Hilmar Klute fragt sich, wieso zunehmend mehr alte Menschen so gern in der Öffentlichkeit darüber reden, dass sie immer noch aufregenden Sex haben. Er würde lieber ungestört einen Roman von Victor Hugo lesen
Melancholische Spätherbst-Wimmerei im Films "Wolke 9“.
Foto: dpa
Es war eine glorreiche Feierstunde zum endgültigen Ausklang einer besonderen Form der Späterotik, als der französische Schriftsteller Victor Hugo zu Grabe getragen wurde. Hugo war 83 Jahre alt geworden und bis zuletzt ein, nun ja, durchaus anspruchsvoller Gast der Pariser Freudenhäuser gewesen.
Deshalb bildeten all die Grisetten und Putains – die Franzosen haben für die halbseidenen Dinge aber auch wirklich die allerschönsten Begriffe – einen ziemlich stattlichen Teil der Trauergemeinde auf dem Friedhof Père Lachaise.
Um das hier noch einmal ganz klarzukriegen: Der alte Hugo und die jungen Dirnen waren einerseits eine ziemlich vitale Geschäftsbeziehung eingegangen. Andererseits bewunderten die Mädchen den alten Zausel natürlich auch für seinen langen Atem, und damit ist ausnahmsweise mal nicht die literarische Schufterei an "Die Elenden“ oder an "Notre-Dame von Paris“ gemeint.
Die Hugo’sche Alterserotik war wirklich ganz großes Kino und hatte überhaupt nichts von der melancholischen Spätherbst-Wimmerei des Films "Wolke 9“, in dem alte Menschen das machen, was man bei ziemlich jungen Menschen schon ungeheuer nervig findet: Rumknutschen, bleierne Beziehungsgespräche führen und schließlich in den Weihestunden der unbeschwerten Zweisamkeit nackt wie alte Kaulquappen in einem Waldweiher baden.
Sicher, man kann das alles in behutsamen Talkrunden noch einmal aufarbeiten und sagen, schön, dass sich alte Leute zu ihrem Wunsch nach körperlicher Nähe bekennen und so weiter. Und dann kann man sich die Chose psychoanalytisch von Ruth Westheimer in ihrem Buch "Silver Sex“ auseinanderklamüsern lassen, wenn man wissen will, warum alte Menschen in Spitzenunterwäsche überhaupt nicht lächerlich sind.
Der Osnabrücker Sozialwissenschaftlers Dieter Otten hat kürzlich die Studie "50 plus“ angestrengt, nach welcher rund 80 Prozent der Männer und gut 60 Prozent der Frauen zwischen 50 und 70 Jahren regelmäßigen und durchaus variantenreichen Sex praktizierten. Aber diese Zahlen prägen nur die eine Seite der Silbermedaille.
Die Schwierigkeiten lauern in der Prostata und in vergleichbaren Regionen, und es ist die fiese Hexe Viagra, die in solchen Fällen immer wieder beschworen wird. Ach, es ist ein Elend des triebaffinen Alters, Lust und Wehe in eine tragfähige Balance zu bringen.
Es sei denn – auch wenn es jetzt mit Pflastersteinen gefüllte Kondome hagelt: Man kann es doch auch einfach lassen, nicht wahr? Man kann doch auch sagen, ich bin jetzt über 70, habe ein schönes Leben mit erotischen Höhen und Tiefen geführt und mache jetzt ganz was anderes.
Ich lese neuerdings abends zum Beispiel Victor Hugo und überlasse den Alterssex den Elenden, die sich mit Viagra trimmen und viel zu viele biologische Hindernisse überwinden müssen.
Wenn aber die Entscheidung trotzdem zugunsten des Alterssex fällt, sollte sich die späte Erotik auch bitte mit der Weisheit des Alters paaren, und die sagt: Bitte nehmen Sie Abstand davon, Ihre intimen Erlebnisse überall rumzuerzählen! Kein Mensch möchte nämlich von alten Menschen hören, wie aufregend alles ist, wenn es noch irgendwie funktioniert.
