Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Portal zum österreichischen EU-Vorsitz 2006 Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Winter ohne Heizung

Strategien der Tiere, die kalte Jahreszeit zu überstehen

Von Klaus M. Gutmann

Wenn bei uns der Winter mit seinen frostigen Temperaturen, kurzen Tagen und wenig Sonne oft sehr hartnäckig seine Rechte einfordert, verbringen viele Vögel diese unwirtliche Zeit in ihrem Winterquartier in wärmeren Ländern.
Winterferntouristen haben im schwarzen Kontinent oft besonders eindrucksvolle Begegnungen mit unseren heimischen Sommervögeln.

Nachtigall, Grauschnäpper, Sumpfrohrsänger, Kuckuck, Gartengrasmücke, aber auch Weiß- und Schwarzstorch, Mauersegler und Wachtel und viele andere Singvögel halten sich nur in der warmen Jahreszeit
bei uns auf. Gleich nach der Ankunft im Frühjahr sorgen die Zugvögel für Nachkommenschaft, denn die Jungen müssen bereits in wenigen Monaten genügend Kräfte für den Flug ins Winterquartier gesammelt
haben. Es gibt aber auch Vögel, die im Winter zu uns kommen, weil es dann bei uns so schön warm ist. Die teilziehenden Saatkrähen · im Volksmund auch „Russen" genannt · verbringen den Sommer häufig
in Rußland. Der in Skandinavien brütende Raufußbussard · seine Fänge sind im Unterschied zum Mäusebussard zur Gänze befiedert · ist auch nur im Winter in Mitteleuropa zu Gast.

Das zyklische Aufsuchen von Biotopen in wärmeren Klimazonen ist eine sehr wirkungsvolle Strategie, um kalte Jahreszeiten zu überleben. Der Vogelzug, bei dem oft Kontinente überflogen werden,
erfordert einen sehr hohen Energieaufwand.

Wettergeschützte Stellen

Jahreszeitlich bedingte Wanderungen zur Vermeidung größerer Temperaturschwankungen gibt es aber auch bei anderen Tiergruppen. Unser heimisches Rotwild kommt im Winter sehr häufig aus dem
Hochgebirge in die Niederungen. In früheren Jahren waren die weitläufigen Flußauen das bevorzugte Winterquartier des Rotwildes. In der kalten Jahreszeit waren die heute bereits sehr seltenen
Auhirsche mit ihrem breit ausladenden Geweih noch sehr häufig in den Niederungen anzutreffen. Das Aufsuchen von wettergeschützen Stellen im näheren Bereich ist ein weit verbreitetes Verhalten. Viele
Reptilien, Insekten und auch etliche Säuger überwintern in Erdspalten oder -höhlen. Etliche Tiere harren aber auch am Standort aus und haben dafür besondere Fähigkeiten entwickelt. So nützt z. B. der
Wolf die geringe Wärmeleitfähigkeit von Schnee, indem er sich bei großer Kälte darin eingräbt.

Wer im Winter munter bleibt, dann aber wegen der Schneedecke keine Nahrung mehr finden kann, muß Wintervorräte anlegen. Sogar in der Stadt kann man die Eichkätzchen im Herbst beim Vergraben von
Nüssen beobachten. Häufig rutschen sie dann auch ohne Samen mit dem Kinn meterlang über den Boden. Viele Nüsse werden nicht mehr gefunden und treiben im Frühjahr aus. Ähnliches Sammelverhalten zeigen
die winteraktiven Feldmäuse, die beachtliche Samenmengen in ihre Vorratskammern tragen. Da Feldmäuse beinahe ganzjährig fortpflanzungsfähig sind, muß der Vorrat auch für die Nachkommenschaft reichen.

Unsere Gänsehaut bei kaltem Wetter ist eine sehr ursprüngliche Reaktion, die zeigt, daß unsere Vorfahren noch ein Fellkleid hatten. Denn Fell sträuben bzw. das Aufplustern des Gefieders bei Vögeln
ist ganz genau der gleiche Vorgang. Eine Wirkung gibt es allerdings nur bei Tieren, denn diese können damit die sie umgebende, wärmeisolierende Luftschicht bedarfsgerecht variieren. Zusätzlich werden
die peripheren Blutgefäße verengt.

