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Winzige Anfänge

Waren die ersten Lebewesen kleiner, als man bisher dachte?
Von Georg Breuer

Das Leben auf Erden beruht auf dem Zusammenspiel von zwei Arten von Biopolymeren: Nukleinsäuren und Proteinen (Eiweiß). Die Nukleinsäuren dienen der Speicherung von genetischer Information. Die Proteine sind vor allem Enzyme (Biokatalysatoren).

Einschlägige Experimente haben gezeigt, dass alle Bausteine, aus denen Nukleinsäuren und Proteine bestehen, unter Bedingungen, wie sie in der Frühzeit unseres Planeten geherrscht haben, durch chemische Reaktionen entstehen können. Ebenso können sich auch solche Bausteine zu kleinen Ketten von Nukleinsäuren oder Protein zusammenfügen.

Ist dann also der Beginn des Lebens jener Zeitpunkt, an dem sich solche einfache Nukleinsäure- und Proteinmoleküle zu einer gemeinsamen Existenz zusammengefunden haben?

In den letzten Jahren mehren sich die Stimmen, die das für unwahrscheinlich halten. Die Beziehungen zwischen Nukleinsäuren und Proteinen sind in Lebewesen komplex. Es ist schwer vorstellbar, dass ein solches Zusammenspiel in einem einzigen großen Schritt entstanden sein könnte. Vermutlich gab es in den ersten Lebewesen nur ein Biopolymer, das sowohl als Informationsspeicher wie auch zur Bildung von Enzymen diente.

Als geeigneter Kandidat dafür wird die Ribonukleinsäure (RNA) angesehen. Über einschlägige theoretische Überlegungen, Experimente und Computeranalysen ist auf einer in Berlin abgehaltenen internationalen interdisziplinären Dahlem-Konferenz über Evolutionsvorgänge auf dem Molekularniveau vor kurzem ausführlich berichtet worden.

Stabile Doppelspiralen

In fast allen irdischen Lebewesen gibt es zwei Arten von Nukleinsäuren: DNA und RNA. Die DNA (Desoxyribonukleinsäure) bildet die bekannten Doppelspiralen, in denen die genetische Information gespeichert ist. Das genetische "Alphabet" besteht aus vier Nukleotid-"Buchstaben". Das sind stickstoffhaltige Basen, von denen jeweils zwei eine chemische Anziehungskraft aufeinander ausüben. Den Buchstaben in dem einen Strang der Doppelspirale stehen die dazu passenden Buchstaben im anderen Strang gegenüber. Die gegenseitige Anziehungskraft der Nukleotide hält die Doppelspirale zusammen und ermöglicht auch die Herstellung von Genkopien bei der Zellteilung.

Die Doppelspiralen sind sehr stabile Moleküle, die ihre dreidimensionale Struktur auch dann nicht verändern, wenn sich der Inhalt der gespeicherten Information ändert, also einzelne Nukleotide oder auch größere Teile eines DNA-Strangs verändert werden. Diese große Stabilität sichert, dass die Gene bei Zellteilungen in der Regel exakt an die beiden Tochterzellen weitergegeben werden und es nur selten zu Übertragungsfehlern kommt. Doch gerade wegen dieser Stabilität der Struktur wäre die DNA für die Bildung von Enzymen ungeeignet, weil diese eine Vielfalt von unterschiedlichen dreidimensionalen Strukturen benötigen.

Die RNA bildet keine Doppelspiralen, sondern einfache Ketten, von denen dann einzelne Teile mit zueinander passenden Nukleotiden Doppelkettenstücke mit dazwischenliegenden Schleifen und Verbindungsstücken aus Einzelketten bilden können. Solche Moleküle falten sich dann in dreidimensionale Strukturen. Nach dem heutigen Stand des Wissens ist es noch nicht möglich, ihre dreidimensionale Struktur anhand der Nukleotidfolge vorherzusagen.

Auf der Dahlem-Konferenz berichtete Peter Schuster von der Universität Wien über Versuche, die Evolution von RNA-Molekülen im Reagenzglas nachzuvollziehen. Es zeigte sich dabei, dass viele Ketten mit unterschiedlichen Folgen von Nukleotid-"Buchstaben" gleiche oder sehr ähnliche dreidimensionale Strukturen bildeten.

Die Zahl dieser häufig aufscheinenden Strukturen war relativ klein. Nur selten fand man auch andere Strukturen, die zumeist instabil waren. Man kann annehmen, dass nur die stabilen Strukturen in der wirklichen Evolution eine Rolle gespielt haben.

In irdischen Lebewesen sind verschiedene Arten von RNA-Molekülen vor allem in der Maschinerie beschäftigt, in der anhand der in der DNA gespeicherten Information Enzyme, also Eiweißmoleküle, hergestellt werden. Die Ribosomen, das Kernstück dieser Maschinerie, bestehen größtenteils aus RNA. Andere RNA-Moleküle erfüllen Zubringerdienste ähnlich einem Katalysator.

In einigen Viren ist die genetische Information nicht in der DNA, sondern in der RNA gespeichert. Vielleicht sind das Überbleibsel aus einer Zeit, als die DNA-Doppelspirale noch nicht erfunden war. RNA-Ketten sind weit weniger stabil als die Doppelspirale. Es schleichen sich deshalb viel häufiger genetische Fehler ein, an denen ein beträchtlicher Teil der "Nachkommen" solcher Viren zugrunde geht.

Doch zugleich entstehen auch relativ häufig neue lebensfähige Varianten. Laut Schuster kann dies gerade für einen Virus ein Vorteil sein, denn gegen solche neue Varianten fehlen in dem vom Virus befallenen Wirtsorganismus oft die entsprechenden Abwehrkräfte.

RNA-Katalysatoren

Die unterschiedlichen dreidimensionalen Strukturen der verschiedenen RNA-Moleküle eröffnen die Möglichkeit, dass sie auch als Katalysatoren dienen können, was bei der DNA-Doppelspirale sicherlich nicht möglich wäre.

Im Reagenzglas ist es sogar gelungen, einzelne RNA-Katalysatoren herzustellen. Und man hat auch entdeckt, dass Vorläufermoleküle der Ribosomen-RNA Enzym-Funktionen erfüllen können.

Ursprünglich wurden RNA-Ketten vermutlich aus mehr als nur vier Nukleotid-"Buchstaben" gebildet. Auch heute noch findet man in der sogenannten Transfer-RNA, die Eiweißbausteine zu den Ribosomen befördert, solche ungewöhnliche Nukleotide. Das hat die Bildung verschiedener Katalysatoren, die unterschiedliche räumliche Strukturen haben müssen, wahrscheinlich erleichtert.

Laut Steven Brenner von der University of Florida sind RNA-Katalysatoren in der Regel um ein Vielfaches weniger effizient als Protein-Enzyme. Die Lebensvorgänge müssten deshalb in Organismen mit RNA-Katalysatoren viel langsamer abgelaufen sein als heutzutage. Solche Urlebewesen benötigten keine Ribosomen, weil sie ja keine Proteine produzierten. Sie konnten daher viel kleiner sein als die kleinsten uns bekannten irdischen Lebewesen.

Es wäre denkbar, dass sich Nachkommen von RNA-Urlebewesen bis heute an Orten erhalten haben, wo größere Organismen nicht hingelangen können, weil der Raum zu eng ist, beispielsweise in ganz engen Poren im Felsgestein. Vielleicht hat man sie nur deshalb bisher nicht entdeckt, weil niemand nach ihnen gesucht hat.

Auf der Suche nach Spuren von Leben auf anderen Himmelskörpern sollte man davon ausgehen, dass die Existenz solcher winziger RNA-Lebewesen möglich ist. In dem vom Mars stammenden Meteoriten Allan Hills 84001 hat man winzige Gebilde gefunden, die wie Mikrofossilien aussehen.

Manche Forscher haben eingewendet, dass diese Spuren für Lebewesen zu klein seien, weil Ribosomen in einem so kleinen Raum nicht untergebracht werden könnten. Aber für einen RNA-Organismus ohne Eiweiß wären sie nicht zu klein. Das ist zwar kein Beweis, dass es sich tatsächlich um Fossilien solcher Organismen handelt, aber diese Möglichkeit sollte jedenfalls ernsthaft untersucht werden.

Literatur: H. Frauenfelder, J. Deisenhofer, P. Wolynes: Simplicity and Complexity in Proteins and Nucleic Acids. Dahlem Workshop Report. Dahlem University Press, Berlin 1999.

Freitag, 26. Mai 2000

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