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Wissenschaft in der Grauzone

Über die vielen Möglichkeiten des Fehlverhaltens in der Forschung · und den Versuch, sie in den Griff zu bekommen

Von Peter Markl

N iemand bezweifelt, daß das

Problem existiert · selbst in

Deutschland nicht mehr, wo man die seit einem Jahrzehnt um sich greifende Diskussion um Betrug in der Wissenschaft lange Zeit für eine Spezialität der USA gehalten hatte · Resultat des fatalen
Zusammenwirkens einer zerstörerischen Konkurrenz um die Förderung von Forschungsprojekten mit der fixen Idee, daß schlechthin kein Problem ohne die Einmischung von Rechtsanwälten gelöst werden kann.
Noch 1995 hatte Wolfgang Frühwald, ein Geisteswissenschaftler, damals Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und damit an der Spitze der finanzstärksten Forschungsorganisation,
konstatiert, daß für einen Forscher, „dieVerlockung, Daten zu fälschen, um die eigene Karriere zu beschleunigen, im amerikanischen System größer sei als im deutschen System, wo die Selbstkontrolle
strikt ist." (Siehe auch den Beitrag von Prof. Frühwald auf den Seiten 4 und 5 dieser Beilage).

Gefälschte Krebsdaten

Es war für einige der deutschen Forschungsmanager der älteren Generation ein Schock, als man 1997 zugeben mußte, daß es starke Verdachtsmomente dafür gäbe, daß nicht weniger als 47 der
Veröffentlichungen, die Friedhelm Herrmann und Marion Bach zu einem der renommiertesten deutschen Forschungsteams auf dem Gebiet der Krebsforschung gemacht hatten, gefälschte Daten enthielten. In der
Max Planck-Gesellschaft hatte man die Situation anscheinend schon vorher anders eingeschätzt: dort hatte man bereits Monate vor dem Auftauchen einer Serie größerer Betrugsskandale an einer auf sieben
Seiten niedergelegten „Verfahrensordnung" gearbeitet · für den Fall, daß in einem Max Planck-Institut ein Verdacht auf Betrug laut werden sollte. Diese Verfahrensordung ist am 14. November 1997 vom
Senat der Max Planck-Gesellschaft beschlossen worden.

Mittlerweile hat auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft nachgezogen. Es war noch Wolfgang Frühwald, der sich sehr dafür einsetzte, daß die Arbeit an der Formulierung der ersten deutschen
„Richtlinien für eine gute Wissenschaftspraxis" vor Ablaufen seiner Präsidentschaft 1998 zu einem Ende kamen: die am 19. Dezember 1997 veröffentlichten „Vorschläge zur Sicherung guter
wissenschaftlicher Praxis" sind zu einem 36 Seiten starken, außerordentlich klaren und umfassenden Dokument geworden.

Bruno Zimmermann, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft heute verantwortlich für die Forschungsförderung, formuliert nur den Konsens der Forscher auf beiden Seiten des Atlantik, wenn er
konstatiert, daß eine Regelung von außen Probleme mit der (heiligen) Autonomie der Wissenschaften mit sich bringe und auch nichts lösen könne · es geht nicht ohne die Selbstkontrolle der
Wissenschaftler. Aber: „Das Recht zur Selbstkontrolle ist nicht heilig. Es muß dadurch verdient werden, daß wir dem Publikum zeigen, daß wir sicherstellen, daß in der Forschung ehrlich gearbeitet
wird".

Es ist schwierig, etwas über das Ausmaß von Fehlverhalten in der Forschung herauszufinden · und das liegt schon daran, daß man bei verschiedenen Abschätzungen darunter ganz verschiedene Praktiken
verstand, die unterschiedlich schwerwiegende Folgen haben. Darin sind sich jedoch alle einig: Betrug im auch strafrechtlich verfolgbaren Sinn ist sehr selten und hat sehr wahrscheinlich eine kurze
Überlebensdauer · vor allem, wenn er auf einem „heißen" Forschungsgebiet auftritt. Wie unterschiedlich jedoch Fehlverhalten sein kann, wird durch eine Liste von Verfehlungen illustriert, die alle
wissenschaftlich unredlich sind und doch von so verschiedenem Gewicht, daß man sie auch unterschiedlich ahnden sollte.

