Innenminister Rech im Interview
"Das Waffenrecht ist scharf genug"
"Die Ermittler wurden von der Aktualität eingeholt", verteidigt Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech die Ermittlungspanne beim Amoklauf von Winnenden. Im "Stern"-Interview spricht er über die Psyche des Täters, das Waffenrecht in Deutschland und erste Ergebnisse aus der Vernehmung der Eltern.
Herr Minister, sind Sie den Antworten nach dem Wie und Warum des Amoklauf von Winnenden, des zweiblutigsten der Nachkriegsgeschichte, näher gekommen?
Die Fragen nach dem Wie sind weithin beantwortet, bei der Frage nach Warum ist vieles noch unklar.
Es scheint allerdings eine schwere Panne gegeben zu haben. Die Bekanntgabe, dass Tim K. seinen Amoklauf im Internet angekündigt habe, war offensichtlich falsch.
Wir haben gestern nur den aktuellen Stand der Ermittlungen mitgeteilt. Ermittlungen sind, während sie laufen, immer Momentaufnahmen. Insofern wurden die Ermittler von der Aktualität eingeholt.
Wie sehen Sie die Persönlichkeit des Täters inzwischen?
Mit dem, was wir in seinem Zimmer gefunden haben, was seine Eltern und die Lehrer über ihn sagen, gewinnen wir das Bild eines sehr zurück gezogenen jungen Mannes, der auch schon einmal in psychiatrischer Behandlung war wegen Depressionen, der offenbar Probleme hatte, soziale Kontakte aufzubauen.
Die Behandlung wegen seiner Depressionen ist abgebrochen worden. Weshalb? Hat man die Eltern danach gefragt?
Das ist ungeklärt. Bei der Durchsuchung seines Zimmers wurde eine Bescheinigung im Blick auf seine Wehrtauglichkeit gefunden. Darin steht, dass er sich schon seit dem Jahr 2008 in psychiatrischer Behandlung befinde wegen Depressionen. Wir wissen dazu, dass er deswegen in einer Klinik in der Nähe von Heilbronn stationär behandelt worden ist. Diese Therapie sollte er beim psychiatrischen Krankenhaus in Winnenden fortsetzen. Das geschah nicht, weshalb, wissen wir noch nicht.
Die Ermittler müssen doch schon mit seinen Eltern darüber gesprochen haben.
Das haben sie. Aber die Eltern waren schon nach relativ kurzer Zeit nicht mehr in der Lage, Fragen zu beantworten. Die Vernehmung musste abgebrochen werden. Das kann man nachvollziehen. Eine vertiefende Vernehmung wird stattfinden, wenn die Eltern wieder können.
Was haben die Eltern bisher gesagt?
Dass er ein sehr zurückgezogenes, isoliertes Leben geführt hat. Sie haben ihn häufig zum Tischtennis gefahren und wieder abgeholt. Nie ging er hinterher mit seinen Sportfreunden noch auf ein Bier.
- Heribert Rech
Trifft den Vater eine Mitschuld, weil er die eine Waffe, die sein Sohn benutzte, nicht auch im Waffenschrank weggeschlossen hatte?
Diese Frage muss die Staatsanwaltschaft klären. Nach dem Waffenrecht ist es schon so, dass Waffen und Munition absolut gesichert aufzubewahren sind. Es gab ja auch zwei Stahlschränke im Keller mit Zahlenschlössern. 15 Waffen hatte der Vater, eine war nicht gesichert, die lag im Schlafzimmer.
Aber woher hatte er die enorme Munitionierung? Auch aus dem Schlafzimmer?
Er hatte in der Tat weit mehr als 200 Schuss Munition bei sich, Kaliber 9 mm, von denen er etwas über 100 abgefeuert hat. Wir vermuten, dass er sich diese Munition beschafft haben dürfte, weil er die Zahlenkombination der Stahlschränke kannte.
Kann aus der Sicht eines Innenministers überhaupt etwas getan vorbeugend werden, um solche Amokläufe zu verhindern? Muss das Waffenrecht noch weiter verschärft werden?
Wir haben bereits das schärfste Waffenrecht in Europa, aber es hat diese Tat in Winnenden nicht verhindert. Das Waffenrecht ist scharf genug. Was nützt es denn, wenn dann die eine Waffe nicht ordnungsgemäß gesichert ist vor Missbrauch.
Vielleicht sollte das bei Sportschützen regelmäßig und unangekündigt kontrolliert werden. Beim Vater von Tim K. hätte man dann die Pistole im Nachttisch gefunden.
Jeder Sportschütze muss wissen, dass er seine Waffe aufbewahren muss und wie das zu geschehen hat.
Stimmen Sie der These zu, dass jedem, der sich in Deutschland illegal eine Waffe beschaffen will, dieses auch gelingt?
Genau so ist es leider. Das verbleibende Restrisiko können wir durch keine Verschärfung der Gesetze auf Null reduzieren.
Sollte man nicht beschließen, dass die enormen Waffenmengen von Schützenvereinen strikt in deren Räumen bleiben müssen?
