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Die Schönheit der Doppelhelix

Das DNA-Molekülmodell wurde zur modernen Ikone
Von Peter Markl

Es ist nicht gerade häufig, dass man die Geburt einer Ikone genau datieren kann. Im Fall der Doppelhelix aber ist das Datum präzis festzumachen: es war am 25. April 1953, vor genau 50 Jahren.

Damals erschien in der Zeitschrift "Nature" jener Artikel über den räumlichen Bau der DNA, der James Watson und Francis Crick zwölf Jahre später den Nobelpreis für Medizin eintrug. Es gab nur eine einfache und nicht sehr informative Abbildung, die Odile Crick mit der Hand skizziert hatte: eine Doppelhelix aus zwei DNA-Molekülen, symbolisiert als zwei ineinander verschlungene Bänder, zusammengefügt durch chemische Bindungen, welche durch verbindende Balken angedeutet waren. Zur "Ikone" wurde die Doppelhelix allerdings erst, nachdem Watson 1968 seine Version der Vorgeschichte dieses Molekülmodells in einem sehr persönlichen und bis heute umstrittenen Buch veröffentlicht hatte.

Watson war 1951 als ein 22-jähriger, nicht weiter bemerkenswerter, amerikanischer Post-Doc im berühmten Cavandish Laboratorium in Cambridge aufgetaucht. Nur zwei Jahre später war er unter Wissenschaftlern weltberühmt.

Das Cavendish Laboratorium beherbergte damals auch die erste, heute bereits legendäre Generation von Molekularbiologen, für die der englische Medical Research Council erst 1962 ein eigenes Laboratorium baute. Auch wenn man vorher gezwungen war, unter heute unvorstellbar beengten Raumverhältnissen zu arbeiten, die Atmosphäre, die Max Perutz geschaffen hatte, war schon damals einmalig stimulierend. (An dieser Stelle wurde kürzlich schon einmal darüber berichtet.)

Röntgenstrukturanalyse

Das Auftauchen von James Watson gerade in diesem Moment war ein glücklicher Zufall - für Watson und das Laboratorium. Für Watson, weil er dort Francis Crick traf, der eigentlich Physik studiert hatte und eben daran war, auszuarbeiten, welche Röntgenbeugungsmuster Moleküle mit einer Helix-Struktur liefern würden. Watson, der anfangs von Röntgenstrukturanalyse nicht die leiseste Ahnung hatte, geriet in den intellektuellen Sog des älteren Francis Crick. Sie bildeten ein ideales Team, weil Watson, der eigentlich Mikrobiologie studiert hatte, davon überzeugt war, dass das Geheimnis der Mechanismen der Weitergabe der Erbinformation irgendwie im räumlichen Bau der DNA-Moleküle liegen müsste.

Die berühmte erste Veröffentlichung las sich für Außenseiter auch weithin wie eine kristallographische Arbeit über die Struktur eines großen organischen Moleküls. Was diese Struktur für die Biologie bedeutete, haben Watson und Crick erst in einer zweiten, am 30. Mai 1953 wiederum in der "Nature" veröffentlichten Arbeit beschrieben.

Sir Peter Medawar, Nobelpreisträger für Medizin und glänzender Essayist obendrein, hat damals beschrieben, worauf der dann einsetzende, plötzliche wissenschaftliche Ruhm von Watson und Crick beruhte: "Es war eine große Entdeckung, deren Bedeutung weit über die Ermittlung des räumlichen Baues eines großen, komplizierten und wichtigen Moleküls hinausging." Das Modell versprach, die grundlegenden Prozesse der Weitergabe von genetischer Information durch chemische Wechselwirkungen erklären zu können: "Das Große an dieser Entdeckung war ihr umfassender Charakter, die Aura von etwas Endgültigem. Wenn Watson und Crick dabei gewesen wären, sich einer Antwort zu nähern; wenn sie eine nur teilweise Lösung ihres Problems veröffentlicht hätten, so dass es notwendig gewesen wäre, mit Korrekturen und Anmerkungen nachzubessern; wenn die endgültige Lösung erst nach und nach erarbeitet worden und nicht in blitzartigem Verstehen aufgetaucht wäre, dann wäre das immer noch eine große Episode in der Geschichte der Biologie gewesen, aber eben viel näher an der Art, wie so etwas normalerweise vor sich geht; etwas, das zwar außerordentlich gut gelungen war, aber nicht in so grandioser, romantischer Art zustande kam."

Nach der Veröffentlichung von Watsons Buch waren es dann vor allem drei Bilder des Wunderteams, die erst Monate später nachgestellt und mittlerweile so oft reproduziert wurden, dass der Pressefotograf Anthony Barrington Brown heute mit Wehmut daran denkt, wie viel Geld ihm entgangen ist, weil er nicht mitbekommen hatte, dass diese beiden etwas ausgefallenen Typen etwas zustande gebracht hatten, das einmal auch außerhalb von Cambridge Interesse erregen würde.