Liste der Unredlichkeiten

Das dänische Komitee über die Behandlung von Vorwürfen wissenschaftlicher Unredlichkeit hat · wie eigens angemerkt wird „ohne Anspruch auf Vollständigkeit" · eine solche Liste angelegt. Als
Beispiele für schwerwiegende Tatbestände, die eine förmliche Untersuchung grundsätzlich rechtfertigen oder sogar erfordern, werden darin angeführt:

Õ das Erfinden von Ergebnissen;

Õ selektives Ausblenden und Verschweigen „unerwünschter" Ergebnisse und ihre Substitution durch erfundene Ergebnisse;

Õ die mißbräuchliche Anwendung statistischer Verfahren in der Absicht, Daten in ungerechtfertigter Weise zu interpretieren;

Õ eine verzerrte Interpretation von Ergebnissen und das Anführen ungerechtfertigter Schlußfolgerungen;

Õ die verzerrte Wiedergabe fremder Forschungsergebnisse;

Õ Plagiate fremder Ergebnisse oder Veröffentlichungen;

Õ eine falsche oder ungerechtfertigte Zuweisung von Autorschaft;

Õ die Irreführung der Gutachter in Förderungsanträgen oder Bewerbungen.

Es ist offensichtlich, daß einige dieser Tatbestände auch strafrechtlich relevant sind, weil sie · wie Betrug oder Urkundenfälschung · strafrechtlich relevante Delikte sind, oder aber · wie Plagiate
· zivilrechtlich verfolgt werden können. Andere Tatbestände aus der obigen Liste sind nur in extremeren Fällen leicht erkennbar, weil die Grenzen nicht scharf sind und dadurch eine Grauzone entsteht:
Es ist nicht immer leicht erkennbar, ob ein statistisches Verfahren in einer Arbeit aus handwerklicher Unkenntnis falsch angewandt wurde oder weil die Autoren die Daten in einen Nebel tauchen
wollten, in dem die Realität so schlecht erkennbar ist, daß eine beabsichtigte falsche Interpretation unbemerkt durchgehen kann.

Schon größer ist das Gebiet der Grauzonen, wenn auch Tatbestände berücksichtigt werden wie

Õ nicht offengelegte Mehrfachveröffentlichungen und andere Formen der „Wattierung" von Publikationslisten;

Õ die Bekanntgabe von Forschungsergebnissen an die Laienöffentlichkeit vor der regelrechten Veröffentlichung im wissenschaftlichen Schrifttum;

Õ die Nichterwähnung früherer Beobachtungen anderer Forscher;

Õ die Nichtberücksichtigung von Mitarbeitern als Mitautoren, trotz ihrer Beiträge zu einer Veröffentlichung.

Der Bericht der deutschen Forschungsgemeinschaft greift weiter aus und geht als Beispiel für „ungerechtfertigte Autorschaft" auch auf die „,Ehrenautorschaft" ein, die wahrscheinlich zu den am
weitesten verbreiteten Praktiken wissenschaftlicher Unredlichkeit gehört. Die „Empfehlung 11" lautet lapidar:

Õ „Autorinnen und Autoren wissenschaftlicher Veröffentlichungen tragen die Verantwortung für deren Inhalt stets gemeinsam. Eine sogenannte Ehrenautorschaft ist ausgeschlossen."

In den Erläuterungen dazu heißt es dann, daß diese Definition der Autorschaft andere · auch wesentliche · Beiträge zum Entstehen einer Publikation „für sich allein nicht als hinreichend erachtet,
Autorschaft zu rechtfertigen". Solche wesentlichen Beiträge können bestehen in

Õ der Verantwortung für die Erwerbung von Fördermitteln;

Õ dem Beitrag wichtiger Untersuchungsmaterialien;

Õ der Unterweisung von Mitautoren in bestimmten Methoden;

Õ der Beteiligung an der Datensammlung und Zusammenstellung;

Õ der Leitung einer Institution oder Organisationseinheit, in der die Publikation entstanden ist.

