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Übervater Konrad

Zum 100. Geburtstag des Nobelpreisträgers Konrad Lorenz
Von Walter Sontag

Heute wäre Konrad Lorenz 100 Jahre alt geworden. 14 Jahre nach seinem Tod ist dieser österreichische Nobelpreisträger hierzulande im öffentlichen Bewusstsein noch außerordentlich präsent. Das ist überaus bemerkenswert, bedenkt man, dass es Naturwissenschaftler, zumal verblichene, in der allgemeinen Wahrnehmung von vornherein besonders schwer haben und dass andere populäre und herausragende Persönlichkeiten, denen eine glänzende Erinnerungsära nach dem Ableben vorhergesagt wurde, doch bald dem Vergessen anheimfielen.

Zudem betrachteten die meisten Verhaltensforscher die Arbeitsweise und Befunde des Ethologen Lorenz spätestens seit den 70er Jahren mit Skepsis oder zumindest sehr reserviert. Allerdings besaß Lorenz ohne Zweifel Charisma, wozu auch die markante, stimmige Physiognomie ihren Teil beitrug. In dieser ein wenig schillernden Gestalt verband sich gleichwohl auf glaubwürdige Weise die Fähigkeit zum Lebensgenuss mit einer Kompetenz und Vertrauen ausstrahlenden Ernsthaftigkeit, kurz: Wärme mit Autorität. Er war eben nicht der asketische Experimentator, der in einem sterilen Labor die Knöpfe irgendeines Apparates betätigte, sondern der unkonventionelle, natürlich wirkende Gelehrte, der mit Gänse- und Entenkindern anschaulich in den Auen planschte oder den Motor eines Autos zerlegte, um ihn dann wieder zusammenzusetzen.

Lorenz wusste bereits die Medien geschickt zu nutzen - freilich noch auf weniger aufdringlichem Niveau, als es in der grellen, banausenhaft vermassten Quotendespotie von heute üblich und wohl auch gefordert ist. Seine Popularität baute sich gewissermaßen auf festen Fundamenten auf, nämlich den Büchern, die als Zeugnisse eines erdverbundenen, tier- und menschenverständigen Professors ausgesprochene Best-, ja Longseller wurden. Schon in Titeln wie "So kam der Mensch auf den Hund" und "Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen", die den Charakter geflügelter Worte erlangten, klingt es an: Hier spricht eine maßgebliche Instanz mit "Bodenhaftung". Bis heute finden diese populären ethologischen Klassiker Leser und Käufer.

Ehrgeiz und Opportunismus

In den letzten Jahren hat ein vollkommen "unethologischer Aspekt" das Interesse an Lorenz wesentlich mit bestimmt: dessen Verhalten in der Vergangenheit, namentlich in der Nazi-Zeit. Andere versuchten sich an der "Aufarbeitung" der unterschlagenen Details. Lorenz selbst war damit auf typisch österreichische Art umgegangen: vergessen, verschweigen, schließlich die "Irrtümer" eingestehen - aber mehr nicht. Dabei agierte seinerzeit ja nicht etwa ein menschenverachtender "Bösewicht". Dieser "Viechermensch" war eigentlich einzig und allein von seinen Tieren besessen. Alles andere stand bestenfalls im Rang einer Nebensache. Doch wirkten auf eine ganz bürgerliche, erschreckend gängige Weise Ehrgeiz und Opportunismus, zeithistorische Verblendung und sicherlich auch fachliche Fehleinschätzungen während den dreißiger Jahren zusammen.

Verstärkend kam das zielstrebige, selbstbewusste Auftreten des tiervernarrten Doktors der Medizin hinzu. Die Interpretation der eigenen Beobachtungen und der gesammelten Befunde passte bestens zum braunen Zeitgeist und leistete dadurch seinem beruflichen Fortkommen nützliche Dienste. Allerdings ist deutlich hervorzuheben, dass die Schlussfolgerungen tatsächlich seiner innersten fachlichen Überzeugung entsprachen. Bis zum Tod hielt er, vielleicht mit gewissen Modifikationen, daran fest. Darüber hinaus hätte er sich am Ende seines Lebens als Wissenschaftler in gewissem Sinn durch neue Forschungsergebnisse sogar bestätigt fühlen können. Denn abgesehen von der exakten Formulierung biologischer Mechanismen oder Strategien, erfuhr das Prinzip des genetischen Einflusses im Verhalten zunehmend Anerkennung in weiten Kreisen. Seit dem Aufstieg der Soziobiologie in den siebziger Jahren feiert der Nachweis genetischer Kräfte im tierlichen Mit- und Gegeneinander fast täglich Triumphe, selbst in der Lernpsychologie - zum Entsetzen reiner Milieutheoretiker, ja fast zum Hohn der einst bedeutenden puristischen Behaviorismusgemeinde. Kruder hätten sich die Erbwissenschaften nicht in der Verhaltensbiologie etablieren können. Was in der "alten" klassischen Ethologie Lorenz-Tinbergen'scher Prägung umstritten, ja verpönt war, setzte in der Verhaltensökologie und Soziobiologie mit dem Image raffinierter Hypothesen, komplexer Statistik und molekularer Marker zu einem beispiellosen Siegeszug an. Bezeichnenderweise blieb diese neu entstandene, "sekundäre" Nähe zwischen den ethologischen Pionieren und ihren Enkelgenerationen im allgemeinen Bewusstsein und im Feuilleton, ja sogar in der eigenen Disziplin bisher weitgehend unbeachtet.

