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11.12.2008    16:44 Uhr Drucken  |  Versenden  |  Kontakt
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Philosoph Voland im Interview

Die Evolution der Ehrenamtlichkeit

Philosoph Eckart Voland erklärt in SZ Wissen, warum auch Selbstlosigkeit eigentlich eine Sache von Egoisten ist.
Interview: Philip Wolff


vergrößern Welche Vor- und Nachteile entstehen aus dem fürsorglichen Verhalten? Eine Suppenküche der Frankfurter Bahnhofsmission.
Foto: AP
 

SZ Wissen: Eine sehr alte Bekannte von mir muss ins Pflegeheim und bemerkte neulich: Was wird dann bloß aus meinen Leutchen? Gemeint waren bettlägerige Gleichaltrige, die sie betreut. So eine Selbstlosigkeit macht mich baff.

Eckart Voland: Mich auch, aber trotzdem: Ein wenig Skepsis wäre angebracht. Was steckt tatsächlich hinter so einer Selbstauskunft? Sie kann absolut ehrlich gemeint sein, und man darf das Engagement der Frau nicht abwerten, aber Menschen halten sich erwiesenermaßen immer für etwas moralischer, als sie von anderen wahrgenommen werden.

Man müsste einmal fragen: Welche Vor- und Nachteile sind der Frau aus ihrem fürsorglichen Verhalten entstanden? Der psychische Gewinn, die innere Befriedigung kann weit größer sein als die Kosten, die sie auf sich genommen hat.

SZ Wissen: Sie meinen, es könnte auch Egoismus dahinterstecken? Dann gäbe es womöglich keinen wahren Altruismus.

Voland: Doch, den gibt es natürlich, aber man muss verstehen, welche Wurzeln er in der menschlichen Evolution hat. Die lange gängige Theorie, nach der Gruppen konkurrenzfähiger wurden, je selbstloser sich ihre Mitglieder verhielten, kann Altruismus nicht gut erklären. Denn jeder Eigenbrötler, der sich konsequent egoistisch verhält, würde zum größten Gewinner in so einer Gruppe.



Eckart Voland, Jahrgang 1949, ist ein führender Biophilosoph. Er forscht an der Universität Gießen.
Foto: oH
 

Man braucht also andere Modelle. Die Verwandtenunterstützung zum Beispiel, denn sie sichert den Fortbestand eigener Gene. Oder die ökonomische Annahme, dass selbstloses Verhalten auf Dauer Kooperationsgewinne erzielt nach dem Motto: Wer gibt, dem wird gegeben. Oder es gilt das Pfauenrad-Prinzip: Dadurch, dass ich mir einen Luxus wie Generosität leiste, demonstriere ich meine Vorzüge und ernte Anerkennung.

SZ Wissen: Welcher evolutionäre Gewinn sollte der Frau noch winken?

Voland: Vermutlich keiner mehr, aber darauf kommt es auch gar nicht an. Entscheidend für den evolutionären Erfolg von Verhaltensweisen ist, dass sie im Mittel über die Lebensspanne insgesamt vorteilhaft waren.

Je älter Menschen werden, desto mehr treten sie gleichsam in den Schatten der Selektion, was erklärt, dass persönliche Verhaltensweisen biografisch sehr stabil sein können, obwohl sie eigentlich keinen Zweck mehr haben. Hochbetagte haben nicht selten noch einen Sparvertrag. Das ist ökonomisch irrational, aber über das Leben betrachtet, ist Selbstvorsorge sicherlich eine nützliche Strategie.


SZ Wissen: Dann sollten vor allem junge Menschen ehrenamtlich tätig sein. Senioren sind dies aber häufiger.

Voland: Die Kosten-Nutzen-Bilanz von Altruismus ist altersabhängig. Die Älteren haben mehr Zeit. Ökonomisch gesprochen, ist für sie der Zeiteinsatz billiger als für jüngere, berufstätige Menschen. Eine Tante von mir hat jahrelang in Supermärkten und Restaurants Essensreste eingesammelt und Bedürftige bekocht. Alle fanden es toll, aber die Kosten, die meine Tante hatte, tendierten gegen null. Es war für sie eine erfüllende Freizeitgestaltung.

SZ Wissen: Sie hätte auch auf den Golfplatz gehen können.

Voland: Aber in ihrem sozialen Umfeld hätte sie durch sportive Leistungen weniger Anerkennung gefunden als durch ihr soziales Engagement.

SZ Wissen: Also ist das Helfen doch egoistisch?

Voland: Nein, wir müssen klar unterscheiden zwischen einer psychologischen und einer evolutionären Definition von Altruismus. Aus psychologischer Sicht gibt es aufrichtig empfundene Selbstlosigkeit. Soziobiologen würden aber ergänzen: Es gibt auch egoistische Erklärungen dafür. Dadurch muss sich niemand zurückgesetzt fühlen. Selbstloses Verhalten ist und bleibt ehrenwert.


(SZ Wissen, Ausgabe 1/2009/mcs)


 

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Leserkommentare (4)

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09.01.2009 10:21:48

PhineasT: Warum eigentlich immer wieder Voland?

Als Armutszeugnis empfinde ich es, dass diesem populärwissenschaftlichem Sozialdarwinisten gerade in der SZ immer wieder die Möglichkeit geboten wird, sich zu - häufig interessanten und diskussionswürdigen - Themen zu Wort zu melden und seine mal fragwürdigen, mal aus soziologischer/sozialpsychologischer Sicht völlig lächerlichen (Hypo-)Thesen als wissenschaftliche Beiträge darzustellen.

Liebes Redaktionsteam, ich appelliere an Eure publizistische Machtposition: Macht mal was Vernünftiges draus, sprecht mal mit ernstzunehmenden Leuten, auch wenn man damit möglicherweise die breite Lesermasse nicht so leichtkostig bedient. Aber dies ist hier doch auch nicht FOCUS oder BILD, oder? Traut Euren Lesern bitte etwas mehr zu!


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