischen Aufeinanderfolge "genetischer Buchstaben" wesentlich dazu beitragen würde, herauszufinden, was "den Menschen" über die Genetik hinaus "eigentlich" ausmacht. Immer wieder kommen Festredner darauf zu sprechen, wie ähnlich doch Menschen den Schimpansen sind: schließlich sind nicht weniger als 98,5 Prozent der Basenpaare, die im menschlichen Genom linear aneinander gereiht sind, identisch mit Basensequenzen, die man auch im Genom der Schimpansen findet.

Die kleinen Unterschiede

Jetzt, da das "Human Genom Project" beendet ist, müsste eine Phase der Ernüchterung einsetzen, in der auch den Nichtexperten klar wird, dass das Durchbuchstabieren des Genoms erst der Anfang des Verstehens ist. Denn nun zeigt sich deutlich, wie schwierig es ist, auf Grund der relativ kleinen Unterschiede im Genom zweier biologisch verwandter Spezies wie Schimpansen und Menschen etwas über die Faktoren herauszufinden, welche im Lauf der Evolution diese Unterscheide hervorgebracht haben.

Das große Geheimnis ist, wie es zu diesen Unterschieden kommen konnte: Vor 5 Millionen Jahren hatten Menschen und Schimpansen einen gemeinsamen Vorfahren. Seither haben sich in beiden Evolutionslinien zwar Mutationen angehäuft, aber die Basensequenzen haben sich im Lauf der Zeit nur relativ wenig auseinander entwickelt.

Das ist vor allem dann verblüffend, wenn man den Unterschied mathematisch ausdrückt. Unterschiede in nur 1,5 Prozent der Basenpaare - das klingt wirklich nicht sehr erheblich, vor allem wenn man vergisst, dass das Genom der Menschen aus etwa 3.000 Millionen Basenpaaren besteht, so dass 1,5 Prozent immerhin noch 45 Millionen Basenpaare sind. Diese Unterschiede bewirken aber, dass Menschen aufrecht gehen können, eine komplexe, symbolische Sprache entwickelt haben und mit hoch entwickelten kognitiven Fähigkeiten ausgestattet sind, die man bei keinen anderen Organismen antrifft.

Solche Vergleiche litten bisher allerdings unter dem nicht wegzudiskutierenden Verdacht, dass die Daten zu fehlerhaft sein könnten, um kleine signifikante Unterschiede aufzuspüren. Ein Teil der Unterschiede könnte einfach auf Fehler beim Sequenzieren zurückgehen oder von Zufallsfehlern bei der Auswahl der Stichprobenseqenzen vorgetäuscht werden - bisher hat man ja immer nur Stichproben miteinander vergleichen können.

Das ist jetzt anders geworden: Im erwähnten "Nature"-Heft findet sich die erste Arbeit zur Qualitätskontrolle der menschlichen Sequenzdaten aus dem Human Genom Project, und die ist sehr beruhigend. Die DNA-Sequenzen sind zu mindestens 99,99 Prozent korrekt: unter 10.000 Basenpaaren sollte daher im Durchschnitt nur eines falsch sein.

Es ist jetzt nicht mehr notwendig, sich auf den Vergleich von relativ kleinen Stichproben zu beschränken, denn jetzt liegen erstmals qualitativ hochwertige Daten von einem ganzen Menschen-chromosom und einem ganzen Schimpansen-Chromosom vor. Dank internationaler Zusammenarbeit wurde die Basensequenz der 33.3 Millionen Basen des Chromosom 22 der Schimpansen entschlüsselt (immer noch eine Stichprobe, aber immerhin bereits etwa 1 Prozent des Genoms der beiden Spezies). Diese Sequenz, bestehend aus Daten, deren Qualität den Daten über die analogen Sequenzen aus dem menschlichen Genom nicht mehr nachsteht, können nun mit den Daten über das menschliche Chromosom 21 verglichen werden, das dem Chromosom 22 bei den Schimpansen entspricht.

Wie groß ist der Unterschied zwischen diesen beiden Sequenzen und in welchen Genen findet man die Ursachendafür, dass sich Menschen von Schimpansen so sehr unterscheiden?

Die Bedeutung der "Indels"

Die erste Analyse schien nichts wirklich Unerwartetes ans Licht zu bringen: Auf diesen analogen Chromosomen fand man 1,44 Prozent Basenpaare, bei denen in einem der beiden Sequenzstränge eine Base durch eine andere ersetzt worden war. (Da man jetzt die Genauigkeit der Sequenzen so gut kennt, weiß man auch, dass bestenfalls 1 Prozent von diesen Unterschieden durch Fehler bei der Sequenzanalyse vorgetäuscht worden sein können).

