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Wer hat den Kosmos geordnet?

Walter Thirrings Suche nach Gottes Spuren in den Naturgesetzen
Von Peter Markl

Als am 30. März 2004 Walter Thirrings "Kosmische Impressionen" von seinem Verleger Otto Molden im Theatersaal der Akademie der Wissenschaften präsentiert wurde, konnte der Saal die vielen Zuhörer, die gekommen waren, bei weitem nicht fassen. Hier wurde ein Buch präsentiert, das sich viele Kollegen und Schüler Thirrings seit langem gewünscht hatten. Der Wissenschaftler aus der Weltelite der mathematischen Physiker, der das Glück hatte, den großen alten Baumeistern des wissenschaftlichen Weltbildes zu begegnen und mit ihnen die aktuellen Entwicklungen zu diskutieren, gibt hier persönliche Erinnerungen an Einstein, Heisenberg, Schrödinger und Pauli preis. Diese haben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grundlagen der Revolution im Weltbild der Physik geschaffen und gehörten jener Generation von Physikern an, auf deren Leben und wissenschaftliche Leistungen nach den Schatten der aufkommenden faschistischen Regime das versengende Licht der ersten Atombomben fiel.
Auch Hans Thirring, Walter Thirrings Vater, war ein außerordentlichen Physiker, der mit vielen der führenden Physiker seiner Generation in engem Kontakt stand. Er wurde 1921 an der Universität Wien auf den Lehrstuhl für Theoretische Physik berufen, und ist 1938 von den Nationalsozialisten wegen seiner politischen Haltung von der Universität verbannt worden. Walter Thirring, der 1927 geboren ist, wurde 1943 - noch keine sechzehn Jahre alt - als Flakhelfer eingezogen. Er hat seine abenteuerlichen Kriegserlebnisse vor Jahren schon beschrieben. Sie haben ihn die Schrecken des Krieges und die Brüchigkeit des moralischen Gerüsts von Menschen gelehrt und trugen vielleicht dazu bei, dass ihm die Grenzen des physikalisch Erklärbaren immer präsent blieben.
Als die Nazi-Herrschaft 1945 vorbei war, hatte Walter Thirring zwar keine Matura, wohl aber in nur drei Monaten die 600 Seiten des berühmten Lehrbuchs der Theoretischen Physik von Joos durchstudiert, so dass ihn der bekannte Innsbrucker Physiker Arthur March, mit dem er sich vorher über Physik unterhalten hatte, ohne Maturazeugnis inskribieren ließ. Als diese formale Inkorrektheit im Frühjahr 1949 aufflog, hatte er bereits sein Studium der Physik an der Universität Wien mit Auszeichnung abgeschlossen.