Man muss darüber nachdenken. Aber ein Argument spricht dagegen: Wenn etwa das organisierte Verbrechen an einen dieser Räume denkt und ihn knackt, was man nicht ausschließen kann, dürfte der Schaden noch größer sein. Wir können diese Räume, die dann noch eine hohe Anziehungskraft haben, weil sie oft am Ortsrand oder im Wald liegen, doch nicht wie Hochsicherheitstrakte schützen.
Es ist bekannt, dass auch die legalen Waffenbesitzer längst nicht immer so sorgfältig mit ihren Waffen umgehen, wie es sein sollte.
Das scheint leider der Fall zu sein, wie man das jetzt auch in diesem aktuellen Fall beklagen muss. Die Zuverlässigkeit der legalen Waffenbesitzer muss daher auf jeden Fall noch erheblich gesteigert werden. Das setzt auch entsprechende Strafen voraus, wenn dies nicht der Fall ist. Eine hundertprozentige Sicherheit werden wir leider dennoch nicht erreichen.
Das klingt sehr resignativ für einen CDU-Innenminister.
Ich warne vor reflexartigen vorschnellen Forderungen, die aus der emotionell aufgeheizten Situation heraus formuliert werden. Jetzt steht anderes im Vordergrund.
Was?
Es muss zunächst alles getan werden, um die Betroffenen des jüngsten Amoklaufs zu stabilisieren. Die Kinder der Schule, die Lehrer, die Gemeinde stehen unter einem seelischen Schock. Auch die Einsatzkräfte bekommen Hilfestellung.
Wie stehen Sie zu der Forderung, dass an den Schulen künftig mehr sensible seelische Beobachtung der Schüler stattfinden muss.
Die seelische Beobachtung unserer jungen Menschen muss in der Tat sehr viel stärker stattfinden in Zukunft. Diese Frage berührt mich, seit ich die toten Kinder gesehen habe, am stärksten. Es gibt ja nicht nur die explosiv nach außen sichtbare jugendliche Gewalt, die mich als Innenminister ständig beschäftigt. Also Jugendkriminalität, Koma-Saufereien, brutale Schlägereien und vieles andere mehr. Diese Gewalt nach außen nehmen wir wahr, dagegen tun wir vieles. Aber gegen die Gewalt gegen sich selbst tun wir nichts. Immer mehr Jugendliche ritzen sich, andere hungern sich fast zu Tode, viele zerstören sich durch Drogen. Das wird gerne übersehen, sogar in den Familien dieser jungen Menschen selbst. Ihre Eltern erkennen die dahinter steckende innere Isolation nicht, verdrängen wohl auch, dass ihre Kinder sich nicht geliebt und verstanden fühlen. Das ist der entscheidende Punkt: Dass unsere Gesellschaft mehr Sensibilität für diese Probleme entwickelt. Man kann sie nicht mit lockerer Hand Lehrern und Schulen zur Lösung zuschieben.
Vielleicht sollte die Politik verbieten, dass in Schützenvereinen bereits zwölfjährige Kinder schießen lernen. Tim K. soll dort vom Vater schon mit zehn hingenommen worden sein.
Darüber muss in der Tat noch gründlich diskutiert werden.
Wieso lassen dann die Gesellschaft, die Eltern und die Politik brutale Spiele und Videos mit Gewaltverherrlichung immer noch locker zu? Das war doch auch beim Täter von Winnenden der Fall.
Er hatte in der Tat so typische Computerspiele wie "Counter-Strike" in seinem Zimmer. Viele Eltern wissen nicht, oder wollen es nicht wissen, was sich da in ihren Kinderzimmern an Gewaltpotential ansammelt, was da über die modernen Medien alles abläuft. Manchen Müttern oder Väter ist es doch gerade recht, wenn sie ihre Ruhe haben vor dem 14-Jährigen. Statt ihm persönliche Zuwendung zuteil werden zu lassen, sind viele Eltern froh, wenn das Kind jede freie Stunde vor dem Schirm verbringt, auf dem geschossen und gemordet wird.
Oder wenn der Sohn mit Pump-Guns ballert?
Ja, der Junge hatte vier Softair-Waffen an der Wand seines Zimmers hängen. Aber seine Eltern scheinen das nicht wahrgenommen und als Warnzeichen verstanden zu haben. Die für diese Dinge notwendigen Antennen fehlen immer mehr Eltern.
Eine polizeitaktische Frage ist das nicht, sondern eine gesellschaftspolitische.
Das sage ich seit langem, lange auch schon vor diesem Amoklauf. Die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen, die Jugendkriminalität, die zum Beispiel in Baden-Württemberg zehn Jahre gestiegen ist, ehe wir sie im letzten Jahr stoppen konnten, muss endlich von allen sehr, sehr ernst genommen werden. Trotz eines Rückgangs von acht Prozent bei uns im Lande ist sie immer noch sehr hoch. Selbst gegen Polizeibeamte gehen Jugendliche immer rücksichtsloser vor. Derartige Vergehen haben sich letzter Zeit verdoppelt. Da sollte sich jeder Erwachsene mal fragen, ob er fünf Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren kennt, die ihm vorbehaltlos vertrauen. Oder sich ihm in einer seelischen Notlage anvertrauen würden.
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