Spitzelaffäre

Mehdorn kann's nicht lassen

von Leo Klimm (Hamburg), Jens Tartler (Berlin) und Michael Gassmann (Düsseldorf)

Bahn-Chef Hartmut Mehdorn hat der Öffentlichkeit einen weiteren massenhaften Datenabgleich verschwiegen. Wie aus einem Brief von Aufsichtsrat Achim Großmann hervorgeht, unterzog der Staatskonzern 2005 die persönlichen Daten sämtlicher 220.000 Mitarbeiter einem Screening.

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Dadurch wollte das Unternehmen Betrügereien mit Scheinfirmen aufdecken. Das Schreiben Großmanns ist an die übrigen Mitglieder des Bahn-Kontrollgremiums gerichtet. Es liegt der FTD vor.

Das Stillhalten Hartmut Mehdorns höhlt das Vertrauen des Aufsichtsrats in den Konzernchef weiter aus. Aus Kreisen der Bundesregierung verlautete am Dienstag, Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee und sein Staatssekretär Großmann (beide SPD) wollten nun die Ablösung Mehdorns erzwingen. Öffentlich kritisierte Tiefensee, die Aufklärung dauere zu lange. "Es kommt nicht konsequent und im Ganzen ans Tageslicht."

Im Umfeld von Bahn-Aufsichtsratschef Werner Müller hieß es, die versuchte Verschleierung des Screenings laufe Müllers Forderung nach umfassender Aufklärung zuwider. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

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Die Bahn-Affäre war vor knapp zwei Wochen ins Rollen gekommen, als der "Stern" über die Bespitzelung von Führungskräften berichtete. Vor einer Woche gab der Korruptionsbeauftragte des Unternehmens, Wolfgang Schaupensteiner, dann zu, dass die Bahn 2002 und 2003 Adressen und Bankverbindungen von 173.000 Beschäftigten mit den Angaben von Lieferanten verglichen habe.

Hartmut Mehdorn schrieb den Mitarbeitern einen Brief
 Hartmut Mehdorn schrieb den Mitarbeitern einen Brief

In seinem Brief informiert Staatssekretär Großmann nun über ein Sondertreffen des Prüfungsausschusses des Aufsichtsrats am vergangenen Freitag. Das Bahn-Management habe in der Sitzung das weitere Massen-Screening eingeräumt.

In einem Brief an die Mitarbeiter bedauerte Mehdorn am Dienstagvormittag den Datenabgleich in den Jahren 2002 und 2003 - verschwieg aber zugleich die Aktion von 2005, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht an die Öffentlichkeit gekommen war. Es sei nicht nötig gewesen, "den Kreis der Mitarbeiter, die in den Datenabgleich einbezogen wurden, so weit zu ziehen", schrieb Mehdorn.

Der Verbleib des Bahn-Chefs hängt nun in erster Linie von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ab. Aus Regierungskreisen hieß es, die Union befürchte, dass Tiefensees SPD einen Mehdorn-Nachfolger installiert, der von einer möglichen schwarz-gelben Koalition nach der Bundestagswahl nicht zu tragen sei. Deshalb sei Merkel bisher nicht bereit gewesen, Mehdorn fallen zu lassen. Die Bahngewerkschaften GDBA und Transnet zeigten sich empört über die Ausweitung des Skandals. "Wir sind erschüttert", sagte GDBA-Chef Klaus-Dieter Hommel. "Die Sache muss lückenlos, gnadenlos aufgeklärt werden."

 

Ist die Mitarbeiterüberprüfung der Bahn ein Skandal?


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Die Bahn bestätigte am Abend den neuerlichen Datenabgleich. Anders als 2002/03 sei die Überprüfung allerdings nicht von der umstrittenen Detektei Network, sondern von der Bahn selbst vorgenommen worden.

Neben der Bahn hat auch die Telekom Daten von Mitarbeitern erhoben. Bankverbindungen der Lieferanten seien "zu Testzwecken" mit den Lohn- und Gehaltskonten der Belegschaft verglichen worden, räumte der Konzern am Dienstag gegenüber Stern.de ein. Anders als bei der Bahn seien die Daten beim Abgleich anonymisiert worden. Außerdem seien der Datenschutzbeauftragte und der Betriebsrat eingebunden gewesen.

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Aus der FTD vom 04.02.2009
© 2009 Financial Times Deutschland, © Illustration: ddp

 

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