Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Portal zum österreichischen EU-Vorsitz 2006 Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Urknall mit langem Nachhall

Neue Daten inspirieren neue kosmologische Theorien
Von Peter Markl

Nichts ist für eine Theorie schädlicher als der Zusammenstoß mit harten Fakten - kleinlich anmutende Versuchsergebnisse sind selbst für die geistreichsten, mathematisch schönsten und weitreichendsten Theorien tödlich. Verglichen mit anderen Naturwissenschaftlern hatten die Kosmologen lange Zeit ein relativ sorgloses Leben: Ihre Theorien über Entstehung, Strukturen und Evolution des Universums im Großen waren vor Widerlegungen weitgehend sicher, weil es so wenig experimentelle Tests für sie gab. Psychologisch hat das den Kosmologen gut getan: sie hatten sich natürlich auch in der Vergangenheit schon oft geirrt, waren ihrer Sache aber immer sehr sicher geblieben.

Das scheint jetzt vorderhand vorbei zu sein. Eine wahre Flut von Beobachtungsdaten hat das imposante Gebäude ihrer Theorien so weit ausgespült, dass von den alten Gewissheiten nur mehr wenig übrig geblieben ist, an dem der eine oder die andere nicht begründete Zweifel hätte. Vor allem aber: es passt alles in einem hohen Ausmaß nicht mehr zusammen, so dass in den letzten fünf Jahren die meisten Kosmologen zur Ansicht gekommen sind, es sei besser, offen einzugestehen, dass es weit klaffende Wissenslücken gebe, die nur mit Hilfe einer heute noch unbekannten Physik gestopft werden könnten. Das ganze Gebiet zeigt die klassischen Symptome einer revolutionären Übergangsphase mit verbleichenden Paradigmen, aus der man nur über eine radikale Revision des theoretischen Überbaues wieder in stillere Wasser kommen kann.

Der berühmte "Big Bang"

Was den Beginn des Universums betrifft, ist man sich auch heute noch sehr weitgehend einig: Das Universum begann mit einem "Big Bang". (Niemand hat eine Vermutung darüber, was den "Big Bang" ausgelöst haben könnte, und eine steigende Zahl von Dissidenten bezweifelt, dass es nur einen "Big Bang" gegeben hat.)

Auf die Frage nach dem Ende des Universums war man weniger dogmatisch: Man sah sein Schicksal lange Zeit dominiert durch die in ihm enthaltene Materie und war sicher die Antwort zu kennen, wenn man erst einmal die Materiedichte im Universum bestimmt hätte. Ob die Expansion des Universums, die mit dem Urknall begann, durch die der Expansion entgegenwirkenden anziehenden Gravitationskräfte zum Stillstand gebracht würde oder nicht, schien nur davon abzuhängen, wie viel Materie es im Universum gab.

Der Versuch, eine Art Masseninventar des Universums zu machen und daraus die mittlere Materiedichte zu errechnen, lieferte jedoch ein hartnäckiges Rätsel: Eine Analyse der Art, wie sich Sterne und Galaxien bewegen, zeigte, dass sie unter dem Einfluss von Gravitationskräften stehen, die - heutigen Theorien zufolge - von Massen verursacht werden, die weder Licht noch Wärme noch Radiowellen aussenden. Ihre Existenz lässt sich nur mittels der Gravitationstheorie aus den Auswirkungen der Gravitationskräfte, die sie zu verursachen scheinen, erschließen.

Belege für die Existenz einer solchen unsichtbaren "Dunklen Materie" haben sich in den letzten 20 Jahren so sehr angehäuft, dass die meisten Kosmologen schon seit einigen Jahren überzeugt sind, dass die sichtbare, gewöhnliche Materie bei weitem nicht ausreicht, um die beobachteten Auswirkungen der Gravitation zu erklären. Man blieb zwar bei der Vorstellung von einem Universum, dessen Schicksal von seiner Materiedichte bestimmt wird, auch wenn man eingestehen musste, dass es sich dabei nicht um die gewöhnliche Materie handeln kann und man bisher über die Natur der geheimnisvollen Dunklen Materie zwar ein Dickicht von Ideen gelegt, aber keinen Konsens geschaffen hat.

Das hat sich nicht geändert, auch wenn man die exotischsten Theorien ausprobiert hat - jede von ihnen ausgestattet mit der Tugend, Schwierigkeiten verschwinden zu lassen, welche bei konkurrierenden Theorien aufgetaucht waren, aber eben leider erkauft um den Preis neuer Probleme, welche diese Problemlösungsversuche ihrerseits aufwarfen.