Beteiligen Sie sich bitte nicht an Diskussionen über Feuchtgebiete und Erregungskurven. So etwas tun nämlich nur junge dumme Pärchen, die gemeinsam lieben, träumen und fliegen wollen. Für die reife Liebe gilt ab sofort Folgendes: Sie benötigt kein Beratungsgespräch mehr und findet künftig unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Denn sobald man aufhört darüber zu reden, wird es sicher wieder ganz schön.
Der Kolumnist Hilmar Klute, geboren 1967 in Bochum, ist SZ-Redakteur und Buchautor.
(SZ Wissen, Ausgabe 01/2009/mcs)
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Erbämlicher artikel. Herr Klute kann einem wirklich leid tun. Alles schön tabuisieren, weg mit dem was nicht wirklich ansehnlich ist. Vor allem der satz : " Man kann es doch auch einfach lassen, nicht wahr? Man kann doch auch sagen, ich bin jetzt über 70, habe ein schönes Leben mit erotischen Höhen und Tiefen geführt und mache jetzt ganz was anderes." da fällt einem ja wohl echt nix mehr zu ein, sowas von anmaßend! Ein gosses PFUI an Sie Herr Klute!
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marlot:Impotenz, Midlifecrisis und Altersdiskriminierung
Herr Hilmar Klute, lassen Sie doch bitte diese billige Form der Altersdiskriminierung. Und etwas mehr sachliche Recherche, wenns sonst nicht zur Satire reicht und unbedingt geschrieben werden soll.
Wobei, falls aus Ihrer Feder nichts Besseres kommen mag als solch verklemmter Midlife-Jugendkult, "Man kann es doch auch einfach lassen, nicht wahr?"
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das leistungsdenken in unserer gesellschaft macht eben auch vor dem alter nicht halt. ...
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07.01.200910:23:57
hesimue:Alterssex
Sehr geehrter Herr Klute!
Als Betroffener (Jahrgang 1939) empfehle ich Ihnen, in Ihrem Leben künftig mehr das
Prinzip der "4 G" (Großzügigkeit, Gelassenheit, Geduld und Güte) zu praktizieren und
den "Erfahrungsträgern" in Sachen Sex mehr mit amüsierten Schmunzeln zu lauschen
als mit Ärger und Kritik. Wir wissen doch seit Freud, dass auf diesem Gebiet nur der
erzählt, der in Wirklichkeit Probleme damit hat.
In diesem Sinne freundliche Grüße Dr. Simon
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02.01.200911:27:42
marianne72:
Ein entsetzlich misanthropischer Artikel. Der Autor offenbart in seinem Seelen-Striptease, welch grosses Problem er mit der Natur hat. Seiner Meinung nach sollten nur diejenigen ihre Körperlichkeit ausleben dürfen, deren Haut straff ist und in deren Pass eine niedrige Zahl steht. Wie unglaublich lächerlich!
Schönheit ist immer subjektiv. Die Schönheitsideale der Werbeindustrie, auf deren Gaukelei und Manipulation der Autor hereingefallen ist, können nicht objektiv sein. Ich finde z.B. Menschen in meiner Altersklasse zwischen 30 und 50 wesentlich schöner als unter 30. Sehr viele Männer und Frauen sehen durch meine Augen ab 40 noch viel attraktiver aus als mit 30. Und wenn ich mal 80 werden sollte, werde ich wahrscheinlich in Menschen zwischen 70 und 90 die Schönheit sehen, die einfältige Ignoranten nicht sehen wollen oder können.
Meine Prognose ist, dass die geburtenstärksten Jahrgänge Deutschlands das Problem lösen werden. Wenn die (wie der Autor) in den 60er-Jahren geborenen selbstbewußten Menschen Senioren sind, wird sich die Werbeindustrie ihren Zielen, Normen und Ansprüchen anpassen müssen, wenn sie an deren Kaufkraft will. Dann wollen wir doch mal sehen, wie schön wir Alten sein werden und sein dürfen!
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