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Fortschritte mit Fragezeichen

Neue Therapien für die Gen-Krankheit Chorea Huntington
Von Thomas Hübner

Chorea Huntington ist eine Krankheit, für die niemand etwas kann. Sie hat nichts mit dem Rauchen, falscher Ernährung oder Bewegungsarmut zu tun. Diese Erkrankung, die immer tödlich endet, weil sie nach und nach das Gehirn zerstört, rührt von einem Fehler im Bauplan der menschlichen Zelle her, einem so genannten Gen-Defekt. Jetzt gibt es berechtigte Hoffnung für die Kranken, auch wenn die Forscher ihren Optimismus noch sehr vorsichtig äußern.

Einem französischen Forscherteam unter der Leitung des Neurochirurgen Marc Peschanski ist es gelungen, Zellen im Gehirn, die infolge von Chorea Huntington abgestorben waren, durch frisches Zellgewebe zu ersetzen. Für jeden Huntington-Patienten entnahmen die Chirurgen Nervengewebe aus vier bis sechs Embryonen, das sie dann jeweils mit einer Sonde über ein Bohrloch im Kopf an einem vorher genau bestimmten Platz einspritzten. Bei vier der fünf Patienten, die auf diese Art behandelt wurden, verwuchsen die implantierten Zellen mit ihrer Umgebung, und die Erkrankten profitierten enorm von dem schweren operativen Eingriff.

Patienten, die durch den sich ausbreitenden Zelltod die Kontrolle über ihren Körper mehr oder weniger stark verloren hatten, gewannen Eigenschaften wieder - konnten wieder auf der Gitarre spielen oder auf einem Fahrrad fahren.

Die auffälligste Besserung betrifft einen Teilnehmer der Studie, der an Armen und Beinen von derart starken, durch den Willen nicht kontrollierbaren Zuckungen geplagt war, dass er nicht mehr ruhig auf einem Stuhl sitzen konnte. Zwei Jahre nach der Operation sind seine Beeinträchtigungen bis auf gelegentliche Zuckungen im Gesicht vollständig verschwunden - ein großer Erfolg.

Oberarzt Dr. Peter H. Kraus, der im Huntington-Zentrum der Bochumer neurologischen Universitätsklinik arbeitet, begrüßt den Fortschritt, betont aber auch die Unsicherheiten dieser chirurgischen Methode: "Um den Erfolg zu bestätigen und sichere Ergebnisse zu bekommen, müssen wir noch mindestens fünf Jahre abwarten." Bis dahin könne niemand garantieren, dass der Erfolg dauerhaft sei.

Kein Mediziner kann bislang sagen, ob die gesunden Nervenzellen sich, wie erhofft, dauerhaft mit ihrer Umgebung verbinden und ob sie nicht etwa "nach einiger Zeit im Freien stehen", so Kraus, weil das Zellsterben in der Umgebung der Neuankömmlinge weiter geht. Auch besteht die Gefahr, dass den eingeschmuggelten Nervenzellen ihre neue Umgebung auf Dauer nicht bekommt, oder dass sich, wie im Tierversuch vereinzelt beobachtet, Tumore ausbilden.

Etwa 600 Menschen in Österreich sind von der Krankheit Chorea Huntington betroffen. Das Heimtückische: sie wird vererbt. Hat auch nur ein Elternteil diese Abnormität in seinem Zellbauplan, dann beträgt das Risiko, dass der Strickfehler im genetischen Muster sich auch auf die Kinder überträgt, 50 Prozent. In diesem Fall befindet sich dann auch in deren Erbgut ein Gen-Abschnitt, der sich zu häufig wiederholt - das heißt, sich bis zu viermal öfter als bei einem gesunden Menschen an der langen Kette des Erbmaterials aneinander reiht. Wird dann aufgrund der fehlerhaften Informationen aus diesem abnormalen Genabschnitt das so genannte Huntingtin hergestellt, ein Eiweißkörper, den der menschliche Organismus braucht, um zu überleben - dann gerät dieses Eiweiß ebenfalls viel zu lang in seiner Form.

Je länger das gebildete Eiweiß ist, desto früher tritt Chorea Huntington im Leben der Betroffenen auf, in deren Verlauf Hirnzellen des Gen-Trägers in großer Zahl absterben.

Um diese Krankheit zu heilen, sind nicht nur die Neurochirurgen auf der Suche nach einer Lösung. Dr. Kraus selbst arbeitet mit seinem Team an einer vielversprechenden Therapie, die vorsieht, die noch aktiven, arbeitsfähigen Gehirnzellen vor der todbringenden Wirkung des Huntingtin zu schützen. Er versucht sozusagen zu retten, was noch zu retten ist.

Dabei stützen sich die Forscher auf die Beobachtung, dass der zu lang geratene Eiweißkörper die Hirnzellen blockiert, indem er sich im Kern der Zelle anlagert und dort zu einem Eiweißknäuel verfilzt, das die Zelle selbst nicht mehr wegschaffen kann. Die dadurch fortschreitende, langsame "Vermüllung" des Zellkerns bringt die Zelle in eine Art Dauerstress, an der sie schließlich zugrunde geht.

Von einem Medikament namens Riluzol, das im Fall der Nervenkrankheit ALS, bei der ebenfalls Nervenzellen vorzeitig zugrunde gehen, bereits erfolgreich eingesetzt wird, erhofft sich Kraus, dass der Stoff die überreizten Nervenzellen so weit beruhigt, dass die Erschöpfung und das anschließende Absterben verzögert oder ganz verhindert werden. Erste Ergebnisse aus dieser europaweiten Studie mit 450 Teilnehmern erhofft sich Kraus in diesem Jahr - bis zu einem endgültigen Ergebnis dauert es aber nach seiner Aussage noch mindestens drei Jahre.

"Die eleganteste Lösung zur Therapierung von Chorea Huntington", erklärt Dr. Jean-Marc Burgunder, von der neurologischen Klinik in Bern "würde sicherlich die Gentechnik bieten." Allerdings scheint der Weg hier noch sehr weit. Die Forscher verfügen noch nicht über die entsprechenden Werkzeuge, um zum Beispiel den zu lang geratenen Gen-Abschnitt auf seine richtige Größe zurecht zu stutzen: "Man kann nicht mit einem Hammer eine Atomuhr reparieren", beschreibt Professor Dr. Jörg T. Epplen vom Institut für Humangenetik in Bochum den Stand der Forschung. Er forscht an der so genannten somatischen Gen-Therapie, von der die Forscher sich erhoffen, eines Tages die bereits ausgereiften Zellen eines Körpers reparieren zu können.

Epplen bedauert, dass eine andere Art des gentechnischen Zugriffs, die Keimbahntherapie, welche direkt nach der Befruchtung des weiblichen Eis ansetzt und damit alle Nachkommen von der Krankheit befreien könnte, von der Forschung aus ethischen Gründen kaum verfolgt wird. Bis eine wirksame Medizin für die Bekämpfung der Krankheitsursache zur Verfügung steht, bleibt nur die Symptombekämpfung.

Das Bochumer Huntington-Zentrum nutzt inzwischen eine neue Generation von Medikamenten, welche die Motorik wieder in geregeltere Bahnen bringen und zudem Depressionen, Angstzustände sowie Schlafstörungen bekämpfen. Begleitend lernen die Patienten durch intensives Bewegungstraining, sich ihren Körper, so weit es geht, wieder zurückzuerobern.

Das größte Aufsehen in der Huntington-Therapie erregt momentan sicherlich der Erfolg, der mit der chirurgischen Methode erzielt wurde. Aber bei dieser Art Behandlung werden die Vertreter der medizinischen Ethik ein Wort mitreden wollen. "Schließlich werden für jeden einzelnen operativen Eingriff die Zellen weniger Wochen alter Föten aus frisch vorgenommenen Abtreibungen benötigt", erklärt Burgunder, der auch leitender Medizinischer Beirat der Schweizer Huntington-Stiftung ist.

Freitag, 07. September 2001

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