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Dass die Medikamente das Risiko für Selbsttötungen eher erhöhten, blieb in den meisten Artikeln jedoch unerwähnt. David Healy kam in einer Analyse der absoluten Zahlen auf mehr als doppelt so viele Suizide unter der Therapie.

Auch die Konsumenten werden im Auge behalten: Auf firmennahen Webseiten für Patienten ist über Olanzapin zu lesen: "Bipolare Störungen sind oft eine lebenslange Erkrankung, die eine lebenslange Behandlung erforderlich macht. Symptome kommen und gehen, aber die Erkrankung bleibt.

Die Menschen fühlen sich besser, weil die Arznei wirkt und fast jeder, der sie absetzt, wird wieder krank. Je mehr Rückfälle man hat, umso schwerer sind sie zu behandeln." Die Auswirkungen solcher PR-Strategien sind schwer zu erfassen. In Texas hat jedenfalls eine Mutter die Diagnose ihrer zweijährigen Tochter korrigieren lassen. Das Mädchen galt zunächst als aufmerksamkeitsgestört, wurde dann aber als eine der jüngsten Patienten überhaupt als bipolar erkrankt eingestuft.

"Es besteht dennoch Grund zur Hoffnung", sagt Ray Moynihan von der australischen Universität Newcastle. Die Medien trügen zwar dazu bei, dass Krankheiten erfunden und verkauft werden.

Inzwischen gebe es aber nicht nur in der europäischen Presse ein Bewusstsein für Usancen der Befindlichkeitsindustrie. "How Glaxo marketed a malady to sell a drug" (Wie Glaxo eine Krankheit vermarktet, um ein Medikament zu verkaufen) hieß eine Überschrift im Wall Street Journal, als der Pharmakonzern ein neues Mittel gegen das Restless-Legs-Syndrom propagierte.

Die New York Times brachte im März 2008 eine Geschichte mit dem Titel "Drug approved. Is disease real?" (Medikament zugelassen, gibt es die Krankheit?). Anlass war eine neue Arznei gegen Fibromyalgie - das Leiden mit den unklaren Muskelschmerzen. In der öffentlichen Wahrnehmung und bei Verbraucherschützern sei das Problem erkannt, so Moynihan.

Beschwerdefreie Gesunde können sich den Angeboten der Krankheitsverkäufer schwer entziehen. "Zum Ausgangspunkt für ärztliches Handeln kann schließlich alles werden, was von Normwerten abweicht oder sich als Vorzeichen solcher Abweichungen finden lässt", sagt der Leipziger Soziologe Ulrich Bröckling.

Um sich dagegen zu wehren, fordert Moynihan Datenbanken, in denen die Strategien der Krankheitsverkäufer dokumentiert werden. "Wenn man zudem zeigt, welche Kosten durch unnötige Medikalisierung entstehen, würden wohl auch Versicherungen und Politiker endlich aktiver werden."

(SZ vom 31.05.2008/mcs)

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Leserkommentare (8)

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03.06.2008 15:36:00

Zaubberer: Anderer Blickpunkt

Im Marketing eines Unternehmens würde man von "Pull"-Marketing sprechen. Die Pharma-Industrie versucht Ihre ohne Zweifel hohen Entwicklungskosten ohne den herkömmlichen Weg wie über fundierte jahrelange klinische Studien Ihre Produkte abzusetzen. Der beste Fall wäre die "Kunden" kennen das Unternehmen, das Produkt und lassen sich durch die gute Medienwerbung ein Leiden einreden das evtl. gar nicht wirklich existiert.. um so schnell zu Absatz und Umsatz zu kommen..

Jeder kennt mal so Tage wo es einem schlechter oder besser geht. Mal hat man Kreuzweh (weil man wieder falsch gehoben hat..) oder man hat nen Muskelkater (weil es war wieder Tour de France und wurde vom Radhype angesteckt..) etc.

Ich würde einfach zu vernüftigerem Umgang mit dem eigenen Körper und dem Medikamentenwesen umgehen. Man muß net immer Pillchen für alles mampfen..

Ein guter Tee, ne Badewanne voll Wasser, evtl. auch mal Franzbranntwein für

die Muskeln.. hat schon mehreren geholfen als Krankengymnastik und Dauer-

massagen..


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