Intensive Lehrjahre

Was dann begann, war eine Lehrzeit, um die ihn heute jeder Postgraduate nur beneiden kann. In nur neun Jahren arbeitete er unter anderem bei Schrödinger am Dublin Institute for Advanced Studies, war Assistent an Werner Heisenbergs Max Planck-Institut für Physik in Göttingen, arbeitete mit Wolfgang Pauli an der ETH Zürich, war Gastprofessor am MIT und an der Universität Seattle und Mitglied des Princeton Institute for Advanced Studies, wo er Einstein traf. 1959 kam er dann mit einem Ordinariat für Theoretische Physik wieder zurück an die Universität Wien.
Es gehört sicher auch zu den glücklichen Fügungen, dass die Kosmologie - ein Gebiet, das Walter Thirring seit seiner Jugend faszinierte - in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts eine Entwicklung nahm, von der 1950 noch kaum jemand zu träumen gewagt hätte.
Dafür gab es zwei Gründe: Zum einen führten die Fortschritte in der Theoretischen Physik und Astrophysik dazu, dass in diesen Jahrzehnten jene physikalischen Theorien geschaffen wurden, welche die Grundlagen der heutigen kosmologischen Theorien bilden.
Zum anderen gab es ungeheure Fortschritte hinsichtlich der Möglichkeiten, kosmologische Hypothesen experimentell zu prüfen. Die Kosmologie ist dadurch endgültig von einem System weitgehend metaphysischer Spekulationen zu einer empirischen Wissenschaft geworden.
Was Walter Thirring jetzt in einem schmalen Band vorgelegt hat, ist ein Bericht aus erster Hand über das intellektuelle Abenteuer der Entwicklung der Kosmologie, wie ihn nur wenige hätten schreiben können. Seine wissenschaftliche Karriere ist gekennzeichnet durch "eine fast unfassbare Breite der Gebiete, zu denen er tiefe Beiträge leistete" - so der Mathematiker und Physiker Elliott Lieb aus Princeton. Thirrings Arbeiten reichen von Beiträgen zur Kenntnis der fundamentalen Strukturen des Mikrokosmos über die statistische Mechanik der kondensierten Materie bis zur Arbeit an der Weiterentwicklung der allgemeinen Relativitätstheorie. So spannt sich ein Bogen von der durch die Quantenfeldtheorie unter Vernachlässigung der Schwerkraft beschriebenen Mikrophysik zur von der Gravitation geprägten Makrophysik, welche die allgemeine Relativitätstheorie beschreibt. Dass man so lange mit einem Nebeneinander dieser Theorien leben konnte, liegt einzig daran, dass sie auf verschiedene Systeme angewandt wurden, so dass die logischen Widersprüche zwischen ihnen nie sichtbar wurden.
In den letzten Jahrzehnten ist aber immer klarer geworden, dass man die tiefsten Probleme im Weltbild der heutigen Physik nur lösen kann, wenn man besser versteht, was im frühen Universum vor sich ging: Damals, wenige Bruchteile einer Sekunde nach dem Big Bang, lag die Materie-Energie des Universums so dicht gepackt vor, dass zu ihrem Verständnis sowohl die Gravitationstheorie als auch die Quantenfeldtheorie angewandt werden müssen, weil keine der beiden Typen von Wechselwirkungen so klein gewesen sein kann, dass man sie vernachlässigen könnte. Gesucht ist also eine übergreifende Theorie, welche das frühe Universum beschriebe.
Makrokosmos und Mikrokosmos, und erst recht das frühe Universum liegen von den mesokosmischen Alltagserfahrungen, an welche die biologische Evolution das Erkenntnisvermögen der Menschen angepasst hat, so weit entfernt, dass sie nur mit Hilfe der Mathematik zugänglich werden. Walter Thirring arbeitete daran, die grundlegenden physikalischen Theorien durch rigorose Analyse und Weiterentwicklung ihrer mathematischen Strukturen zu reformieren. (Das auf seine Anregung hin 1993 in Wien gegründete Internationale Erwin Schrödinger Institut für mathematische Physik ist mittlerweile zu einem weltweit führenden Forschungszentrum auf diesem Gebiet geworden.)
Vielleicht nähert man sich Thirrings schmalem Band am schnellsten, indem man skizziert, was das Buch nicht ist. Es ist nicht eigentlich ein populärwissenschaftliches Werk, auch wenn Thirring einige der bewährteren Tricks dieses Genres einsetzt, um Themen und Probleme klarer zu machen. Dazu gehören auch Anekdoten über die großen Physiker, mit denen er diskutierte. Sie illustrieren neben deren Denkweise auch die Gnadenlosigkeit, mit der selbst die größten unter ihnen - Einstein, Heisenberg oder Schrödinger - durch die von den Jüngeren weitergeführte wissenschaftliche Entwicklung ins Abseits gedrängt wurden. Als Thirring mit ihnen diskutierte, hingen sie noch Träumen nach, welche die Jüngeren schon nicht mehr hatten. Einstein war nur mehr schockiert über die quantenphysikalischen Ideen, mit denen Thirring die Möglichkeit der Erzeugung von Teilchen aus dem Nichts erklären wollte. So waren die großen Lehrer auf dem Weg, verehrte Leitfossilien zu werden, deren Einwände man nicht mehr allzu ernst nahm und deren Ideen untergingen, auch wenn sie - wie die Jüngeren später herausfanden - sehr fruchtbar hätten werden können.