Wie fing alles an?

Das in vielen Fassungen dabei immer wieder auftauchende zentrale Problem ist, dass die Frage nach der Natur der Dunklen Materie und ihrer Rolle in der Evolution des Universums nur beantwortet werden kann, wenn man die allerersten Anfänge des Universums in Betracht zieht: Jene Zeit also, in der sich das Universum, wie man es bis vor kurzem ganz gut zu kennen glaubte, erst entwickelt hat.

Zwingt man einen der führenden Kosmologen, Martin Reese, Professor in Cambridge und "Astronomer Royal" dazu, kurz zu erklären, wie weit er den heutigen Theorien über die Evolution des Universums vertraut, dann betont er, dass die heutigen Vorstellungen über die Evolution des Universums von der Sekunde nach dem "Big Bang" an im Wesentlichen richtig seien. Anders sein Urteil für die Zeit vorher: da sei alles noch hochspekulativ.

Es spricht aber vieles in den jetzigen Vorstellungen dafür, dass entscheidende Charakteristika des heutigen Universums bereits vorgeprägt waren, als das Universum nur einen unvorstellbar kleinen Bruchteil einer Sekunde alt war: Schon 10 -35 Sekunden nach dem Urknall könnte der "inflationäre" Prozess eingesetzt haben, in dem sich das Universum um den Faktor 1.050 aufblähte, wobei ein außerordentlich homogenes Universum entstand, in dem nur mehr minimale Inhomogenitäten aufgetreten sind, die aus der Zeit vorher stammen. Sie sind sozusagen die Saat für alle die größeren Zusammenballungen von Materie, die man heute beobachtet - von Sternen zu Galaxien zu Galaxienhaufen.

Einige dieser Inhomogenitäten findet man heute noch in der sonst im Universum extrem homogen auftretenden Hintergrundstrahlung, die man noch heute als Nachhall des Urknalls beobachten kann. Sie besteht aus Mikrowellen mit einer Temperatur von 2,735 Grad Kelvin über dem absoluten Nullpunkt, in denen man über den Raum verteilt Regionen findet, welche von diesem Wert nur einige Millionstel Grad abweichen.

Es ist die räumliche Verteilung dieser Fluktuationen im Universum, die man nun mit der vor im Juni 2001 gestarteten MAP-Weltraumsonde zum zweiten Mal - und dieses Mal mit bisher nie erreichter Auflösung - gemessen hat. Man hat die Sonde dazu an den L2-Lagrange-Punkt manövriert: 1,5 Millionen Kilometer entfernt von der Erde, wo die Gravitationskraft der Erde und der Sonne die Sonde in einer relativ zur Erde stabilen Position halten.

Die neuen Daten

Anfang Februar wurde nun von der NASA die erste Auswertung der im Laufe eines Jahres gesammelten Daten veröffentlicht.

Sie sind ein Meilenstein in der Erforschung des Kosmos und eine triumphale Bestätigung der Überlegenheit der unbemannten Raumsonden über die bemannte Raumforschung. Die Auswertung der aufgespürten Temperaturdifferenzen, ihrer räumlichen Verteilung und die Messung auch der Polarisation der Mikrowellen lieferte eine Vielzahl von Informationen, welche auch für die Beantwortung der einfachsten Fragen über das Universum relevant sind:

Die Unsicherheit im Hinblick auf das Alter des Universums ist viel geringer geworden: Das Universum ist 13,7 (plus/minus 1 Prozent) Milliarden Jahre alt.

Man hat nun einen neuen, viel genaueren Wert für die Expansionsgeschwindigkeit des Universums, die so genannte Hubble-Konstante, deren Bestimmung in der Vergangenheit so weit streuende Werte gegeben hatte, dass viele sie für die variabelste aller Konstanten hielten. Jetziger Wert (in den etwas abstrusen Einheiten der Asronomen) mit einer geschätzten Genauigkeit von 5 Prozent: 71 km/Sekunde/einer Millionen Parsec (wobei ein Parsec 3,26 Lichtjahren entspricht).

Dunkle Materien und Energien

Man hat neue Werte über die Zusammensetzung des Universums, welche die alte Vorstellung, dass das Schicksal des Universums von seinem Materiegehalt bestimmt wird, widerlegen. Es gibt nur relativ wenig Materie im Universum und die besteht nur zu einem geringen Teil aus Materie, wie man sie kennt.

