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Pulsschlag des Verbundbetriebes

Der größte deutsche Stromkonzern ist 100 Jahre alt

Von Günther Luxbacher

Kohle und Wasser zählen zu den wichtigsten Energieträgern der modernen Industriegesellschaft. Immer schon stritten diese beiden
Primärenergien um die Vorherrschaft. In Österreich und der Schweiz überwog die Wasserkraft, in Deutschland die Kohle. Doch alle diese Stoffe werden erst in dem Moment zu „Naturschätzen", wenn sie
gewinnbringend benutzt werden können. In Mitteleuropa wurde diese Nutzung im historischen Verlauf erst dann segensreich für breite Bevölkerungsschichten, als Großunternehmen und Konzerne mit Hilfe
von Banken, staatlichen Stellen und technischen Großanlagen massenhaft Strom über Hunderte von Kilometern zu verteilen begannen. Das größte dieser Unternehmen ist der deutsche Konzern Rheinisch-
Westfälische Elektrizitätswerk AG (RWE), der kürzlich 100 Jahre alt wurde und aus diesem Anlaß eine Unternehmensgeschichte herausgab. Zu den wichtigsten Stromlieferanten dieses Unternehmens zählen
seit 1923 die Vorarlberger Wasserkräfte. Das Zusammenwirken von Technik und Kapital aus Deutschland sowie den österreichischen Naturschätzen ließ Mitte der zwanziger Jahre das internationale
Stromverbundsystem entstehen.

Seit im 19. Jahrhundert elektrische Beleuchtungsanlagen als Alternative zur Gasbeleuchtung aufkamen, setzte zwischen den jungen Elektrizitätsunternehmen in ganz Europa ein Wettbewerb um Aufträge für
den Bau von Stadtzentralen ein. Zu den besonders kostspieligen Faktoren der ersten Kraftwerke zählte die Beschaffung von Primärenergieträgern in Form von Kohle oder Wasser. Nachdem Strom aus Kohle
betriebssicherer als die von Natureinflüssen bestimmte Wasserkraft und außerdem in die Nähe der Verbrauchszentren transportierbar war, setzte man zunächst auf Kohle und Kolbendampfmaschinen, um die
Dynamos zum Laufen zu bringen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts lernte man, Strom über Leitungen von den Wasserkräften ohne allzu große Verluste in die Ballungsgebiete zu übertragen. Daher hatten
Standorte mit ausgebauten Kohlefördermöglichkeiten bald einen erheblichen Kostenvorteil, wie das z. B. im Ruhrgebiet mit seiner Eisen- und Stahlindustrie der Fall war.

Die Montanindustriellen erblickten in der Verstromung von Steinkohle in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einen hoffnungsvollen neuen Absatzmarkt. Der 1870 in Mühlheim an der Ruhr
geborene Sohn einer im Bergbau tätigen Unternehmerfamilie, Hugo Stinnes, erkannte das ebenfalls und es gelang ihm, die Stadtväter der Industriegemeinde Essen zum Bau eines Kraftwerkes auf seinem
Zechengrundstück zu überreden. Er lieferte die Kohle an das Kraftwerk jedoch nicht in fester, sondern durch eine Rohrleitung in gasförmiger Form in den Heizkessel. Damit umging er die Bestimmungen
des Kohlesyndikats, auf das sich die Ruhrindustriellen geeinigt hatten, das für jede verkaufte Tonne Kohle eine Verkaufsumlage kassierte. Damit machte er sich zwar nicht beliebt, konnte jedoch den
Strom um 10 bis 20 Prozent billiger als andere Kraftwerke verkaufen.