Kosmologie auch für Laien

Obwohl gerade die Kosmologie dazu einlädt, wird man in diesem Buch keine explizite Diskussion von methodischen oder erkenntnistheoretischen Ideen finden - auch wenn es eine Fundgrube realistischer Beispiele dafür ist, wie man in der Forschung mit solchen Problemen umgeht.
Was man in dem Buch findet, könnte die Niederschrift von Gesprächen an einem verlängerten Wochenende sein, an dem Walter Thirring einem mathematisch und physikalisch sehr unterschiedlich vorgebildeten Freundeskreis geduldig versucht, an charakteristischen Beispielen und Episoden die Resultate und Ergebnisse der modernen Kosmologie verständlich zu machen. Das heterogene Publikum bleibt natürlich ein Problem, aber Thirring versucht, dem durch fingierte Dialoge oder Berichte über den Verlauf von Computerspielen, welche zentrale Aspekte des Themas erhellen, Rechnung zu tragen. Alles, was über die elementare Mathematik hinausgeht, verbannt er in kurze Anhänge, in denen man auch zu kleinen Übungen eingeladen wird - Einladungen, denen man folgen kann oder nicht. Welchen Weg man auch wählt, Thirring resümiert die entscheidenden Punkte immer wieder, so dass ihre Relevanz für seine spezifische Sicht der Kosmologie sichtbar wird.
Was er vorschlägt, ist eine theistische Deutung der Kosmologie, welcher der Pastor William Paley als lange überfälligem Update seiner 1802 geschriebenen "Natürlichen Theologie" sehr zustimmen würde.
Viele Wissenschaftler haben die "Harmonia Mundi" als Resultat eines göttlichen Planes erlebt. In diesem Sinn glaubten sie an einen Gott, auch wenn sie sich nicht darüber äußerten, welche Spuren welchen Gottes sie im Kosmos ahnten: des Gottes der Christen? Oder der Götter anderer Religionen? Ist es ein Gott, für den die Menschen nicht nur Geschöpfe unter vielen sind, sondern ein persönlicher und vielleicht sogar gütiger Gott? (Albert Einstein etwa mochte an einen persönlichen Gott nicht glauben, auch wenn er die oft missverstandene Gewohnheit hatte, seine Meinung in Metaphern zu formulieren, in denen ein persönlicher Gott vorzukommen schien.)
Walter Thirring glaubt nicht nur vage an einen Gott, der den Kosmos geschaffen hat, sondern - in einer nicht kirchengebundenen Weise - an den Schöpfer-Gott der Christen, der für ihn auch ein persönlicher Gott ist. Er macht aber nachdrücklich klar, dass nichts in seinem Buch einem Gottesbeweis gleich kommt. Solche Überlegungen waren natürlich Jahrhunderte lang ein Einfallstor für theologische Spekulationen, aber Thirring blockt ganz entschieden ab: Über die Ehrfurcht vor Gott hinausgehenden "theologischen Spekulationen kann ich nicht folgen, teilweise finde ich sie blasphemisch. Wie können wir uns anmaßen, Gott in unserem logischen Gespinst einzufangen. Mich persönlich berühren nur einfache Aussagen, wie die Gleichnisse oder die sieben Bitten des Vaterunser im Neuen Testament. Ich will daher nicht sagen, die Ordnung des Kosmos beweise die Existenz Gottes. Ich bevorzuge die Formulierung des von Beethoven so herrlich vertonten Psalms Davids: 'Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre' ".
Wahrscheinlich kennen alle Musikfreunde - und Walter Thirring ist ein großer Liebhaber und Kenner klassischer Musik - solche Emotionen. Das Erlebnis der Mathäuspassion von Bach führt selbst bei vielen Atheisten oder Agnostikern regelmäßig zu emotionalen Turbulenzen. Für Thirring ist aber auch die Feinabstimmung in der Evolution des Kosmos ein Indiz für die Existenz eines Schöpfers. Die Gesetze, denen die Evolution des Kosmos folgt, müssen zwei Aspekte enthalten: den Zustand eines Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt und die deterministischen Gesetzen folgende Veränderung dieses Zustandes im Lauf der Zeit. Wenn man die Anfangszustände des Systems genau kennt, ist es also möglich, künftige Zustände zu berechnen. Die Quantenphysik zeigt jedoch, dass eine gleichzeitige Kenntnis aller Parameter der Anfangszustände, von der man in der klassischen Physik noch ausging, prinzipiell unmöglich ist. Aber bereits in der klassischen Physik stieß man auf zusätzliche Grenzen der Vorhersagbarkeit: die unvermeidlichen experimentellen Messfehler machen es unmöglich, alle Anfangszustände genau zu ermitteln. Beide Quellen der Unbestimmtheit machen Voraussagen nur für einen bestimmten Zeitraum mit hinreichender Genauigkeit möglich - die Voraussagekraft der Naturgesetze schwindet im Lauf der Zeit. Jenseits einer gewissen Zeitgrenze kann man bestenfalls noch feststellen, dass ein bestimmter Zustand erklärbar ist, weil es einen Anfangszustand gibt, aus dem er den deterministischen Zeitgesetzen zufolge hervorgegangen sein könnte. Die heutige Physik zeigt jedoch darüber hinaus, dass der Anfangszustand durch die Naturgesetze keinesfalls vollständig festgelegt ist. Dadurch kommt ein Element der Zufälligkeit ins Spiel. Thirring analysiert in faszinierenden Kapiteln das Wechselspiel von zum Teil zufälligen Anfangsbedingungen mit den deterministischen Gesetzen, das zukünftige Systemzustände hervorbringt.