Das Universum ist dominiert von einer Form von Energie, deren Ursprung ebenso unbekannt ist. Im Detail besteht das Universum aus:

4 Prozent gewöhnlicher Materie,

23 Prozent Dunkler Materie unbekannter Natur,

75 ProzenzDunkler Energie unbekannter Natur.

Diese Daten bestimmen nach der Relativitätstheorie auch, wie es mit dem Universum weitergeht: Die Expansion des Universums wird nie enden.

Das Universum ist "flach" und hat damit genau die Geometrie, die man aus der Schule kennt. (Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn der Raum an sich könnte auch im Großen gekrümmt sein, so wie er es - der allgemeinen Gravitationstheorie nach - in der Nähe extrem massiver Körper ist.)

Die Materie des Universums ballte sich unter dem Einfluss der Gravitation immer weiter zusammen, bis die dadurch frei werdende Energie die Zusammenballungen so weit aufgeheizt hatte, dass die ersten Kernfusionsreaktionen - die Energiequelle der Sterne - zündeten: Das war vor etwa 200 Millionen Jahren und damit wesentlich früher, als man bisher angenommen hatte.

Die neuen Daten stützen die Theorie von der Existenz eines Urknalls und sie fördern auch die Theorie von einer inflationären Phase in der Evolution des Universums, welche die "Big Bang"-Theorie dort ergänzt, wo sie keine Vorhersagen trifft.

Offene Fragen

Die "Big Bang"-Theorie kann zwar das Spektrum der kosmischen Hintergrundstrahlung und die Entstehung der leichten Elemente erklären, aber sie lässt doch einige nahe liegende Fragen offen: Warum ist das Universum - im Großen gesehen - so uniform? Wieso hat es so gewaltige Dimensionen? Wie kommt es zu den anfänglichen Schwankungen in der Materie- und Energiedichte, welche letztlich dann auch bei der Bildung der großen Strukturen im Universum eine Rolle gespielt haben?

Antworten darauf gibt die Theorie vom "inflationären Universum", die nun von den neuen Messungen eine weitere Stütze erhält. Diese Theorie, von der es verschiedene Versionen gibt, war lange Zeit sehr umstritten: Für die meisten Physiker, die aus der Hochenergieteilchen-Physik kamen, hatte diese Theorie, auch wenn es für sie kaum experimentelle Belege gab, eine große Schönheit.

Andere, die aus anderen Sparten der Physik oder Mathematik kamen, waren entschieden weniger davon angetan - etwa der brillante mathematische Physiker Roger Penrose, der trotz seiner Liebe zu unorthodoxen Ansichten in der Inflationstheorie ein Plage sah, "mit der die Hochenergiephysiker die Kosmologen heimsuchen". Die Begeisterung mancher Hochenergiephysiker beeindruckte ihn wenig. "Schließlich", so hatte er angemerkt, "finden selbst die Erdferkel ihren Nachwuchs schön."

Roger Penrose könnte sich geirrt haben. Viele Beobachter meinen, dass die neuen Daten den Beginn eines neuen Zeitalters der Kosmologie markieren. Natürlich sind durch sie auch die alten Fragen zu neuer Aktualität gekommen: Woraus besteht die Dunkle Materie? Was ist die geheimnisvolle Dunkle Energie?

Die Interessen der Hochenergiephysiker und Kosmologen werden sich aber wahrscheinlich in Zukunft immer weiter überschneiden, schon weil es wenig Zweifel daran gibt, dass die Antworten irgendwo auf dem zurzeit brisantesten Gebiet der theoretischen Physik liegen werden: Dort, wo man nach einer gemeinsamen Theorie sucht, welche es möglich macht, alle Gravitationsphänomene und bisher nur quantentheoretisch zu fassenden Phänomene zu beschreiben - also vielleicht in irgendeiner Form der Stringtheorien oder der Quantengravitation.

Literatur: "New Scientist" vom 15. Februar 2003; Internet-Adresse des NASA-Teams der Microwave Anisotropy Probe:

http://map.gsfc.nasa.gov/m_mm.html

Freitag, 28. Februar 2003

Aktuell

Kampf um Religionsfreiheit
Religionsfreiheit und Religionskonflikte sind im heutigen Europa brisante Themen
Kopftücher und falsche Nasen
Zwischen rigider Männermoral und westlichem Modernismus: Die Lage der Frauen im Iran
Endspiel mit Samuel Beckett
Zum 100. Geburtstag eines einflussreichen Pioniers der zeitgenössischen Kunst

1 2 3

Lexikon


W

Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum