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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this...

"Creation Science" hat der Evolutionstheorie den Krieg erklärt

Vor uns die Sintflut!

Von Christine Herner

Steve Austin ist Geologe und hat vielerlei Forschungsexpeditionen gemacht, beispielsweise zum Lava-Dom des Mt. St. Helens Vulkans oder zur berühmtesten Schlucht der Welt, dem Grand Canyon. Was er da herausgefunden hat, ruft bei anderen Geologen jedoch ungläubiges Kopfschütteln hervor. Während diese bei der Entstehungszeit geologischer Formationen von Millionen Jahren ausgehen, "weist" der "Kreationist" Austin Ergebnisse nach, die wie die Beschreibung einer "Instant-Schöpfung" klingen: "Ein Berg verändert sich in neun Stunden bis zur Unkenntlichkeit; Ödland bildet sich in fünf Tagen, Schluchten entstehen in fünf Monaten." Was die Forschungsergebnisse so besonders macht: Sie "beweisen", dass die Bibel doch Recht hat. Alles, was existiert, ob Gebirge, ob Mensch oder Tier, wurde - so steht's ja in der Genesis - in der Schöpfungswoche von Gott erschaffen, sechs Tage = 6.000 (bis 10.000) Jahre.

"Die Geschichte von der Evolution ist ja ganz nett", meint Ron Lyttle, ein Experte für Fledermäuse "wird sie aber durch Fakten unterstützt?" Natürlich, die Evolutionstheorie hat Löcher wie ein "Emmentaler Käse", wie der "Zeit"-Autor Jörg Albrecht meinte: "Es gibt keinen Gegenbeweis. Aber auch keinen Beweis für die Evolutionstheorie. Allenfalls Indizien. Und die sind rar." Dennoch herrscht in den modernen Wissenschaften eine fundamentale Einigkeit über ihre zentrale Rolle in der Natur. Alles Lug und Trug, lautet die Antwort des ICR, des 1972 gegründeten "Institute for Creation Research", das in der Nähe von San Diego liegt, einen Katzensprung von Silicon Valley entfernt. Mitglieder dieses think tank der kreationistischen Bewegung sind Wissenschaftler sämtlicher Sparten, von Geologie bis Astrophysik, von Biologie bis Mathematik, nur keine Theologen. Kritiker vermuten in der Wissenschaft die Hintertür, durch die sich in einer säkularisierten Welt der Glaube einschleichen soll. Während Papst Pius XII. schon 1950 in der Enzyklika "Humani Generis" zugestand, dass jeder Christ an jede wissenschaftliche Lehre glauben könne, sofern die Unsterblichkeit der Seele akzeptiert wird, und Papst Johannes Paul II. 1985 diesen kirchlichen Standpunkt bekräftigte, ist Hauptziel der Kreationisten, in den Schwächen der Evolutionstheorie herumzustochern, um diese unglaubwürdig zu machen.

Warum die Kreationisten diese so verteufeln: Wenn die Evolution wahr ist, gibt es keine Sünde. Wenn es keine Sünde gibt, gibt es auch keine Notwendigkeit der Errettung durch Jesus Christus, erklärt Richard Fox, Anthropologieprofessor an der University of South Dakota: "Die Motive der ,creation' Wissenschaftler sind wenig wissenschaftlich. Eher sind sie außerordentlich selbstsüchtig. Denn alles, was ihre Heilsfindung gefährdet ist falsch oder gar dämonischen Ursprungs." Kein Wunder also, dass es seit 1968 aus Sicht der Kreationisten mit den USA bergab geht: seit der Supreme Court damals entschied, dass an den Schulen "Evolution" gelehrt werden dürfe, steigen die Statistiken für Kriminalität, Drogenmissbrauch, Abtreibung, Scheidung drastisch an. "Der Zusammenhang liegt doch auf der Hand", sagt Kreationist Tom Willis, ein Ingenieur aus Missouri.

Das ICR schafft Abhilfe: In dem Land, das wissenschaftlich die Nase weit vorn hat und scharenweise Nobelpreisträger hervorbringt, legt das Institut seinen Mitarbeitern in spe ein Papier vor, in dem sie sich einverstanden erklären, auf akademische Freiheit zu verzichten und nichts zu veröffentlichen, was dem Dogma widerspricht.

Wissenschaftler, die teilweise von renommierten Universitäten wie Stanford und Berkeley kommen, die in "Nature" und "Science" veröffentlicht haben, müssen plötzlich auf wundersame Weise Basiswissen der modernen Naturwissenschaften "vergessen", vom Urknall bis zum Aussterben der Dinosaurier, von der Entdeckung Lucys bis zur Lichtgeschwindigkeit.

Die Hauptthesen

* Die Wiege der Menschheit liegt nicht in Ostafrika, sondern auf der Arche Noah, 450 Fuß lang.

* Es gibt keine Evolution mit einer natürlichen Selektion, wie Charles Darwin entdeckt hat, sondern Gott hat jeden Stern, jeden Stein und jede Tierart unabhängig voneinander aus dem Nichts erschaffen. Ergo: Mensch und Primaten sind nicht miteinander verwandt.

* Die Dinosaurier sind nicht vor 65 Millionen Jahren ausgestorben, sondern waren auf der Arche mit von der Partie und lebten, gemeinsam mit dem Menschen noch Jahrtausende, bis sie vor wenigen hundert Jahren infolge Überjagung ausgerottet wurden.

* Nicht Jahrmillionen und -milliarden währende geologische Prozesse sind am heutigen Aussehen der Erde schuld, sondern "catastrophism": Plötzlich auftretende Naturkatastrophen, allen voran die globale Sintflut.

Während sich zum Beispiel Wissenschaftler der C-14-Methode bedienen, um Altersbestimmungen von Holz oder anderen Gegenständen aus organischem Material durchzuführen, lehnen die Kreationisten diese rundweg ab: sie sei zu ungenau. Herkömmliche Wissenschaftler ziehen zur Präzisierung die Analyse arktischer Eisbohrkerne und die Dendrochonologie (Baumring-Analysen) heran; doch derlei bringt das Dogma in Bedrängnis und muss daher abgelehnt werden: Das "Klimaarchiv" der ältesten Baumringe reicht 8.000 Jahre zurück, das der Eisbohrkerne gar 150.000. Laut Bibel überlebte aber kein Wald die Sintflut.

Wenn alles schon feststeht, ist es dann nötig, überhaupt noch zu forschen? Oh ja. John D. Morris, Präsident des ICR hat schon 13 Expeditionen zum Berg Ararat hinter sich, denn der Beweis für das Objekt seiner Gewissheit, die Arche, steht noch aus.

Eine russische Niederlassung der Kreationisten, ein Forschunglabor, dessen Direktor der Meeresgeologe Alexander V. Lalomov ist, arbeitet seit 1994 auf Basis mathematischer Modelle für geologische Prozesse und hat eine Reihe Expeditionen auf dem Plan. In diesem Jahr soll es u. a. zum "Dinosaur Plateau" in Turkmenistan gehen. Neben 3.000 Dinosaurier-Fußabdrücken soll es im selben Gebiet auch menschliche Fußabdrücke geben. Während herkömmliche Wissenschaftler laut Lalomov "lieber erblinden, als zuzugeben, dass sie menschliche Fußabdrücke neben denen von Dinosauriern sehen", ist man auf Kreationisten-Seite, auch wenn man nicht fündig wird, fest entschlossen, das offizielle Alter der Kalkfelsen von 150 Millionen Jahren nicht anzuerkennen, dazu sei deren Erosion viel zu intensiv.

Während das russische "Lab" noch Sponsoren sucht, werden im kalifornischen ICR mit seinen neun fest angestellten Mitarbeitern und 15 Gastprofessoren jährlich stattliche 1,8 Millionen Dollar umgesetzt, durch den Verkauf von Büchern, CDs und Videos. Wie die GEO-Autoren Günther Mack und Katharina Bosse selbst erlebten, ist das ICR "kein Hort stiller Gelehrsamkeit, sondern eine Einsatzzentrale im Feldzug gegen einen gemeinsamen Gegner, den 'Evolutionismus' ". Das hier produzierte tägliche "1-Minuten-Radioprogramm" wird von rund 1.700 privaten Radiosendern ausgestrahlt, mit Erfolg. Einer Gallup-Umfrage zufolge sind 47 Prozent (kein Druckfehler!) aller US-Bürger vom kreationistischen Weltbild bereits voll und ganz überzeugt, weitere 40 Prozent mit gewissen Einschränkungen. Und nur magere 10 Prozent glauben ausschließlich an das evolutionäre Weltbild. Laut "Planet Project", dem weltweiten Internet-Abstimmungsprogramm der Vereinten Nationen, sind es in Europa durchschnittlich "nur" 18 Prozent, die an die Erschaffung des Menschen durch Gott glauben, sie schließen dabei aber die Evolution für die anderen Lebewesen nicht aus.

Kann man Laien noch Leichtgläubigkeit vermuten, so ist ein völliges Rätsel, wie die kreationistischen Wissenschaftler den Wechsel mental geschafft haben, sicherlich nicht ohne jede Menge "schweißtreibender Verdrängungsarbeit", meint Günter Mack nach persönlichen Beobachtungen. Allenfalls auftretende Selbstzweifel dürften im stillen Kämmerlein ausgetragen werden.

Simplifizierungen

Die Lieblingsmethoden, um das eigene Weltbild zu verbreiten, sind öffentliche Debatten mit prominenten Wissenschaftlern: ein schlechtes Transportmittel, um die Komplexität wissenschaftlicher Themen wie etwa der Evolutionsbiologie zu vermitteln, doch vorzüglich geeignet simplifizierende "Wahrheiten" einem nicht-wissenschaftliches Auditorium nahe zu bringen. Dr. Duane Gish, Vizepräsident des ICR (79), ein mit allen Wassern gewaschenes Kreationisten-Fossil, klingt in einem Radiogespräch mit Frank Zindler, ehemals Professor für Biologie und Geologie und bekennender Atheist, so:

Zindler: "Wie erklären Sie sich, dass die Gene von Menschen und Schimpansen zu 99 Prozent identisch sind?" Gish: "Aber ich bezweifle schlichtweg, dass es eine so weitgehende Übereinstimmung gibt. Mag sein, dass die Gene identisch sind, die Enzyme und ähnliches steuern, schließlich haben Affen und Menschen ja dieselben Essgewohnheiten. Aber 99 Prozent, Frank, das glaube ich ihnen erst, wenn sie Ihrer Tochter erlauben, mit einem Schimpansen auszugehen."

Gish ist wahrscheinlich der einflussreichste Kreationist in den USA. Obwohl er einst 18 Jahre lang im Virus-Labor der angesehenen Berkeley-Universität (Kalifornien), an der Cornell Universität und bei einem Pharma-Konzern geforscht hat, dient Gishs Strategie für die in Vancouver lebende Wissenschaftsautorin und Kreationisten-Kritikerin Joyce Arthur als Paradebeispiel für kreationistische Volksverdummung: "Die meisten von Gishs Argumenten sind ein Morast voller Irrtümer, Auslassungen, Fehlzitaten, veralteten Daten, Verdrehungen. Noch schlimmer ist, dass viele Wissenschaftler Gish öffentlich korrigiert haben, aber Gish hört nicht auf, die gleichen Fehler weiter zu verbreiten." Zum Beispiel ist das 1973 in Äthiopien entdeckte Skelett von "Lucy" Wissenschaftlern Beweis für die menschliche Evolution, weil ihr Skelett sowohl Charakteristiken des Affen als auch des Menschen aufweist und weil sie wahrscheinlich aufrecht ging. Sie wird als direkte Vorfahrin von uns heutigen Menschen angesehen.

Duane Gish beharrt darauf, dass Lucy keine Übergangsform zwischen Affe und Mensch sei, sondern nur ein Affe, der nicht aufrecht gehen konnte. Als Kronzeuge verweist er auf den Wissenschaftler Lord Solly Zuckerman, der 15 Jahre lang die Australopithecinen gründlich erforscht habe. Obwohl Gish über die Jahre hinweg immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass Zuckerman mindestens drei Jahre vor der Entdeckung Lucys - die er im übrigen nie selbst gesehen hat - seine Aussage formulierte, hört Gish nicht auf, diese Unwahrheiten zu verbreiten. Wird er überführt, reagiert er aufgebracht und sagt, er sei nicht dafür verantwortlich, wenn das Publikum seine Ausführungen falsch interpretiere. In einem Vortrag hatten beispielsweise 90 Prozent Zuhörer aus dem Auditorium angenommen, Zuckerman habe das Skelett persönlich untersucht.

Was die Kreationisten vor allem wollen: in die Schulbücher. Und dadurch Einflussnahme auf Millionen von Schulkindern. In den 80-er Jahren gab es eine Reihe Versuche, den Unterricht von Kreationisten zu legalisieren. 1981 verabschiedete Arkansas ein Gesetz (Act 590), das jedoch in einer Grundsatzentscheidung von 1982 wieder aufgehoben wurde. Richter William Overton sah darin einen "religiösen Kreuzzug, gepaart mit dem Bestreben, eben diese Tatsache zu verbergen". Ein ähnliches Gesetz, das 1981 in Louisiana verabschiedet wurde, brachte 1987 der Supreme Court zu Fall.

Auch Wissenschaftler gingen zur Attacke über und veröffentlichten Bücher, indem sie die Evolutionstheorie verteidigten und die kreationistischen Thesen wissenschaftlich zerpflückten. Doch sie unterschätzten die Hartnäckigkeit der Kreationisten, die ihren Glauben nicht den Erkenntnissen anpassen, sondern umgekehrt. Erst im Jahre 1999 gelangen ihnen erneut spektakuläre Vorstöße. Kansas: Das "School Board Committee" entschied in einer Abstimmung, das Thema "Evolution" aus dem wissenschaftlichen Curriculum der High Schools weitestgehend zu streichen. Im Oktober 1999 folgte Oklahoma mit dem Dekret, dass Evolution im Unterricht und in Lehrbüchern als "kontroverse Theorie" zu lehren sei. In Alabama, Illinois, Louisiana, Nebraska und New Mexico gibt es seit Jahren ähnliche bildungspolitische Richtlinien.

Präsident George Bush jr. fördert im Rahmen seiner geplanten Bildungsreform das Ziel der Kreationisten, in die Schulbücher zu kommen. Doch vielerorts wird jetzt gegen die Auswüchse des kreationistischen Fundamentalismus mobil gemacht. Immer mehr erkennen mittlerweile die Gefahr, die von den Kreationisten ausgeht, zum Beispiel wenn sie in "home schooling" ihren Kindern beibringen, die Erde mit all ihren Tälern und Schluchten sei von gigantischen Wassermassen geformt worden.

Und wie Kinder halt so sind, sie glauben, was Erwachsene ihnen erzählen, noch dazu, wenn die peitschenden Wasser und die Schreie der Ertrinkenden vom Band die Sintflut zum Live-Erlebnis machen.

Freitag, 07. September 2001

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