Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Portal zum österreichischen EU-Vorsitz 2006 Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Intellektuelle Ausflüge ins All

Hochsommerliche Hypothesen über außerirdisches Leben
Von Peter Markl

Jedes Jahr, wenn die Temperaturen höher steigen und auch die Nächte keine Abkühlung bringen, tauchen bestimmte Themen in den Zeitungen auf: das Ungeheuer von Loch Ness natürlich (Siehe dazu auch Seite 2 dieser "EXTRA"-Ausgabe!) und das Leben auf anderen Planeten. Das Jahr 2003 macht da keine Ausnahme. Das Ungeheuer von Loch Ness gab nur ein sehr kurzes Gastspiel, das Außerirdische wurde ausdauernder erörtert - von einfachen Mikroorganismen, bei denen man diskutieren kann, ob man ihnen jenseits abstrakter Definitionen überhaupt "Leben" zugestehen sollte, bis hin zu ET persönlich.

Das Interesse an der Möglichkeit von Leben im Weltraum wird von einer Reihe von Quellen gespeist und fraglos auch gezielt zur Förderung eigener Interessen wach gehalten. Neu ist das nicht: Es war schon ein seltsamer Anblick, als der Direktor der NASA 1996 sehr dürftige Belege für ein "Leben auf dem Mars" in bombastisch inszenierten Pressekonferenzen anbot - Indizien, an die schon damals nur die wenigsten unter den hinreichend Informierten glauben mochten. (Und ihre Zahl hat mittlerweile rapid abgenommen.)

Was die NASA besonders irritierte, war ein anschwellender Chor von Wissenschaftlern, der darauf hinwies, wie wenig an grundlegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen die bemannte Weltraumfahrt gebracht hätte - ganz im Gegensatz zur unbemannten Erkundung des Weltraums mit ihren das Weltbild revolutionierenden Ergebnissen.

Jetzt, da das tragische Ende des letzten Space-Shuttle-Fluges die Risiken der bemannten Raumfahrt so drastisch vor Augen geführt hat und es keine konkreteren Pläne für die Fortsetzung der bemannten Raumfahrt gibt, hat die Propagierung von ET und seinen Vorläufern eine andere Funktion. Die Public Relation Manager der NASA sind dazu übergegangen, die weitreichenden Pläne für die unbemannte Erkundigung des Weltraums krisenfester zu machen, indem sie auch Argumente propagieren, welche - über die Gemeinde der Wissenschaftler hinaus - die Fantasie der Leute so sehr fesseln können, dass die wissenschaftlich faszinierenden Aspekte der unbemannten Raumfahrt nicht dem Selbsterhaltungstrieb amerikanischer Senatoren zum Opfer fallen können.

Jetzt aber haben die Propagatoren der Möglichkeit extraterrestrischen Lebens hochrangige Unterstützung bekommen: sehr informiert, wenn auch etwas zaghaft, gewinnt Sir Martin Rees, Englands Royal Astronomer, der Suche nach dem Leben im Weltraum einige Reize ab, und Paul Davies, der als Theoretischer Physiker am "Australian Center for Astrobiology" in Sidney arbeitet, äußert sich dazu in einem etwas wüsten Rundumschlag.

Angesichts der Tatsache, dass man bisher im Weltraum auch nicht die geringste Spur von Leben gefunden hat, ist schon der Name des Zentrums in Sidney einigermaßen kühn, und entsprechend verwegen sind auch die Argumente, mit denen Paul Davies aufwartet. Manche Theoretischen Physiker hängen anscheinend insgeheim noch der alten Ansicht an, dass eigentlich nur die Theoretische Physik "wirkliche, harte Wissenschaft" sei - der Rest ist für sie eine Art von simpler Faktenhuberei, auf die man sich am besten nicht einlässt, wenn man keine Zeit verlieren möchte. Zeitverschwendung scheint für Davies auch die Beschäftigung mit den Details der abiotischen Synthese der Biomoleküle und ihrer Selbstorganisation unter den Bedingungen der frühen Erdzeit zu sein - ein breites Wissensgebiet, auf dem Hunderte von Chemikern, Molekularbiologen und Physikern arbeiten, die ihre Ergebnisse in Dutzenden von Zeitschriften publizieren und auf zahllosen Konferenzen diskutieren.

