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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this...

„Es genügt dem Mathematiker"

Der Zwist zwischen Galileo Galilei und der katholischen Kirche ist bis heute nicht restlos ausgeräumt
Von Peter Markl

Als Papst Johannes Paul II. am 10. November 1979 zum Gedenken an den 100. Geburtstag Albert Einsteins eine festliche Sitzung der päpstlichen Akademie der
Wissenschaften eröffnete, sprach er, der damals erst ein Jahr in seinem Amt war, von der „tiefen Harmonie, die zwischen der Wahrheit der Wissenschaft und der Wahrheit des Glaubens existiert".
Dann aber ging er auf den Fall von Galilei ein, für viele ein Symbol für das gespannte Verhältnis zwischen Kirche und Naturwissenschaften, und räumte ein: „Wir können nicht leugnen, daß Galilei
von den Männern und der Organisation der Kirche viel Leid erfahren mußte."

Im Anschluß daran erinnerte der Papst an das 2. Vatikanische Konzil, in dem die kirchlichen Amtsträger erstmals Galilei darin zugestimmt hatten, daß die Wahrheit der Wissenschaft zur Wahrheit des
Glaubens nie in Widerspruch stehen könne. Und er gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß Theologen, Gelehrte und Historiker, inspiriert von einem aufrichtigen Geist der Zusammenarbeit, den Fall Galilei
eingehender studieren würden und dabei dahin kämen, Unrecht anzuerkennen, wer auch immer es begangen haben mag, um dadurch das Mißtrauen weiter abzubauen, das in vielen Köpfen immer noch einer
fruchtbaren Übereinstimmung zwischen Wissenschaft und Glauben entgegenstünde.

Langwierige Kommission

Der Papst ließ es auch nicht bei dieser frommen Hoffnung bewenden: 1981 rief er dazu eine interdisziplinäre Studienkommission ins Leben, deren Arbeit sich über nicht weniger als 13 Jahre hinzog
und im November 1992 zu einer päpstlichen Erklärung führte, die von vielen geradezu enthusiastisch kommentiert wurde: sie sahen sich endlich von der unangenehmen Aufgabe befreit, die Kirche auch in
seit langem unhaltbaren Positionen verteidigen zu müssen. Anders Michael Segre, der an der Universität München Wissenschaftsgeschichte unterrichtet. Er findet in der päpstlichen Schlußerklärung
keinen Anlaß für Jubel. Was der Papst sagte, scheint ihm, gemessen an den Erwartungen, die er 1979 erweckt hatte, enttäuschend und ein schlechtes Omen für den vor kurzem angekündigten kirchlichen
Versuch, nun auch noch mit den anderen Taten der Heiligen Inquisition zu Rande zu kommen.

Über die Arbeit dieser Kommission ist nicht viel an die Öffentlichkeit gelangt, aber es scheint, als ob sie nicht weniger als zwei Jahre gebraucht hätte, um ihre Arbeit aufnehmen zu können. Schon der
Brief, den Kardinal Augostino Casaroli, der Staatssekretär des Vatikan, damals an ein prominentes Mitglied der Kommission, den jetzigen Kardinal Paul Poupard, schrieb, widerspricht einer heute weit
verbreiteten Legende: Der Papst hatte nie geplant, den Prozeß Galileis wieder aufzugreifen oder etwas so Absurdes wie eine „Rehabilitation" Galileis einzuleiten. Was ihm · laut Kardinal Casaroli ·
vorschwebte, war eine „distanzierte und objektiv begründete Reflexion im Kontext der heutigen historisch kulturellen Epoche".

Man weiß nicht viel darüber, wie die Kommission ans Werk ging · soviel aber wurde bekannt: man arbeitete in Untergruppen, deren jede von einem prominenten Kurienmitglied geleitet wurde. So leitete
etwa der Erzbischof von Mailand und heutige Kardinal Carlo Maria Martini, ein Jesuit, die Gruppe, die sich mit Fragen der Bibel-Exegese beschäftigte. Man weiß auch nichts darüber, wie aus der Arbeit
der einzelnen Arbeitsgruppen nach 13 Jahren, koordiniert von Kardinal Poupard, dann der gemeinsame Bericht an den Papst entstand, den Poupard am 31. Oktober 1992 in einer Plenarsitzung der
päpstlichen Akademie vortrug.