Um die Wärmeabgabe zu vermindern, reduzieren viele Tiere in der Kälte ihre Körperoberfläche, indem sie den Rücken krümmen und die Extremitäten an den Körper ziehen. Mit der so entstehenden
Kugelgestalt bieten sie auch dem kalten Wind weniger Angriffsfläche. Das Zusammendrängen gleichartiger Tiere reduziert die Außenfläche und damit die Wärmeabgabe. Bei den in offenen Mulden
überwinternden Rebhühnern ist dieses Verhaltensmuster sehr gut ausgeprägt. Aber auch andere Vögel, soziale Insekten und Jungtiere wärmen sich auf diese Weise im Nest oder Bau gegenseitig.

Bei Säugern findet ein regelmäßiger Fellwechsel statt, bei dem immer auch die Farbe verändert wird. Das leuchtende Rotbraun unseres Rehwildes wird im Winter zum Graubraun, das von Ackerschollen kaum
zu unterscheiden ist. Lediglich der weiße Spiegel verrät dann die dort äsenden Rehe. Ähnlich läuft die Mauser bei den Vögeln, die im Winter meist das nur zur Paarung benötigte Prachtkleid verlieren.

Biologische Heizung

Eine besondere morphologische Anpassung ist das braune Fettgewebe der Säuger · gewissermaßen eine biologische Heizung. Die in diesem Gewebe erzeugte Wärme hat für die Temperaturregulation in den
ersten Lebenstagen und beim Aufwachen aus dem Winterschlaf besondere Bedeutung. Bei der „Fettverbrennung" wird nicht wie sonst üblich ein vielseitig und leicht verwertbares Molekül, sondern gleich
Wärme produziert. Durch die Nähe zu den großen Kreislaufströmen ist eine rasche Wärmeverteilung sichergestellt. Das braune Fettgewebe wird während des Aufwachvorganges großteils verbraucht, es
schmilzt beim Erwärmen des Körpers geradezu dahin.

Da das für den Wärmeaustausch entscheidende Verhältnis von Oberfläche zu Volumen bei kleineren Tieren zunimmt, sind kleinere Formen in wärmeren Klimazonen zu finden. Pinguine werden am Äquator 50 cm,
in der Antarktis bis zu 1,2 m groß. Die kleineren Tiere würden aufgrund der relativ großen Wärmeabstrahlung am Südpol erfrieren. Körperanhänge wie Extremitäten und Ohren sind in polaren Breiten zur
Verringerung der Wärmeabgabe reduziert. Durch unterschiedliche Melanineinlagerung sind viele Felltiere kalter Zonen eher grau, ihre Verwandten in warmen Gebieten hingegen rotbraun. Der höhere
Energiebedarf erfordert auch einen höheren Stoffwechsel, daher haben Bewohner kalter Bereiche vergleichsweise größere Herzen.

Die meisten Lebewesen können nur in einem sehr engen Temperaturbereich überleben. Die bei uns übliche Celsiusskala ist aus praktischen Erwägungen · Gefrier- und Siedepunkt des Wassers · entstanden.
In der Natur gibt es aber keine negative Wärme, daher beginnen die absoluten Temperaturwerte mit 0 in der Einheit Kelvin (K). Leben ist meist nur von 273 bis 323 K möglich (0 bis 50 Grad Celsius).
Dies entspricht einer sehr schmalen Temperaturzone von etwa 16 Prozent, in der die meisten Lebensprozesse ablaufen. Die obere Grenztemperatur ist durch die Hitzeempfindlichkeit von Eiweiß, die untere
durch den Gefrierpunkt der Körperflüssigkeiten festgelegt. Bei Tieren, die normalerweise in sehr kalter oder sehr warmer Umgebung leben, ist die verträgliche Temperaturspanne noch viel geringer. So
sind tropische Arten besonders kälteempfindlich, hingegen haben Tiere aus kalten Gebieten häufig Probleme mit der Wärme. Säuger und auch manche Vögel sind aber oft sehr anpassungsfähig, besonders
dann, wenn sie genug Zeit haben, sich an einen neuen Lebensraum zu gewöhnen.

Einzeller, Keimzellen und sehr einfach gebaute Tiere können eine wesentlich größere Temperaturtoleranz aufweisen. Bei tiefen Temperaturen ist natürlich kein Stoffwechsel mehr möglich, aber nach dem
Auftauen laufen bei ihnen alle Lebensvorgänge wieder an.