Das bekannteste dieser drei Fotos zeigt die Beiden vor einem jener Molekülmodelle, die sie damals gebastelt hatten - ein Modell, wie man es heute im Science Museum in London ausstellt, wobei man dort schwört, dass zumindest ein paar der Bausteine noch von dem berühmten Modell in Cambridge stammen sollen. Was man in solchen Modellen sehen kann, ist nur eine Art Skelett des Moleküls. Später ist man bald zu den Kalotten-Modellen übergegangen, bei denen die einzelnen Atome des Moleküls als kleine Kugeln raumerfüllend dargestellt werden. (Auch das kann übrigens zu Missverständnissen führen: als 1962 der neue Laboratoriumsbau eröffnet wurde, stand ein solches Kalottenmodell als Ausstellungsstück in der Eingangshalle. Eine Hofdame der englischen Königin hat damals dem etwas betretenen Max Perutz gestanden, dass sie gar nicht gewusst hätte, dass so viele kleine Kugeln in ihr wären.)

Ästhetische Aspekte

Vielleicht hat zu der großen Breitenwirkung der Helix-Struktur beigetragen, dass eine Doppelhelix auch einfach schön ist - etwas, das schon Leonardo da Vinci bewog, Doppelhelices zu zeichnen. (Vielleicht war er es, der den französischen König Franz I. dazu bewog, sich von dem italienischen Baumeister Domenico da Cortona 1519 in das königliche Schloss von Chambord an der Loire eine Stiege in Form einer Doppelwendel-Helix bauen zu lassen.)

Seit Watson und Crick und einer wahren Flut von Literatur, die in der DNA und ihrer Struktur das "Geheimnis des Lebens" durchschaut haben will, ist die DNA-Doppelhelix zu einer Art Ikone der modernen Wissenschaft geworden, der man kaum ausweichen kann.

Martin Kemp, Professor für Kunstgeschichte in Oxford und Spezialist für Geschichte, Funktion und Ästhetik wissenschaftlicher Abbildungen, sieht in der Doppelhelix so etwas wie die "Mona Lisa der modernen Wissenschaft", mit den Namen von Watson und Crick so verbunden wie der Name Leonardos mit seiner "Mona Lisa".

Es ist besonders die elegante dreidimensionale Form der Doppelhelix, welche dazu einlädt, auch in großformatigen Helices Modernität zu beschwören: von der 1998 von Roger Sperry entworfenen, riesigen DNA-Sequenz, die, mehrere Stockwerke hoch, das Zentrum des zentralen Treppenhaus des Life Sciences Addition Building der Universität von Kalifornien in Davis bildet, bis zu der eleganten, baumhohen Doppelhelix, die Charles Jencks im Jahr 2000 auf einem Hügel auf dem Grund des Cold Spring Harbor Laboratorium errichten ließ, dessen Direktor James Watson 1968 geworden war. Von der DNA- Doppelhelix abgeleitete Spiralen findet man auch auf einer Briefmarke, die Mark Curtis als Beitrag zur Milleniums Collection der britischen Post entworfen hat.

Vielleicht aber stammt der ausgefallendste Versuch, die assoziationsträchtigen DNA-Spiralen als Ikonen der Modernität einzusetzen, von Salvator Dalí. Er hat bereits früh DNA-Helices auf einem Bild auftauchen lassen: in dem 1957 bis 1958 gemalten, verspielten Bild "Schmetterlinglandschaft - der große Masturbator in surrealistischer Landschaft mit DNA".

Die Realität sieht anders aus

Wer nun glaubt, eine Ahnung davon zu haben, wie in jeder Zelle die DNA-Moleküle vorliegen, muss enttäuscht sein, wenn er hört, was man mittlerweile über die DNA in Zellen herausgefunden hat.

Was Watson und Crick beschrieben, war die starre Struktur nackter DNA-Kristalle, wie sie in den Zellen nie anzutreffen sind. Man sieht oft schematische Abbildungen von DNA-Helices, an Hand derer die Mechanismen beschrieben werden, wie die genetische Information in der Basensequenz der DNA-Moleküle abgelesen wird - die Sequenzen scheinen dabei so leicht zugänglich wie die offenen Seiten eines Buches. Oder man sieht die Abbildungen von Chromosomen, von denen versichert wird, dass sie aus den DNA-Fäden bestehen.

Die Hülle aus Protein

Beides ist falsch. Nackte Doppelhelices kommen in den Zellen nicht vor; das wertvolle Erbmaterial ist immer verpackt in eine Hülle von Proteinmolekülen, den sogenannten Histonen. Es bedarf eines komplizierten Mechanismus, um vorübergehend kurze Abschnitte des DNA-Moleküls zum Ablesen der genetischen Information zugänglich zu machen. Es stimmt zwar, dass die Chromosomen DNA enthalten, aber die ist so gut verpackt, dass in den Chromosomen etwa zwei Mal so viel Protein enthalten ist wie DNA. (Das war es schließlich, warum man so lange vermutete, dass dieses Protein die genetische Information trägt, und nicht die DNA.)

Man sieht die Chromosomen auch nur selten in der typischen X-Form, in der man sie meist abgebildet findet - so sehen sie eigentlich nur einige Stunden lang aus, wenn sich die Zelle auf eine Zellteilung vorbereitet und dazu die langen proteinumhüllten DNA-Fäden entwirrt. Normalerweise liegen sie als ein schlechthin unentwirrbar scheinender Knäuel im Zellkern vor, der die Lösung eines gigantischen Packungsproblems ist. Wenn man die etwa drei Millionen Basenpaare der DNA eines Menschen entwirren und in Form eines linearen Doppelmoleküls anordnen könnte, dann wäre dieser Faden etwa 1,8 Meter lang. Alle diese Basenpaare sind aber normalerweise in einen Zellkern gepackt, der einen Durchmesser von nur etwa 6 Millionstel Meter hat. Das kleinste menschliche Chromosom besteht aus einem etwa 14 mm langen Faden, der zu einem Chromosom von 2 Millionstel Meter Länge zusammengefaltet ist, was einem Packungsverhältnis von 7.000 entspricht. Die üblichen Lehrbuch-Abbildungen verführen dazu, sich den Zellkern als etwas vorzustellen, in dem einzelne DNA- Fäden in großer Verdünnung herumschwimmen. Die hohe Packungsdichte in der Gegend von 0,1 g pro Kubikzentimeter zeigt, dass man es hier mit einem hochviskosen Polymer-Gel zu tun hat, nicht unähnlich einer Gallerte.

"Nature"-Redakteur Philip Ball hat daran erinnert, dass es in einer ähnlich dichten Umgebung ist, wo die Reparatur von Schäden an der DNA und das Kopieren der Erbinformation vor sich gehen. Man ist hier in einer Grauzone des Wissens angelangt. "Wir sprechen", schreibt Philip Ball, "von molekularer Biologie und Zellbiologie, aber niemand spricht wirklich von der 'Mesobiologie'. Es ist aber hier, wo der größte Teil der Aktion abläuft: in Größenordnungen von vielleicht einigen wenigen bis zu mehreren hundert Tausendstel eines Millionstel Meters. Es scheint für die Prozesse der Replikation und Transkription (der genetischen Information), die wir uns immer noch als klare Wechselwirkungen zwischen Basenpaaren vorstellen, ganz entscheidend zu sein, wie die DNA in Räumen dieser Größenordnung angeordnet ist, aber es ist genau da, wo unser Verständnis die größten Lücken hat." Das kommt daher, dass diese Dimensionen, ganz wörtlich verstanden, ein schwieriger Mittelbereich sind. In diesem Bereich hat man es mit zu vielen Atomen zu tun, als dass man mit einer direkten Anwendung der molekularmechanischen Vorstellungen über das "Beugen" and "Zerbrechen" von Bindungen weit käme. Auf der anderen Seite aber bringt es auch nicht weiter, wenn man Räume dieser Größenordnung, die gepackt sind mit Gebilden, die durch Selbstorganisation von Einzelkomponenten entstanden sind, als Kontinuum beschreibt, dessen Eigenschaften sich aus einer Mittelung der Eigenschaften der Komponenten ermitteln ließen. Für das, was interessiert, spielen die Einzelkomponenten eine große Rolle, so dass jeder Versuch, die Vorgänge mit Kontinuum-Näherungen erfassen zu wollen, nicht weit führt.

Als Jaques Monod 1970 sein berühmtes Buch "Zufall und Notwendigkeit" schrieb, ging er davon aus, dass die DNA eine chemisch außerordentlich stabile Struktur sei. Heute weiß man, dass diese Stabilität das Resultat einer unablässigen Qualitätskontrolle durch ein ganzes Arsenal von Mechanismen ist, welche unvermeidliche Schäden mit solcher Effizienz wieder reparieren, dass die Mutationsrate nicht größer wird als es die Evolution als Ausgangsmaterial für die Selektion braucht.

Die Doppelhelix ist eine statische Ikone, die ein nicht minder falsches Bild nahe legt. In den letzten Jahren ist immer klarer geworden, dass man zur Beschreibung der entscheidenden Zellprozesse nicht nur die räumliche Struktur der Moleküle kennen muss, sondern auch wissen muss, wie sich diese Struktur mit der Zeit ändert. Es scheint, dass diese Änderungen nicht ein Spiel molekularen Zufalls sind oder Nebeneffekt anderer Prozesse, sondern eine wesentliche Funktion haben: Umfaltungen und Bewegungen der DNA-Moleküle könnten bei der Steuerung der Genaktivität eine Rolle spielen.

Literatur: 50th Anniversery of the Publication of the DNA Structure. Nature vom 23. Jänner 2003.

Freitag, 25. April 2003

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