Verblüffender war ein anderer Fund: Man entdeckte nicht weniger als 68.000 Regionen, wo kleine oder sogar größere DNA-Basensequenzen entweder verloren gegangen waren oder sich eingefügt hatten. (Im Genetiker-Jargon subsumiert man derartige Insertionen oder Deletionen kurz unter "Indels").

Die meisten der "Indels" sind nur Aneinanderreihungen von weniger als 30 Basen, aber es gibt auch längere Basensequenzen, einige davon sogar 54.000 Basenpaare lang. Unter den Indels, die etwa 300 Basenpaare lang sind, findet man häufig Sequenzabschnitte, die man als "übertragbare Elemente" kennt - DNA-Sequenzen, die neue Kopien von sich selbst herstellen und sie dann im ganzen Genom verteilen können.

Es war ein glücklicher Zufall, dass es für eine Reihe der 300 Basen-DNA-Abschnitte bereits analoge Daten von Gorillas und Orang-Utans gab, so dass man durch Vergleich feststellen konnte, in welcher Entwicklungslinie - derjenigen zu den Schimpansen oder erst auf dem Evolutionsweg zu den Menschen hin - die Veränderung aufgetreten war und ob dabei eine gegebene Sequenz in der einen Entwicklungslinie hinzugefügt oder in der anderen gelöscht worden war. Man weiß jetzt jedenfalls, dass eine dieser Sequenzen vor allem in der Entwicklungslinie zum Menschen aufgetreten war, nachdem sich die Evolutionslinie zu den heutigen Schimpansen von der gemeinsamen Linie bereits getrennt hatte.

Noch überraschender war allerdings ein weiteres Resultat aus der Analyse des Vergleichs der beiden Sequenzen. Die meisten Experten hatten vermutet, dass alle Unterschiede, die man aufspüren würde, überwiegend in den Basensequenzen zu finden sein müssten, die nicht für ein Gen codieren. Schließlich liegt die Information zum Bau von Proteinen in nur etwa 5 Prozent der Basenpaare verschlüsselt vor.

Auch heute weiß man noch nicht, welche Funktionen die restlichen 95 Prozent der Basenpaare haben, auch wenn man sich immer weniger vorstellen kann, dass sie nur funktionslose Relikte der Evolution seien. Wegen der großen Ähnlichkeit von Menschen und Schimpansen vermutete man, dass sich Veränderungen in der Basensequenz im Lauf der Evolution vorwiegend in den nicht-codierenden Basensequenzen halten würden, weil ihr Auftreten keine Information durcheinanderbringen und daher auch nicht zu defekten Proteinmolekülen führen könte.

Was man fand, entsprach aber nicht den Erwartungen: Die Information in nicht weniger als 83 Prozent der 231 codierenden Basensequenzen war durch die Veränderungen so abgewandelt worden, dass nach ihrer Bauanleitung Proteine synthetisiert wurden, welche eine veränderte Aminosäure-Sequenz hatten. Diese Proteine könnten auch in ihrer Funktionstüchtigkeit verändert worden sein.

Und genau um diese geänderte Funktion oder Effektivität der Proteine geht es, denn sie könnte - laut einer unter Experten populären Ansicht - erklären, warum sich Menschen so sehr von Schimpansen unterscheiden, obwohl ihre Basensequenzen doch so ähnlich sind. Gen ist nämlich nicht gleich Gen.

Zwei Arten von Genen

Biologen unterscheiden zwischen Strukturgenen und regulatorischen Genen. Strukturgene codieren für Enzyme, für Proteine, die den Zellen als Baumaterial dienen, für Proteine, die beim Transport anderer molekularer Zellbestandteile helfen, oder für Proteine, die bei den Mechanismen der Immunabwehr eine Rolle spielen. Regulatorische Gene dagegen codieren für Proteine, welche die Aktivität anderer Gene - seien es nun Strukturgene oder regulatorische Gene - steuern.