In diesem Bericht wird als entscheidender Zeuge einmal mehr Kardinal Roberto Bellarmin beschworen und das mit guten Gründen: Kardinal Bellarmin war nicht nur ein innerhalb der Kirche mächtiger Mann,
sondern auch ein ausgezeichneter Wissenschafter und eingelesen in die Problematik · er, der 1930 wegen seiner Haltung den Armen gegenüber heilig gesprochen wurde, war im Kreis derer, die Giordano
Bruno im Jahr 1600 auf den Scheiterhaufen geschickt hatten. Der Brief, den er am 12. April 1615 an den Karmeliter-Mönch Paolo Antonio Foscarini, einen Anhänger des Kopernikus, schrieb, gilt als die
offiziöse Linie der in diesen Tagen vom Protestantismus bedrohten Kirche. Bellarmin rät Foscarini (und Galilei), ihre Theorie über den Bau des Sonnensystems als rein mathematische Rechenhypothese zu
betrachten und nicht als eine wahre Beschreibung der Realität · so wie es, Bellarmins Ansicht nach, auch Kopernikus immer gehalten habe: „. . . denn wenn man sagt: unter der Voraussetzung, daß
sich die Erde bewege und die Sonne stillstehe, lassen sich alle Erscheinungen besser erklären als durch die Annahme der exzentrischen Kreise und Epizyklen, so ist das sehr gut gesagt und birgt keine
Gefahr und es genügt dem Mathematiker".

Daß eine realistische Deutung dieser Theorien riskant sei, begründet Bellarmin mit dem auf dem Konzil von Trient beschlossenen (und zweifellos auch stark politisch motivierten) Verbot, die Bibel
entgegen der allgemeinen Übereinstimmung der Väter auszulegen. Bellarmin war allerdings ein zu guter Wissenschafter und Kirchentaktiker, als daß er sich vormachte, daß die Kirche damit auf lange
Frist durchkommen könnte, denn er fügt an: „Ich sage, daß, wenn ein wirklicher Beweis dafür vorhanden wäre, daß die Sonne im Mittelpunkt der Welt stehe und die Erde am dritten Himmel und daß nicht
die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne gehe, dann wäre es bei der Erklärung von Bibelstellen, welche das Gegenteil zu sagen scheinen, notwendig, mit großer Vorsicht vorzugehen und eher
zu sagen, wir verständen dieselben nicht, als, das sei falsch, was (durch die Bibelstellen) demonstriert wird. Es ist nicht dasselbe, zu zeigen, daß die Erscheinungen durch die Annahme gerettet
werden, die Sonne sei im Zentrum und die Erde in den Himmeln. Ich glaube, daß der erste Beweis existieren mag, aber ich habe schwerste Bedenken, was den zweiten betrifft, und im Zweifelsfall soll man
von der Auslegung der Schrift durch die Väter nicht abgehen."

Wenn man den Ausführungen von Kardinal Poupard Glauben schenkt, dann hat die päpstliche Kommission Kardinal Bellarmin bestätigt · ohne daß in der Stellungnahme viel von einem heutigen Kontext zu
bemerken wäre.

Vage Formulierungen

Wenn es nicht möglich ist, eine für alle Räume und Zeiten gültige Theorie endgültig zu bestätigen, wann ist der Zeitpunkt gekommen, sich eine neue Interpretation eines damit im Widerspruch
stehenden Bibel-textes zu überlegen ?