Was den Bericht der Deutschen Forschungsgemeinschaft von anderen Berichten unterscheidet, ist eine klare und realistische Analyse der Veränderungen in der Wissensproduktion, welche in steigendem
Ausmaß dazu geführt haben, daß die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis durch wissenschaftlich unredliches Verhalten verletzt werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft schlägt als Gegenrezept
16 Empfehlungen vor und ergänzt diese Empfehlungen durch eine Analyse der Probleme im heutigen Wissenschaftssystem. Dabei haben zwei Faktoren mehr als alle anderen die Entwicklung des
Wissenschaftssysteme beeinflußt, zuerst in den USA und dann auch in Deutschland: dort arbeiteten 1920 nur 5403 Professoren und Dozenten an den Universitäten und verwandten Einrichtungen. Nach 1950,
als es bereits 5500 Professoren und 13.700 Angehörige des „wissenschaftlichen Personals" gab, begann der steile Anstieg. 1996 arbeiteten in Deutschland 42.000 Professoren und 72.700 Angehörige des
Mittelbaus, wobei aus Drittmitteln finanziertes wissenschaftliches Personal in diesen Zahlen noch gar nicht berücksichtigt ist.

Die Folge war ein ungeheuer intensiver Wettbewerb um Forschungsmittel, die wie in den USA immer mehr durch Projektförderung vergeben wurden. So wichtig das auch für die Lockerung der erstarrten
Strukturen der alten Ordinarienuniversität war, so hatte es doch auch den Nebeneffekt, daß die Institutionen der wechselseitigen Kritik, durch die ja alles an Objektivität in die Welt kommt, was die
Wissenschaft zu bieten hat, einer immer stärkeren Korrosion ausgesetzt waren. (Gutachter und Begutachtete gehen anders miteinander um, wenn sie wissen, daß schon demnächst ihre Rollen vertauscht sein
können).

Eine der Folgen dieser Randbedingungen der Wissensproduktion war, daß Gutachter in immer größere Versuchung kamen, nicht die Qualität einer wissenschaftlichen Veröffentlichung zu bewerten, sondern
sich an die Quantität und die Resonanz einer Veröffentlichung zu halten. Im Bericht der Deutschen Forschungsgemeinschaft heißt es dazu mit aller Klarheit: „Schon immer war es ein Kriterium,
inwieweit ein Antragsteller und seine Gruppe in ,guten' Zeitschriften mit Gutachtersystem (und nicht lediglich ,abstracts' in Kongreßberichten oder Beiträge in Sammelbänden ohne Begutachtung)
veröffentlicht hatten. Seit der ,journal impact factor' eine bequeme Quantifizierung ermöglicht, wird er von Gutachtern zur Bewertung von Leistungen mit zunehmender Häufigkeit verwendet".

Selbstkontrolle mit Biß

In der letzten Zeit wird das immer stärker kritisiert, wozu im DFG-Bericht lakonisch angemerkt wird: „Ein Gutachter, der sich in der Bewertung lediglich auf Publikationszahlen und (etwa im
,impact factor') ausgedrückte Zitierhäufigkeit stützt, delegiert seine Verantwortung vollständig auf die jeweiligen Zeitschriften und ihre Leser. Auch bedarf es für das Zählen von Publikationen und
das Nachschlagen von ,impact factors' bei weitem nicht derselben Kompetenz, die zur Beurteilung der Qualität des Inhalts einer Veröffentlichung erforderlich ist. Schließlich muß bedacht werden, daß
das Bewußtsein von der Verwendung eines Zitats als ein Einfluß- und (trotz aller methodischen Bedenken) als Qualitätsmaß für die zitierte Publikation und ihre Autoren seinerseits verhaltenssteuernd
wirken und zu Mißbräuchen (zum Beispiel Publikationskartellen) führen kann".

Die Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft sollen nicht nur unverbindliche Kommentare zum Wissenschaftsbetrieb bleiben, denn in Empfehlung 14 wird vorgeschlagen: „In den Richtlinien für
die Verwendung bewilligter Mittel soll der/die für das Vorhaben Verantwortliche auf die Einhaltung guter Wissenschaftlicher Praxis verpflichtet werden. Ist eine Hochschule oder Forschungsinstitut
allein oder gleichberechtigter Empfänger der Mittel, so müssen dort Regeln guter wissenschaftlicher Praxis und für den Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens etabliert sein. An
Einrichtungen, die sich nicht an die Empfehlungen (Nr. 1 bis Nr 8) halten, sollen keine Fördermittel mehr vergeben werden."

Literatur:

Albinos Abbaut: Science comes to terms with the lessons of fraud. „Nature", 4 März 1999;

Deutsche Forschungsgemeinschaft: Empfehlungen der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft";

Internet: http://w.dfg.de/aktuell/empf_selbstkontr.htm;

Max-Planck-Gesellschaft: Verfahren bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten. Internet: http//http://www.mpg.de/fehlver.htm.

Freitag, 19. März 1999

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