Als die offensichtlichsten und tiefsten Berührungen zwischen Lorenz und dem NS-Regime müssen seine Tätigkeiten als Psychiater und Psychologe im Krieg gelten - zum Teil mit einschlägiger "völkischer" Themenstellung. Der deutschnationale Parteigänger kam freilich schon kurz nach der "Heimkehr" Hitlers in die Alpenrepublik in den Sog des strammen Kurses der neuen Machthaber: "Ich habe eben die von mir sachlich geschätzte Monika Holzapfel wegen jüdischer Abstammung abweisen müssen", führt er selber in einem Brief an Erwin Stresemann, den Nestor der deutschen Ornithologie, aus. Die spätere Berner Zoodirektorin wird sich übrigens ganz im Sinne der Lorenz'schen Ethologie und der Tierpsychologie mit viel zitierten Abhandlungen, etwa über das Spiel der Tiere, Appetenzverhalten und Auslösermechanismen, profilieren.

Der Privatzoo

In einem anderen, für ihn persönlich wesentlichen Punkt erhält Lorenz auf makabre Weise durch die "neue Entwicklung" Rückenwind: Das "Greterl", also seine Frau, rückte, wie der Verhaltensforscher kühl feststellt, "durch Rausschmiss polnischer Juden" im Brigittaspital zur kommissarischen Leiterin der Kinderabteilung auf; damit war die Finanzierung des Lorenz'schen Privatzoos gesichert. Kurzum: die Verstrickungen in der nationalsozialistischen Ära erweisen sich als Einbruch der zynisch-banalen Wirklichkeit in ein, wie viele Bewunderer glaubten, vermeintlich tadelloses, sogar überzeugendes Leben.

Aber Lorenz erweckt auch den gegenteiligen Eindruck: Zuweilen zeigt sich seine gemeinnützige Ader, ja ein missionarischer Humanismus. Denn den dunklen Seiten der eigenen Vergangenheit und dem fragwürdigen Umgang mit ihr stehen später zunehmend die echte Sorge um die Zukunft unseres ausgebeuteten Planeten und das engagierte Eintreten für den Umweltschutz gegenüber - auch für konkrete Projekte. Im Widerstand gegen den geplanten Kraftwerksbau bei Hainburg warf er bewusst das Gewicht seiner vielen Auszeichnungen und Ehrungen in die Waagschale und hatte Erfolg.

Einige Dutzend Kilometer flussaufwärts, in den Auen bei Altenburg, war er groß geworden - zumal als Wissenschaftler. Nun konnte er dem geliebten Lebensraum einen letzten Dienst erweisen. Über den spezifischen Streitfall hinaus gewann die öffentliche Auseinandersetzung eine wahrhaft historische Dimension. Der Sieg der Auenschützer veränderte Österreich: Die Untertanen der Zweiten Republik wurden zu Bürgern, die nicht mehr blind den Anweisungen der Macher und Fortschrittsgläubigen folgten. Ökologie erlangte eine Bedeutung im Diskurs und in der Zukunftsgestaltung.

Die Einlassungen des Forschers galten stets dem Individuum, dem einzelnen Menschen, dessen biologisch-psychologisches Erbe von der rasanten Entwicklung in Technik und Gesellschaft laufend überfordert werde. Einerseits gehe der Homo sapiens unserer Tage in der anonymen, technokratischen Massenzivilisation unter, andererseits korrumpiere sie ihn. Da dem Einzelnen die Verantwortung genommen werde, handle er im Kollektiv hyänenhaft. Der Antiklerikale wird zum Moralisten. Unerbittlich kritisiert er das szientistische, technomorphe Weltbild, das das Subjektive und Emotionale unterdrücke.