Der Geist als Krönung

Unter diesem Aspekt gesehen, ist Thirrings Buch der Versuch einer Korrektur von Jaques Monods einflussreichem Buch "Zufall und Notwendigkeit", in dem Monod die Menschen als zufälliges Produkt der Evolution in einem sinnleeren und fremden Universum beschrieb; oder eine Entgegnung auf Steven Weinbergs Buch "Die ersten drei Minuten", in dem das Universum desto sinnleerer und teilnahmsloser erscheint, je mehr man über seine Entwicklung herausfindet. Walter Thirring ist der gegenteiligen Meinung: "Obgleich alles nach gewissen Grundgesetzen verläuft, entscheiden in allen Entwicklungsstufen der Evolution Zufälle und leiten sie so, dass der Kosmos schließlich durch den menschlichen Geist gekrönt wird".
Kein Wunder, dass es Kardinal König noch in seinen letzten Lebenstagen wichtig war, für dieses Buch, das er als einen neuen Beitrag zur Diskussion zwischen dem christlichen Glauben und den Naturwissenschaften ansah, ein Geleitwort zu schreiben.
Wahrscheinlich aber steht die Mehrheit der Kosmologen heute Steven Weinbergs Sicht der Kosmologie näher als Thirrings christlich geprägter Weltanschauung. Weinberg endete seinen 1999 geschriebenen, sehr polemischen Essay über die Vorstellung von einem "Designer Universum" mit sehr prägnanten Sätzen: "Auch wenn es die Wissenschaft intelligenten Menschen nicht unmöglich gemacht hat, religiös zu sein, so hat sie es ihnen doch ermöglicht, nicht religiös zu sein. Wir sollten auf diese Errungenschaft nicht wieder verzichten." Man ist versucht zu vermuten, dass Walter Thirring für diese Position mehr Respekt hat als Steven Weinberg für die Sicht seiner religiösen Kollegen.Literatur: Walter Thirring: Kosmische Impressionen. Gottes Spuren in den Naturgesetzen. Molden Verlag Wien, 2004, 216 Seiten.

Freitag, 21. Mai 2004

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