Mit dieser Idee wurde 1898 in Essen das RWE gegründet, ein Konzern, der bis zum Ersten Weltkrieg eine gigantische Expansion durch Verquickung der Bereiche Kohle, Hüttenwerke, Kraftwerke zusammen mit
Bankenkapital erreichte. Hugo Stinnes und Emil Rathenau, Gründer der AEG, zählten damals zu den mächtigsten Männern Deutschlands und waren gleichzeitig erbitterte Konkurrenten. Stinnes Pläne waren so
weitreichend, daß er davon überzeugt war, sie nur mit Hilfe staatlicher Stellen in Zusammenarbeit mit Gemeinden, Städten und Kreisen erreichen zu können. Bürgermeister und Stadtverordnete übten sich
in ihrer neuen Rolle als Mitglieder in Aufsichtsräten. Das RWE wurde daher nach und nach zu einem „gemischtwirtschaftlichen" Unternehmen, eine Rechtsform, die heute die meisten
Elektrizitätsversorgungsunternehmen haben. Zu den Anteilen von privatem Kapital am RWE kamen immer mehr staatliche Anteile hinzu. Man könnte sagen, daß damals die Elektrizitätswirtschaft
staatsbildend und der Staat kapitalistisch zu denken begann. Vielleicht nahm hier die heute so gerne gebrauchte Wendung vom „Unternehmen Staat" ihren Ausgangspunkt.

Nachdem der Konzern während und nach dem Ersten Weltkrieg die Kapazitäten von Stein- und Braunkohle mit aller Macht ausgebaut hatte und die Fernübertragungstechnik soweit gediehen war, daß man
hochgespannten Drehstrom auch über Hunderte von Kilometern mit relativ geringen Verlusten übertragen konnte, gerieten die Wasserkräfte des süddeutschen Raumes und Österreichs in das Blickfeld.
Während man hierzulande knapp vor dem Ersten Weltkrieg allmählich etwas heftiger darüber zu diskutierten begann, ob, wie und wann der Ausbau der Wasserkräfte beginnen könne, setzte man in der
Republik die Debatte darüber mit der Frage fort, wie denn dabei das heikle Verhältnis zwischen Bund und Ländern zu gestalten sei.

Währenddessen schritt man in Vorarlberg zur Tat. 1922 erzielten die Bündner Kraftwerke AG in Chur in der Schweiz, der Bezirksverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke im deutschen Biberach und das
„Ländle" Übereinkunft über den Großausbau der Wasserkräfte im Einzugsbereich der Ill · und 1924 wurden unter einer Minderheitsbeteiligung des Landes die Vorarlberger Illwerke gegründet. Die Sperre am
Lünersee zählte zu den ersten Erfolgen. Bald war auch der größte deutsche Elektrizitätsversorger, das RWE, an den Illwerken beteiligt. Während die großen RWE-Braunkohlewerke im Rheinischen und
Ruhrgebiet die Grundlast fuhren, also die täglich gleichbleibende Stromversorgung, übernahmen die Vorarlberger Speicherwerke die Spitzenlast in den Stunden besonders großer Stromnachfrage. Die dafür
von Vorarlberg bis in das Ruhrgebiet reichende erste 220-kV-Leitung war 600 km lang und leitete vor etwa 70 Jahren die Ära des europäischen Stromverbundes ein, die mit der Fertigstellung der
Staustufe in Kaprun einen nationalen Höhepunkt erfuhr.

Die Zweite Republik bezog einen Großteil ihres Selbstwertgefühles aus diesem Bauprojekt, das wie die

VOEST und die Silvrettastaumauer zu einem Zeitpunkt begonnen wurde, als es Österreich juristisch gar nicht gab. Der Steuerraum von Rodund, einer Kraftwerksstufe in Vadans, ist heute beliebtes
Ausflugsziel Vorarlberger Siebtklässler, um „den Pulsschlag des westeuropäischen Verbundbetriebes" zu spüren, wie es in einer Schrift aus den fünfziger Jahren romantisch heißt.

Dieter Schweer und Wolf Thieme (Hg.): Der gläserne Riese. RWE. Ein Konzern wird transparent. Gabler Verlag, Wiesbaden 1998.

Hans Pohl: Vom Stadtwerk zum Großunternehmen. Gründung, Aufbau und Ausbau der RWE 1898 · 1918. Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Beiheft 73, Steiner Verlag Stuttgart.

Freitag, 20. November 1998

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