Die ruhmreiche Karriere führte den Verhaltenskundler von Altenberg und Wien über Königsberg - dort sozusagen auf den halben Lehrstuhl Immanuel Kants - ins Nachkriegs-Deutschland. Im Dienste der Max-Planck-Gesellschaft forschte er in Buldern und Seewiesen, bis er sich schließlich wieder nach Altenberg aufs Altenteil zurückzog. Die Königsberger Professur erfüllte Lorenz mit besonderem Stolz. Sie war gewissermaßen der erste nach außen sichtbare Ausdruck seines Weges zur so genannten "Rückseite des Spiegels", zur Evolutionären Erkenntnistheorie.

Was bleibt von Lorenz?

Welche Arbeiten haben Bestand? Zum anerkannten ethologischen Kanon zählt das Prinzip der "Formkonstanz" artcharakteristischer Bewegungen und Gebärden, das der versierte Ornithologe am Beispiel der Entenvögel zur Herleitung der verwandtschaftlichen Beziehungen einander nahestehender Spezies einsetzte. (Er stützte sich dabei auf die Anatidenstudie seines väterlichen Förderers Oskar Heinroth.) Dieses Vorgehen hat noch heute seine Berechtigung, wie neuerdings etwa an Ruderfüßern ("Pelikanartigen") bestätigt wurde. Hervorzuheben ist weiterhin die fundamentale "Kumpan-Arbeit", in der Lorenz den Kosmos des tierlichen Individuums in Funktionskreise unterteilte - eine geniale Idee, die andere Verhaltensforscher zu zahllosen Studien anregte. In dieser Untersuchung wurde auch der Begriff der Prägung in die Verhaltensbiologie eingeführt.

Weitgehend auf Ablehnung stieß dagegen die rigide Einteilung in angeborene und erlernte Anteile bestimmter Handlungsmuster. Die darin enthaltenen Thesen lösten, freilich auf hohem intellektuellen Niveau, eine enorm fruchtbare Diskussion aus. Als Exponenten dieser fairen Auseinandersetzung standen Lorenz als vehementer Verteidiger der dichotomen Trennung in der so genannten "Instinkt-Dressur-Verschränkung", Daniel Lehrman als gemäßigter Vertreter der amerikanischen Psychologen und Niko Tinbergen mit einer zwischen den beiden vermittelnden Position einander gegenüber.

Das umstrittene Triebkonzept

Bei der Beurteilung der Lorenz'schen Gedankenwelt wird ein nahe liegender psychologischer Aspekt meist ausgespart. Das umstrittene Triebkonzept mit Appetenzverhalten und gewissermaßen "befreiender" Endhandlung entsprang zwar dem Kopf eines Zoologen, dieser Zoologe wurde aber in Wien zum Mediziner promoviert, war vor den Toren der Stadt Freuds aufgewachsen und mit dem Denken des Psychoanalytikers durchaus vertraut. Merkwürdigerweise erfuhr die klassische Ethologie, vor allem die Vorstellung erblich festgelegter Komponenten, besonders heftige Kritik von psychologisch und pädagogisch durchdrungenen Widersachern, die ihrerseits mit Verbissenheit ebensolche oder alternative, schwer zu fassende Triebkonzepte vertraten. In der Verhaltensbiologie überdauerte das umstrittene "psychohydraulische" Modell zu- und abnehmender Motivationen dagegen bis heute bei all jenen Funktionsbereichen, die keiner akuten Auslese unterworfen sind, wie etwa die tierliche Körperpflege.

Der suggestive Elan, der Lorenz als Lehrer und im Disput auszeichnete, übertrug sich auch durch seine Schriften. Der damit verbundene Hang zum Apodiktischen war es, der mir noch vor dem Studium in manchen seiner Abhandlungen auffiel. Dieser zwiespältige Eindruck konnte zuweilen sogar abstoßen. Andererseits wusste der Tier- und Menschenbeobachter dem Leser bestechende Beobachtungen mitzuteilen, die dieser in seiner Wirklichkeit wiederfinden konnte. Die Wucht im Auftreten des ethologischen Altmeisters erlebte ich als zufälliger Zeuge bei einer Veranstaltung der Max-Planck-Geselschaft. Der Lorenz-Schüler Walter Heiligenberg hielt einen analytisch brillanten Vortrag über Fische. Doch bald fuhr "Übervater Konrad" dem jungen Referenten in die Parade und hielt einen regelrechten Gegenvortrag.

Die "Exekution" durch den Mentor schadete freilich dem Schüler nicht. Der begann bald darauf eine glänzende Karriere in den USA, der ein Flugzeugabsturz leider ein jähes Ende setzte. Nicht zuletzt durch den lebhaften transatlantischen Austausch zwischen den Forschungslaboratorien verbreitete sich das Gedankengut der europäischen Ethologengarde um Lorenz und Tinbergen rund um die Welt.

Weiterführende Literatur: Klaus Taschwer und Benedikt Föger: Konrad Lorenz Biografie. Zsolnay, Wien 2003.

Freitag, 07. November 2003

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