11.04.2008
17:00 Uhr
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Der Ethiker
Wie weit dürfen Heilversuche gehen?
Der Philosoph Volker Gerhardt klärt die Argumente der Wissenschaftler und Politiker: Was sollen und was dürfen sie verlangen? Diesmal: Philosophische Auskünfte zu Tierversuchen.
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Allein in Deutschland werden jährlich 2,5 Millionen Tiere zu Forschungszwecken getötet.
Foto: ap
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Der technische Fortschritt hat nichts daran geändert, dass der Mensch auf die Mitwirkung der Tiere angewiesen ist. Zwar benötigt er sie kaum noch zur Fortbewegung oder als Lastenträger. Doch auf ihr Fleisch mag er so wenig verzichten wie auf ihre Gesellschaft. Dabei ist es nicht unerheblich, dass er in der Haltung gegenüber dem Tier sein moralisches Urteil übt. In der Liebe zum Tier pflegt der Mensch seine Liebe zu sich selbst, die, wie man weiß, nicht selten unglücklich ist. Die Tierversuche, ohne die es keine nennenswerte medizinische Forschung gäbe, sind daher eine elementare Herausforderung an das humane Selbstverständnis. Allein in Deutschland werden jährlich 2,5 Millionen Tiere zu Forschungszwecken getötet. Mehr als die Hälfte davon sind Mäuse. Auch Ratten, Katzen, Hunde und Affen sind dabei. Einige davon gibt es mit patentierten Defekten: ohne Fell, mit Fettsucht oder Diabetes, ja sogar als „Onkomaus“, mit genetisch eingebauter Krebsanfälligkeit. Wie können wir das rechtfertigen? Nur dadurch, dass wir unser Dasein erhalten und eigenes Leid mindern wollen. Niemand zögert, eine Mücke zu erschlagen, die sich gerade von seinem Blut ernährt. Jeder würde ein angreifendes Raubtier erschießen. Hier gilt der Vorrang der Selbsterhaltung, der auch auf die Gattung übertragen wird, weil der Einzelne nur in Verbindung mit seinesgleichen überleben kann.
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Deutschland ist Debattenland. Der Philosoph Volker Gerhardt, Mitglied des Deutschen Ethikrats, klärt die Argumente der Wissenschaft und Gesellschaft: Welche Ansprüche sollen und dürfen sie stellen?
Foto: oh
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Diese Selbsterhaltung ist eine Bedingung der Natur. Von ihr kann sich der Mensch nicht ausnehmen. Sie erklärt und sie rechtfertigt, dass er sein Leben auf Kosten anderen Lebens sichert. Das Dilemma des Menschen aber besteht darin, dass er einerseits die Fähigkeit erworben hat, fast unbeschränkt über anderes Leben zu verfügen. Andererseits kann er nicht umhin, sich in die Lage seiner Opfer zu versetzen. Er hat eine Vorstellung davon, was er ihnen zufügt. Mitgefühl und Selbstachtung nötigen ihn, das durch ihn verursachte Leid so gering wie möglich zu halten. Darin liegt ein ethisches Gebot, das den Menschen zum Tierschutz verpflichtet. Dazu gehört, Versuche an Tieren zu begrenzen: sie auf die Erprobung nichtkosmetischer, medizinisch notwendiger Verfahren zu beschränken und alternative Testmethoden zu entwickeln. Die Gentechnologie, die es erlaubt, die lebensnahe Wirkung von Stoffen an Gewebeproben zu überprüfen, lässt hoffen, dass dies keine leere Forderung ist. In klinischen Studien werden Wirkungen und Nebeneffekte auch am Menschen erforscht: an freiwillig teilnehmenden Patienten in einem kontrollierten, experimentellen Umfeld. Das ist mit Tierversuchen nicht vergleichbar.
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