In jeder befruchteten Eizelle sind alle jene Gene enthalten, welche zur Entwicklung eines ausgewachsenen Organismus notwendig sind. Sie sind jedoch nicht alle zur gleichen Zeit und in allen Zelltypen eines Organismus aktiv. Aus der einen befruchteten Eizelle entsteht die große Vielfalt der auf eine Funktion spezialisierten Zellen durch Anschalten eines bestimmten Satzes von Zellen - in den Zellen der Niere ist ein anderer Satz von Genen aktiv als etwa in denen der Leber. Es sind die regulatorischen Gene, deren Aktivität bestimmt, welche Gene zu welchem Zeitpunkt in einer Zelle an- oder abgeschaltet werden.

Mutationen in diesen regulatorischen Genen können dramatische Auswirkungen für die sich entwickelnden Organismen haben. Man vermutet, dass es relativ wenige regulatorische Gene sind, die in der Entwicklung eine Schlüsselrolle spielen. Es scheint, als ob bei der Evolution der Menschen große phänotypische Veränderungen durch Veränderungen einer nur kleinen Zahl von Genen ausgelöst worden wären.

Dieser Vermutung nach könnten auch die dramatischen Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen durch relativ wenige Mutationen in den regulatorischen Genen ausgelöst worden sein.

Die Autoren der jüngsten "Nature"- Ausgabe konnten es sich nicht versagen, dazu wenigstens einige, wenngleich sehr vorläufige Vergleiche anzustellen, indem sie das Aktivierungsmuster der Gene auf dem menschlichen Chromosom 21 und dem Schimpansenchromosom 22 in zwei verschiedenen Zelltypen untersuchten. Dabei fand man die erwarteten Unterschiede, und sie waren verblüffend groß: in diesen beiden Zelltypen unterschied sich das Muster der Genaktivierung bei etwa 20 Prozent der Gene!

Dieses Resultat steht im Einklang mit vor zwei Jahren veröffentlichten Resultaten des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Dort untersuchte man die verschiedenen Gen-Expressionsmuster in Zellen aus dem Gehirn, der Leber und in Blutproben von Menschen, Schimpansen, Makakken und Orang-Utans. Dazu isolierte man die RNA-Moleküle aus diesen Zellen und analysierte die Zusammensetzung des erhaltenen Gemischs aus verschiedenen RNA-Molekülen, die aus RNA-Basen zusammengesetzt sind, deren Sequenz so etwas wie eine Arbeitsabschrift der in den angeschalteten Genen vorliegenden genetischen Information ist.

In Blut- und Leberzellen fand man dabei relativ wenige Unterschiede. Ganz anders in den Zellen aus dem Hirn der Primaten (die übrigens alle eines natürlichen Todes gestorben waren). Da zeigten sich große Unterschiede in der Genexpression zwischen den Menschen und Schimpansen, während die Genexpression in den Hirnzellen von Schimpansen derjenigen anderer Primaten sehr ähnlich war.

Das Leipziger Team deutete seine Resultate als Belege dafür, dass irgendwann in der jüngeren Evolution der Primaten sich das menschliche Hirn schneller zu evolvieren begann als das Gehirn anderer Primaten. Die Beschleunigung des Evolutionstempos des menschlichen Gehirns scheint in der zu den Menschen führenden Evolutionslinie eingesetzt zu haben, nachdem die zu den Schimpansen führende Linie bereits von der gemeinsamen Evolutionslinie abgezweigt war.

Das spricht wiederum für die Vermutung, dass die entscheidenden Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen in den kognitiven Fähigkeiten der Menschen liegen, die in der evolutionsgeschichtlich jungen Phase beschleunigter Evolution entstanden sind. Dabei entwickelten sich auch neue Fähigkeiten zur Weitergabe von Informationen über die Generationsgrenze hinaus. Das erst hat jenes Wechselspiel zwischen kultureller und biologischer Evolution möglich gemacht, welches die spezifisch menschlichen Fähigkeiten stärker beeinflusst hat als irgendein anderer Evolutionsfaktor.

Zur Erhellung dieses Wechselspiels können Gensequenzen aber nur bedingt beitragen: sie sind bloß ein Baustein in einem faszinierenden komplexen Puzzle.

Literatur: The International Chimpanzee Chromosom 22 Consortium: DNA Sequence and comparative Analysis of Chimpanzee Chromosome; 22. Nature 429, vom 27. Mai 2004, S. 382-388.

Jean Weissenbach: Differences with the Relatives. Nature 429 vom 27. Mai 2004, S. 353.

Maynard V. Olson, Ajit Varki: Sequencing the Chimpanzee Genome: Insights into Human Evolution and Disease. Nature Reviews Genetics 4 (2003) S. 20-28.

Freitag, 04. Juni 2004

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