Zucker als Heizstoff

Neben der Verdichtung von Feder- oder Haarkleid ist auch die Anlage von Fettdepots eine wichtige Maßnahme zur Überwinterung. Außer der Energiespeicherung dient dabei besonders das
Unterhautfettgewebe zur zusätzlichen Wärmeisolierung. Bei vielen Tierbeinen wirken die Arterien und Venen wie ein Gegenstromwärmetauscher, so daß in der Endzone der Extremitäten oft nur eine
geringfügig höhere Temperatur als am Boden vorliegt. So ist bei Wasservögeln die Temperaturdifferenz zwischen Ruderfüßen und Wasser fast Null.

Unser „Zähneklappern" bei Kälte ist ein besonders wichtiger Mechanismus, denn dieses bei vielen Arten zu findende Muskelzittern wird zur Wärmeproduktion verwendet. Bei der Umsetzung von chemischer
Energie der Nahrung in mechanische Energie entsteht immer ein beachtlicher Teil Wärmeenergie. Soziale Insekten wärmen sich fast nur auf diese Weise. So können z. B. Bienen in ihrem relativ kalten
Stock mit dem Heizstoff Zucker erträgliche Temperaturen erzeugen.

Wechselwarme Tiere fallen bei Unterschreitung einer artspezifischen Umgebungstemperatur in Kältestarre. In dieser für Amphibien und Reptilien typischen Phase ist auch der Stoffwechsel sehr stark
reduziert, wodurch keine Nahrungsaufnahme zum Überleben erforderlich ist. Sie zehren von ihren Körperreserven.

Einige Spinnen, Milben und Insekten sind aber auch im Winter aktiv. Der „Gletscherfloh" · kein Floh eigentlich, sondern ein Springschwanz · lebt im Hochgebirge am Rand der Gletscher in der
Übergangszone zwischen Eis und Boden. Die Temperatur liegt dort ganzjährig um die 0 Grad Celsius. Bei winteraktiven wirbellosen Tieren erweitern biologisch wirksame Frostschutzmittel die
Temperaturtoleranz, so daß sie auch noch bei Minusgraden aktiv sein können. Die meisten Insekten aber überwintern im Eistadium oder als Larve im Wasser.

Eine besonders bequeme Überwinterung haben einige Säugetiere entwickelt. Während des Winterschlafes senken sie ihre Körpertemperatur ab und schränken den Stoffwechsel sehr stark ein. Nur sogenannte
„echte" Winterschläfer wie Murmeltier, Ziesel und Hamster werden munter und nehmen Nahrung auf, wenn es einmal besonders kalt wird. Die „unechten" Winterschläfer, z. B. die Fledermäuse, haben keinen
Weckmechanismus und erfrieren. Der Bär hält keinen Winterschlaf, sondern eine Winterruhe. Dies ist ein Schlaf, der durch mehrmalige, längere Aktivitätsphasen mit Nahrungsaufnahme unterbrochen wird.

In unseren Breiten können wir den Winter ohne künstliche Heizung nicht überleben. Die Zähmung des Feuers war zwar entscheidend für die Weiterentwicklung der Menschheit, der enorme
Heizungsenergiebedarf der heutigen Überbevölkerung wird aber nur in verschwindend kleinem Ausmaß durch erneuerbare Energieträger gedeckt. Die vorhandenen Vorräte an konservierter Sonnenenergie werden
in wenigen Generationen aufgebraucht sein. Dabei werden oft hochwertige Verbindungen verheizt, anstatt sie als Ausgangsmaterial für eine breite Werkstoffpalette zu verwenden. Nur der baldige
Großeinsatz neuer Technologien zur Nutzung der Sonnenenergie sowie die Anwendung längst bekannter Methoden werden das Überleben der menschlichen Art ermöglichen können.

Freitag, 29. Jänner 1999

Aktuell

Kampf um Religionsfreiheit
Religionsfreiheit und Religionskonflikte sind im heutigen Europa brisante Themen
Kopftücher und falsche Nasen
Zwischen rigider Männermoral und westlichem Modernismus: Die Lage der Frauen im Iran
Endspiel mit Samuel Beckett
Zum 100. Geburtstag eines einflussreichen Pioniers der zeitgenössischen Kunst

1 2 3

Lexikon


W

Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum