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Kunstsinnig

Freddy und Jason erkunden den Mars

Claudia Aigner ist Germanistin und Kunsthistorikerin und glaubt an das Lachen als Symptom der Erkenntnis. Foto: E. A. Richter

Claudia Aigner ist Germanistin und Kunsthistorikerin und glaubt an das Lachen als Symptom der Erkenntnis. Foto: E. A. Richter

Von Claudia Aigner

Wie stellt man "Pilcherwasser" her (benannt nach der Rosamunde P.) und was hat man überhaupt davon? Und wieso gibt es eigentlich kein Leben auf dem Mars .. . mehr?

Den freien Willen gibt es sowieso nicht. Der ist bloße Einbildung. Die Speisekarte zum Beispiel, die ist eine reine Formalität. Wir sagen: "Ich hätte gerne .. .", da hat der ungeduldige Kellner die Bestellung aber eh schon längst notiert: "Wiener Schnitzel." Und was liegt, das pickt. Basta. Dass wir am Ende trotzdem genau das serviert kriegen, wofür wir uns unserer Meinung nach anfangs entschieden haben, das bewirkt ein hochkomplexer psychischer Vorgang. Irgendwas mit Spontan-Amnesie und Anpassung der Erinnerung an die Wirklichkeit. An die Wirklichkeit auf dem Teller.

Und natürlich hab ich mir nicht selber ausgesucht, über Kunst zu schreiben. Zwei streunende Hunde haben das zu verantworten, die mich, ich war grad neun, in eine traumatische Rotkäppchen-Episode verwickelt haben. Gut, sie wollten nicht mich fressen, aber immerhin meine Hausaufgaben. Ich war also auf dem Weg zur Schule, mit einem zusammengerollten Blatt Papier der Größe DIN A2, weil wir daheim etwas zum Thema "So lebt man auf dem Mars" hatten malen sollen. Da preschten diese triefenden Lefzen auf mich zu und vertieften sich zornig in mein Kunstwerk, zerrten brutal an der Rolle.

Man hört ja immer wieder von apportierwütigen Hunden, die den Zeitungszusteller oder den Postboten ins Wadel beißen, damit der alles fallen lässt und es mit den Briefen oder der Zeitung nicht bis zur Haustür schafft, weil: Es kann nur einen geben, der hier apportiert. Dennoch haben die rabiaten Köter (nennen wir sie Freddy und Jason, sprich: "Dscheisn") mich wohl nicht überfallen, um meine Gouache zu erbeuten, weil sie sie meiner Lehrerin unbedingt persönlich hätten überbringen wollen. Aktionistisches Banausentum war das, äh: angewandte Kunstkritik. Die haben mein Opus mit den geifernden Mäulern "rezensiert".

Als Freddy und Jason (diese Ikonophagen, diese Bilderfresser) von meinem Mars endlich abließen, war das Leben auf dem roten Planeten jedenfalls mausetot. Und irgendwann später bin ich folgerichtig Kunstkritikerin geworden. Jetzt zerfetze ich . Hätten Freddy und Jason, diese Schergen der Vorsehung (oder des AMS), einen Deutschaufsatz von mir zerrissen, ich wär’ heute Literaturpäpstin und mit dem Marcel per Du wie der Robin mit Batman. Und Freddy und Jason würden Reich und Schön heißen, pardon: Reich und Ranicki.

Bücher kann man übrigens ebenfalls essen. Menelik II. etwa, Herrscher über Äthiopien, war ein berüchtigter Bibliophage. Wenn er krank war, hat er ein paar Seiten aus der Bibel verzehrt und sich gleich besser gefühlt. Nach einem Schlaganfall im Jahre 1913 hat er schließlich das ganze Buch der Könige verputzt und – ist verschieden. Tja, die Dosis macht das Gift. Ich hätte da auch einen alternativmedizinischen Vorschlag: homöopathisches Lesen. Man weiche einen Roman von Rosamunde Pilcher in Wasser ein, entferne ihn nach drei Tagen wieder und trinke ausgiebig von diesem "Pilcherwasser". Das hilft wunderbar gegen – Durst.

Wissen Sie eigentlich, was "tätiger Analphabetismus" ist? Wenn man einen Klassiker mit dem Allerwertesten rezipiert (ihn als Klopapier benutzt). Das hätte ich einmal selber fast getan. Mit Stifters "Nachsommer". Nach dieser tagelangen, unfreiwilligen Arbeit an meiner Gähntechnik hätte banales Knüll-Origami einfach nicht mehr ausgereicht, um meine Gefühle diesem Buch gegenüber auszudrücken. Freilich hat es sich um eine Dünndruckausgabe gehandelt. Und so eine ist ja nicht gerade hart im Nehmen, nicht "durchschnupfsicher". Ob diese Kolumne passablere Nehmerqualitäten besitzt, das müssen schon Sie herausfinden. Um das jetzt selber, im Selbstversuch, zu testen, dafür bin ich nicht selbstkritisch genug.

Printausgabe vom Freitag, 19. Dezember 2008

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