Paul Davies winkt entschieden ab. Seiner Ansicht nach bringt das alles nichts: "Niemand", so dekretiert er in einem jüngst im "New Scientist" erschienenen Artikel, "weiß, wie sich ein Gemisch lebloser Moleküle in einem Selbstorganisationsprozess spontan zur ersten lebenden Zelle zusammenfügte". Nicht gerade zu seinem Vorteil fügt er an: "Es könnte eine direkte Aufeinanderfolge nicht weiter ungewöhnlicher chemischer Reaktionen gewesen sein oder ein bizarrer Zufall".

Zufall und Zeitmangel

Die von Davies anscheinend irgendwie ernst genommene Vorstellung, ein einziger bizarrer Zufall hätte die erste lebende Zelle entstehen lassen können, ist von großer Komik. Ein Cartoonist zeichnete einmal einen Maler, der mit Grandezza einen bunt zusammengemischten Kübel mit Farbe auf eine Leinwand schüttet und sich Sekunden später zu seinem Schrecken der spontan entstandenen Mona Lisa gegenüber sieht. Wenn ein Aufsatz diese Möglichkeit ernsthaft als Erklärung für die Entstehung von etwas so Komplexem wie der Mona Lisa - oder eben der ersten Zelle - in Erwägung zieht, werden die meisten Experten für molekulare Evolution die Lektüre wohl sofort abbrechen.

Es wird ihnen dann aber entgehen, dass Davies das Übel lokalisiert hat und einen alternativen, wenn auch nicht gerade billigen Ausweg anbietet. Seiner Ansicht nach entspringen alle Erklärungsschwierigkeiten der bedauerlichen Tatsache, dass man nur eine Art von Leben kennt - das Leben auf der Erde. Was man bräuchte, wäre seiner Ansicht nach ein zweites Exemplar von Leben, und das dürfte nur im Weltraum aufzutreiben sein.

Womit man bei der "Astrobiologie" angekommen wäre. Paul Davies hat etwas entdeckt, das ihm eine hinreichend stabile Abschussrampe für raketengleiche intellektuelle Ausflüge in den Weltraum zu sein scheint - dorthin, wo das Weltall ein weiteres Mal Leben hervorgebracht haben könnte. Er baut auf ein uraltes Argument gottesfürchtiger Kreationisten, das besagt, Leben sei etwas so Komplexes, dass die auf der Erde zu seiner Evolution Darwin verfügbare Zeit zu kurz gewesen sei. Es müsse sich daher um eine Schöpfung Gottes handeln.

Paul Davies sieht das nicht so schlicht. Er lässt Gott aus dem Spiel, sucht nach mehr Zeit und findet sie - erraten! - im Weltall, auf anderen Planeten.

Die Frage, wie das Leben entstand, wird dabei einer Lösung keinen Schritt näher gebracht - sie wird nur in den Weltraum exportiert. Damit handelt man sich aber offensichtlich ein neues, zusätzliches Problem ein: wie ist das Leben von anderen Planeten auf die Erde gekommen?

Die Vorstellung, das Leben könnte außerirdischen Ursprungs sein, ist natürlich sehr alt. Schon 1906 hat Svante Arrhenius zur Diskussion gestellt, ob die Keime des irdischen Lebens nicht Schwärme von Bakterien gewesen sein könnten, welche das Sternenlicht durch die interstellaren Räume unserer Galaxie trieb. Der naheliegende Einwand dagegen ist, dass es sich dabei bestenfalls um tote Bakterien gehandelt haben könnte, weil der hohe Strahlungspegel im Weltraum alles Leben abtötet.

Aber schon 1871 - also vor Arrhenius - hat Lord Kelvin ein anderes Szenario entworfen. Er hielt es für möglich, dass die ersten Keime von Leben im Inneren von riesigen Meteoriten - und damit abgeschirmt von der mörderischen Strahlung - auf der Erde gelandet sein könnten. Diese Felsbrocken könnten in der Frühzeit des Planetensystems durch ein interstellares Bombardement aus Planeten herausgeschlagen worden sein, auf denen das Leben genügend Zeit gehabt haben könnte, sich zu entwickeln. Nach Sichtung alles dessen, was man heute über Planeten in unserem Sonnensystem herausgefunden hat, würde man in erster Linie auf den Mars tippen - vorausgesetzt, dass an solchen Überlegungen überhaupt etwas dran ist.

Aber das ist eben die Frage, vor allem, wenn man wie Davies Zeitmangel als den überzeugendsten Grund für den Export des Problems in den Weltall sieht. All diesen Vorstellungen liegen verschlungene Ketten von empirisch belegten Fakten und ad hoc erfundenen Vermutungen zu Grunde, welche ihrerseits mehr Probleme aufwerfen als sie lösen. Sie gehen jedoch alle davon aus, dass jene Zeitspanne, welche die präbiologische und biologische Evolution auf der Erde gehabt hat, nicht ausgereicht haben kann.

Und zu dieser Theorie werden ihre Verfechter nur dadurch verleitet, dass sie sich nicht vorstellen können, wie es bei der Entstehung des Lebens auf der Erde zugegangen sein könnte. Die Frage ist nur, ob damit die Notwendigkeit der Evolution des Lebens auf anderen Sternen bewiesen ist - oder ob sich nicht lediglich die Grenzen der Vorstellungskraft einiger etwas verquerer Denker unter den Theoretischen Physikern dokumentieren.

Sir Martin Rees ist da ganz anderer Ansicht. Ihm erscheint die Erklärungsskizze, welche die heutigen Evolutionstheoretiker für die Prozesse der Selbstorganisation der Materie in ersten lebenden Zellen anzubieten haben, zwar vielleicht als noch etwas vorläufiger, als es die Naturwissenschaft ohnehin ist, aber er hält eine befriedigendere Erklärung der Prinzipien, welche bei der Entstehung des Lebens eine Rolle gespielt haben müssen, nicht für unmöglich. Auch scheint er nicht zu bezweifeln, dass man einer realistischen Beschreibung der wichtigsten Stationen dieses historischen Prozesses auf der Erde näher kommen wird. Trotzdem findet er die Frage nach der Existenz von außerirdischen Leben interessant: "Wenn das Leben sich in unserem Sonnensystem zweimal entwickelt hätte, und nicht nur von einem kosmischen Habitat zu einem anderen transferiert worden wäre, dann würde es sicher auch auf Planeten, die um andere Sterne kreisen, vorkommen. Wir würden daraus sofort schließen, dass unser Universum Milliarden von Lebensräumen enthält, wo irgendeine Form von Leben existiert oder zumindest noch Spuren von vergangenem Leben zu finden sind."

Wo würde ET wohnen?

Er konstatiert allerdings ganz nüchtern, dass ein Leben, welches man sich in unserem Sonnensystem, etwa auf dem Mars oder dem Jupitermond Europa, bestenfalls vorstellen kann, unmöglich fortgeschrittenes Leben sein kann. Wenn es ET gibt, dann lebt er außerhalb unseres Sonnensystems.

Die überwiegende Mehrheit derjenigen Wissenschaftler, die mit Gedanken an außerirdisches Leben spielen, ist allerdings der Ansicht, bei der Evolution von den primitivsten Lebensformen zu höheren Lebewesen spiele der Zufall eine so große Rolle, dass man - wie es Steven Jay Gould in seinem großen Buch "Zufall Mensch" ausgedrückt hat - zu ganz anderen Formen höheren Lebens kommen würde, wenn man versuchte, den Film des Lebens, von einem gleichen Ausgangspunkt ausgehend, nochmals ablaufen zu lassen.

Jack Cohen und Ian Stewart haben in ihrem Buch "Evolving Aliens" jedenfalls mit der Vorstellung gespielt, dass solche Lebensformen sehr verschieden voneinander sein könnten, weil sie sich in verschiedenen Umwelten entwickelt hätten und daher jede in ihren eigenen Lebensraum angepasst sein müssten. Sie würden diese Vielfalt nicht verwunderlicher finden als etwa die Tatsache, dass alle Leute Beine haben, die genau so lang sind, dass sie gerade den Boden erreichen.