Kardinal Poupard umging diese Frage, indem er sie auf einen Irrtum herunterspielte: „Galileis Richter waren nicht fähig, den Glauben von einer Jahrtausende alten Kosmologie getrennt zu sehen. Sie
glaubten · ganz falsch ·, daß das Annehmen der Kopernikanischen Revolution, die in der Tat noch nicht endgültig bewiesen war, die katholische Tradition aushöhlen würde und es daher ihr Amt war, ihre
Lehre zu verbieten. Dieser subjektive Fehler in der Beurteilung der Situation, der uns heute so offensichtlich scheint, hat sie dazu gebracht, Disziplinarmaßnahmen zu beschließen, unter denen Galilei
viel litt. Diese Irrtümer müssen offen zugegeben werden, wie Sie, Heiliger Vater, es gefordert haben".

Der Heilige Vater hielt im Anschluß an Poupards Ausführungen eine historische Rede, in der er weit über den Anlaßfall hinausging. Er war allerdings in einer Hinsicht dabei vorsichtiger als Kardinal
Poupard. Der hatte die Fehlerquelle noch unter Galileis Richtern vermutet; der Papst dagegen war viel vager: „Die Mehrheit der Theologen", so führte er aus, verkannte den „formalen
Unterschied zwischen der Heiligen Schrift und ihrer Interpretation und das führte sie · ganz ungerechtfertigt · dazu, eine Frage, die in der Tat eine naturwissenschaftliche Frage war, im Reich der
Doktrinen des Glaubens anzusiedeln". Während es bei Kardinal Poupard noch eindeutig einige der Richter waren, welche den verhängnisvollen Fehler begangen hatten, sah der Papst eine nicht weiter
beschriebene Mehrheit unter den Theologen als schuldig an.

Michael Segre bedauert diese vage Formulierung und vermutet, daß man dadurch unter anderen den Heiligen Roberto Bellarmin aus dem Bereich der Schuldzuweisungen heraushalten wollte. Der war zwar zur
Zeit der Verurteilung Galileis 1633 schon mehr als ein Jahrzehnt tot, aber neue historische Arbeiten, gerade auch der päpstlichen Kommission, machen es wahrscheinlich, daß er die treibende Kraft war,
die dazu führte, daß sich die Heilige Index-Kongregation mit Kopernikus befaßte und zu einem Schluß kam, den Bellarmin in einer meisterhaften Note veröffentlichte, die Galilei zugleich schützte und
ihm das Lehren seiner Kosmologie verbot: „Wir, Roberto Bellarmin, haben gehört, daß in verleumderischer Weise berichtet werde, Signor Galileo Galilei habe in Unsere Hand abgeschworen und sei auch
mit heilsamer Buße bestraft worden, und da wir gebeten wurden, die Wahrheit in Bezug darauf festzustellen, erklären Wir, daß der besagte Galilei keiner von ihm behaupteten Lehre abgeschworen hat,
weder in unsere Hände noch in die von irgend jemand anderem hier in Rom oder anderswo, so weit wir wissen; auch wurde ihm keine heilsame Buße auferlegt; lediglich die vom Heiligen Vater abgegebene
und von der Heiligen Indexkongregation veröffentlichte Erklärung wurde ihm bekannt gemacht, der zufolge die Lehre des Kopernicus im Widerspruch zur Heiligen Schrift stehe und weder verteidigt oder
behauptet werden kann."

Michael Segre vermutet, daß es das Beharren auf der Makellosigkeit des Heiligen Bellarion war, daß die Initiative des Papstes letztlich enttäuschend ausfiel: „Das Problem ist offensichtlich:
entweder die katholische Theologie · deren Urteile ja zeitlos sind · läßt Raum für naturwissenschaftliche Lehren, und zwar auch dann, wenn sie sich als falsch herausstellen · dann hatte der Heilige
Robert Bellarmin Unrecht. Oder er hatte Recht: dann aber gibt es eine Unstimmigkeit zwischen der katholischen Theologie zu Galileis Zeit und der Theologie heute. Die Schwierigkeit, diese beiden
Optionen zu vereinen, könnte der Grund dafür sein, daß die 1992 präsentierten Resultate so vage ausfielen."

Literatur:

Michael Segre: Galileo: A Rehabilitation that has never taken place. Endeavour Vol. 23 (1) 1999, 20 bis 23.

Freitag, 11. Juni 1999

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