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Ein arbeitsames Paradies

Nicht zufällig wurde die Doppelhelix in Cambridge entdeckt
Von Peter Markl

Man kann natürlich darüber streiten, ob es hilfreich ist - manchmal aber bringt es vielleicht doch etwas mehr ein als nur nostalgische Gefühle, wenn man sich zurücklehnt und zu fragen beginnt, was alles sich unwiederbringlich geändert hat, und wie es dazu gekommen ist. Gerade jetzt ist dazu ein guter Anlass. Vor fast genau 50 Jahren, am 25. April 1953, erschien in der englischen Zeitschrift "Nature", dem Flaggschiff der englischen Wissenschaft, ein nur etwa eine Seite langer Artikel, mit dem entschieden nicht reißerischen Titel: "Eine Struktur für die Desoxyribonukleinsäure"

In dem Artikel, der auf Röntgenaufnahmen basierte, welche die Autoren auf Wegen zu Gesicht bekommen hatten, die selbst heute noch als nicht ganz in Ordnung empfunden werden, schlugen die Autoren für den räumlichen Bau des Moleküls eine Doppelhelix-Struktur vor.

Der Artikel war das Produkt einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit zwischen Francis Crick, einem 37- jährigen englischen Physiker, der es bis dahin nicht zu einem ordentlichen Studienabschluss gebracht hatte und von Biologie, die ihn interessierte, nur das wusste, was er sich angelesen hatte, und dem 20-jährigen, eigentlich auf Vogelkunde spezialisierten James Watson aus Chicago, der zwar von Röntgenkristallographie nicht die leiseste Ahnung hatte, aber doch wenigstens Zoologie studiert hatte.

Über den Weg zu dem, was den beiden 1953 gelungen war, veröffentlichte Watson 15 Jahre später ein schmales Buch: "Die Doppelhelix" - ein reißerischer und über Strecken unfairer Erlebnisbericht, der mittlerweile in mehr als zwei Dutzend Sprachen übersetzt und mehr als eine Million Mal verkauft wurde.

Der anstrengende Watson

Berühmt war Watson allerdings schon vorher: Er hatte 1962 - zusammen mit Francis Crick und Maurice Wilkins - einen Nobelpreis erhalten und 1965 eine "Molekularbiologie des Gens" geschrieben, welche ein Meilenstein auf dem Weg zur Etablierung der molekularen Genetik war. 1968, das Jahr, in dem er seinen Erlebnisbericht veröffentlichte, war auch sonst ein Wendepunkt in seinem Leben: Er war mittlerweile 40 geworden und hatte in Harvard Elizabeth Lewis, eine hübsche 20-jährige Studentin - heute eine anerkannte Architektur-Historikerin - kennen gelernt und geheiratet. Die Ehe, die bis heute Bestand hat, löste das Problem, die Wochenenden ohne Date verbringen zu müssen, was Watson ewig beschäftigte. Nicht einmal der Nobelpreis hatte ihm sichere Dates garantieren können.

(Watson hat vor zwei Jahren eine Autobiographie geschrieben, die unter dem Titel: "Gene, Girls und Gamow" demnächst auch auf Deutsch erscheinen soll. Seine frustrierende Jagd nach einem Mädchen nimmt darin so viel Raum ein, dass der Leser nach der Lektüre mehr darüber weiß, als er je wissen wollte. Englischsprachige Rezensentinnen haben vor allem Christa Mayr, der Teenager-Tochter des großen Harvard-Evolutionstheoretikers Ernst Mayr dazu gratuliert, dass sie Watson ebenso entkommen ist wie etwa Rachel, Margot, Marietta und Linda).

Watsons aufreibende Persönlichkeit strapaziert noch heute seine Freunde und Bekannten, etwa wenn er Ansichten äußert, mit denen sie auf keinen Fall in Zusammenhang gebracht werden wollen. Er ist dickfellig und hält seine Ansichten nie zurück: "Nett", so hat er einmal gesagt, "das ist man doch nur, wenn man sonst nichts zu bieten hat."

Viele dieser Eigenschaften hatte er - weniger ausgeprägt - auch schon in den frühen Fünfzigerjahren, als er in Cambridge Francis Crick kennen lernte.

Wer heute liest, was Watson damals alles dazu fehlte, den räumlichen Bau einer so komplizierten Einheit wie das DNA-Molekül durch Kristallographie aufzuklären, ist versucht, einen großen Teil des Verdienstes Francis Crick zuzuschreiben.

Cricks Biographie nährt allerdings den Verdacht, dass auch er keine guten Chancen gehabt hätte, wenn er um Förderung bei der Aufklärung der DNA-Struktur angesucht hätte. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Mehrheit von Gutachtern von der damals noch vorherrschenden Meinung ausgegangen wäre, dass "das Geheimnis des Lebens" irgendwo in den Proteinen verborgen sei, wäre groß gewesen. Was Watson und Crick (mit einem kleinen Kreis anderer Wissenschaftler) diesen Experten voraus hatten, war die Überzeugung von der Bedeutung der DNA als Träger der Erbinformation.

Der genialische Crick

Doch war er der richtige Mann, dies zu beweisen? Heute müsste er einen beeindruckenden Lebenslauf vorlegen, gespickt mit dem Hinweis auf eine möglichst große Zahl von guten Veröffentlichungen. Denn nur so könnte er dokumentieren, dass das Fördergeld auf fruchtbaren Boden fallen würde.

Cricks Lebenslauf schien ihn dazu nicht gerade zu prädestinieren. Wie er in einem Gespräch sagte, war er zwar, solange er zurückdenken kann, an Naturwissenschaften interessiert gewesen, aber das waren in erster Linie Physik, Chemie und Mathematik - Biologie beschäftigte ihn nur am Rand. Dass er dann am University College in London Physik zu studieren begann, lag nur daran, dass er in Physik etwas besser war als in den anderen beiden Fächern. Als es an ein Diplom ging, sollte er einen Apparat zur Messung der Viskosität von Wasser bei Temperaturen über 100 Grad Celsius bauen, was ihm langweilig schien und auch nie zu einem Ergebnis führte, da der Krieg ausbrach, das Laboratorium geschlossen und später von einer deutschen Bombe zerstört wurde.

Crick wurde zu einem Marineforschungsinstitut eingezogen, wo er akustische und magnetische Minen baute und sich einige Kenntnisse in Magnetismus und Hydrodynamik anlas.

Als Crick 1947 das Marineinstitut verließ, war er 31 Jahre alt, hatte keine einzige Arbeit veröffentlicht, die er hätte vorzeigen können, und wusste nichts von Biologie und fast nichts von organischer Chemie oder Kristallographie. Mit einem Stipendium zog er dann nach Cambridge und sah sich nach Arbeit um, die er anfangs in einem Laboratorium für Gewebskulturen fand. Er kokettierte damit, Molekularbiologie zu studieren, die es als Fach damals noch gar nicht gab. 1949 wechselte er in das von Max Perutz neu gegründete Institut für Molekularbiologie des Medical Research Council und erst jetzt begann er sich ernsthafter mit Kristallographie zu beschäftigen. 1951, als James Watson - "ein komischer Kauz mit Bürstenschnitt" (Max Perutz) - an Cricks Tür klopfte, war er eben dabei, eine theoretische Arbeit über die Röntgenbeugungsstrukturen von Molekülen mit Helix-Struktur abzuschließen. Aber er war immer noch weitgehend frei von biologischen Kenntnissen.

Die beiden müssen ein bemerkenswertes Paar abgegeben haben. Was folgte, waren zwei Jahre der wechselseitigen Erziehung, die Max Perutz später etwas anders beschrieb als Watson in seinem Bestseller: "Watson hatte auf uns einen inspirierenden Einfluss, denn er brachte uns dazu, unsere Probleme genetisch zu betrachten. Er fragte nicht einfach: 'Was ist die Atomstruktur der lebenden Materie', sondern vor allem 'Was ist die Struktur der Gene, welche das Leben steuern?' Watsons Frage fiel bei Crick auf fruchtbaren Boden, weil er bereits begonnen hatte, in ähnlicher Richtung zu denken. Beide trugen eine souveräne Arroganz zur Schau und gaben sich als Intellektuelle, die ihresgleichen selten begegnet waren. Crick war groß, blond und penibel gekleidet, sprach in scharf akzentuiertem British English und unterbrach seine wohlüberlegten Sätze nur ab und zu durch Ausbrüche jovialen Gelächters, das durch das ganze Labor dröhnte. Watson gab sich partout als das genaue Gegenteil, rannte wie ein Landstreicher durch die Gegend und gab damit an, seine Schuhe ein ganzes Semester lang nicht geputzt zu haben - das galt damals als exzentrisch. Er ließ ab und zu mit leiser monotoner Stimme nasale Bemerkungen vernehmen und das Ende jedes Satzes in einem Schnauben untergehen. Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass sie Dummheit nicht ertragen konnten. Crick machte schneidende Bemerkungen über falsche Schlüsse und Watson las bei langweiligen Seminaren demonstrativ die Zeitung.

Sie hatten so etwas wie ein Lehrer-Schüler-Verhältnis zueinander, denn es gab nur wenig, was Watson Crick lehren konnte, aber vieles, das Crick Watson beibrachte. Crick hatte umfangreiche Kenntnisse auf dem Gebiet der schwersten aller Wissenschaften, der Physik. Watson wiederum wusste intuitiv, welche Merkmale die Struktur der DNA haben musste, um genetisch sinnvoll zu sein. Es scheint, dass Watson und Crick dann am meisten weiterbrachten, wenn sie am wenigsten zu arbeiten schienen. Aber sie brachten ein riesiges Pensum an harter Arbeit hinter sich, studierten oft nächtelang im Verborgenen, aber man sah sie nur miteinander diskutieren und anscheinend nichts arbeiten."

Heute ist man versucht zu sagen, dass es ein glücklicher Zufall war, dass die beiden einander trafen. Es war aber die von Max Perutz geschaffene Arbeitsatmosphäre in diesem Labor, welche eine solche Art der Zusammenarbeit möglich machte. Francis Crick hat später immer wieder betont, welche Freude es machte, unter solchen Bedingungen zu arbeiten: "Niemand hat uns gestört. Niemand kannte mich und kaum jemand kannte Jim. Ich bekam praktisch keine Briefe. Nichts von der Geschäftsatmosphäre, wenn man am Morgen hereinkommt und einen schrecklichen Stoß von Briefen vorfindet. Wenn ich, was einmal im Monat vorkam, einen Brief auf meinem Schreibtisch fand, war ich versucht, den Tag im Kalender rot anzumerken. Wir sind auch nicht viel gereist. Ein paar Leute kamen um uns in Cambridge zu besuchen. Der Druck, zu veröffentlichen, war nicht groß, wir hatten keine Angst, keine Arbeit zu bekommen."

Intensive Arbeitszeiten

Die Arbeitsintensität war jedoch enorm. Der englische Wissenschaftsjournalist Andrew Brown hat vor kurzem ein Buch über ein anderes Projekt geschrieben, das 1963 von Sidney Brenner am selben Institut gestartet worden war: das Projekt, die Entwicklung eines 1 mm langen, durchsichtigen Fadenwurms, C. elegans, von der befruchteten Eizelle bis zu dem etwa 1.000 Zellen des erwachsenen Organismus aufzuklären - ein Projekt, das zu drei 2002 verliehenen Nobelpreisen geführt hat.

Sidney Brenner, der damals allerdings bereits als unverständlicherweise übersehener Nobelpreiskandidat galt, hat den Antrag auf Förderung des Projekts im Herbst 1963 auf nur einer DIN-A4-Seite gestellt. Es war ein Antrag auf Förderung eines in seinem Ziel zwar sehr überzeugenden, methodisch aber kaum eingehend beschriebenen Projekts - zu erfüllen in unbestimmter Zeit mit nicht weiter detaillierten Kosten. (Es dauerte dann an die 20 Jahre).

Sein Antrag ging durch das Begutachtungsgremium, das für seine Entscheidung keine andere Grundlage hatte als die bewiesene Exzellenz des Antragstellers und die legendäre Arbeitsintensität in dem Laboratorium. Sidney Brenner selbst kam früh und ging selten vor 3 Uhr nachts. Judith Kimble, eine Amerikanerin, die 1977 in das Projekt eingestiegen war, beschreibt ihr Erlebnis so: "Das war die beste Zeit in meinem Leben. Das heißt - ich konnte die ersten sechs Monate nicht ausreichend schlafen. Es war so aufregend, dort zu sein, dass ich immer um 3 oder 4 Uhr morgens schlafen ging und um 8 Uhr schon wieder auf war. Erst nach sechs Monaten dieses Lebensrhythmus kam mir die Idee, dass das nicht vernünftig war. Der Tag im Labor begann um 9 Uhr. Man war dann bis 10.30 Uhr mit irgendwelchen leichteren Arbeiten beschäftigt, dann gab es Kaffe, eine dreiviertel Stunde lang mit Gesprächen. Ernsthafte Experimente begannen erst um etwa 4 Uhr nachmittags.

Bis dahin waren die Stunden erfüllt mit kleineren Arbeiten, unterbrochen von Lunch, Kaffee und Tee - voll mit Gesprächen mit Leuten, die gleich intelligent waren und in ihrer Arbeit so völlig aufgingen wie man selbst. Von 4 bis etwa 10 Uhr abends arbeitete man dann an den Versuchen, die man vorher diskutiert hatte. Um etwa 10 Uhr gab es eine Unterbrechung in der Kantine vis-a-vis, dann ging es bis um etwa Mitternacht wieder zurück ins Labor".

Freitag, 21. März 2003

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