Wer die Hoffnung nicht aufgeben will, dass trotz aller Unwahrscheinlichkeit irgendwo dort draußen ein ET und damit etwas dem Menschen Ähnliches lebt, hat in einem der renommiertesten Außenseiter unter den erstklassigen Experten für die Evolution im Großen einen Mitstreiter: Simon Conway Morris ist ganz anderer Ansicht als Steven Jay Gould. Das Leben, so insistiert er, hat gar nicht so viele Möglichkeiten. Unter Umweltbedingungen, die dem Leben auf der Erde hinreichend vergleichbar wären, würden wegen der allgegenwärtigen Konvergenz der Evolution mit einiger Notwendigkeit Lebewesen entstehen, welche ebenso über Sprachfähigkeit, Intelligenz, soziale Systeme und fortgeschrittene Technologien verfügen würden wie die Menschen auf der Erde. (Man wird den Eindruck nicht los, dass Morris durch die dominierende Persönlichkeit von Steven Jay Gould in eine Ecke gedrängt wurde, in die er sich ohne seinen legendären Streit mit Gould nicht begeben hätte.)

Wenn Morris recht hat, dann müssten unter den Aliens Populationen sein, die sich schon viel längere Zeit entwickelt haben als der Mensch. Doch fragt man sich dann wirklich - wie es übrigens schon Enrico Fermi halb im Scherz getan hat - warum sie sich bei uns noch nicht gemeldet haben?

Natürlich gibt es Leute, die behaupten, sie hätten sich ja gemeldet, doch sei man störrisch entschlossen, dies nicht zur Kenntnis zu nehmen. Martin Rees drängt sich allerdings die Frage auf: "Wenn die Aliens wirklich die intellektuellen Fähigkeiten und die Technologie hätten, die Erde erreichen zu können, warum sollten sie sich darauf beschränken, ein paar Kornfelder zu plündern und einige bekannte Spinner zu entführen?"

Vielleicht aber haben sie sich wenigstens über Funk gemeldet, mittels der Signale, nach denen das SETI-Institut im kalifornischen Mountain View seit 40 Jahren mit immer raffinierter werdenden Methoden fahndet? Vielleicht hat man die Signale sogar empfangen, sie aber nicht als informationstragend erkannt? Dieses überwiegend privat finanzierte Institut ist der Mittelpunkt einer großen Fan-Gemeinde. Öffentliche Forschungsgelder sind für dieses Institut nur schwer aufzutreiben, obwohl die benötigten Beträge - verglichen mit anderen öffentlich geförderten Forschungsvorhaben - eher klein sind.

Martin Rees, führendes Mitglied des wissenschaftlichen Establishments in England, sonst im Umgang vorsichtig höflich und gegen jede Verführung durch etwas anrüchig erscheinende modische Vorhaben denkbar immun, musste wahrscheinlich über seinen Schatten springen, als er den Satz schrieb: "Wäre ich ein amerikanischer Wissenschaftler, der vor dem Kongress als Experte vernommen wird, würde ich mich bei der Empfehlung, SETI mit einigen wenigen Millionen Dollar zu fördern, besser fühlen als beim Eintreten für die Vergabe weiterer Geldmittel für ein konventionelles Weltraumprojekt oder einen neuen Teilchenbeschleuniger."

Literatur: Martin Rees: Is there life beyond Earth? New Scientist, 12. Juli 2003, Seite 24 bis 27.

Paul Davies: Born lucky. New Scientist, 12. Juli 2003, Seite 32 bis 35.

Freitag, 01. August 2003

Aktuell

Kampf um Religionsfreiheit
Religionsfreiheit und Religionskonflikte sind im heutigen Europa brisante Themen
Kopftücher und falsche Nasen
Zwischen rigider Männermoral und westlichem Modernismus: Die Lage der Frauen im Iran
Endspiel mit Samuel Beckett
Zum 100. Geburtstag eines einflussreichen Pioniers der zeitgenössischen Kunst

1 2 3

Lexikon


W

Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum