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Mehr Mut zur Unsicherheit!

Björn Lomborg überprüft die Gewissheiten der Umweltschützer
Von Peter Markl

Am 23. August 2002 werden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Alpbacher Technologiegespräche abgehalten, bei denen es auch um das Thema "Wissenschaft und Zukunft" gehen wird. Unter den Teilnehmern ist Björn Lomborg, ein junger Statistiker, der vor einigen Monaten zum Direktor des "Institute for Environmental Assessment" Dänemarks gemacht wurde. Er, der vorher als Statistiker an der Abteilung für politische Wissenschaften der Universität Aarhus gearbeitet hatte, ist zur Zeit in der Umweltbewegung umstritten wie kaum jemand zuvor.

Motiviert durch eine langsam gewachsene Allergie gegen die Litanei, die in weiten Teilen der Umweltbewegung gebetsmühlenhaft wiederholt wird und sich anscheinend irreversibel in manchen Zettelkästen und Computerspeichern eingenistet hat, wollte er an Hand von Daten herausfinden, was sich davon nachvollziehen lässt. Stimmt denn die immer wieder angestimmte Klage darüber, dass sich der Zustand der Welt unablässig von schlecht zu noch schlechter wandelt? Die Bevölkerung wächst unaufhörlich, die Ressourcen neigen sich dem Ende zu, der Hunger breitet sich aus, Luft und Wasser werden immer dreckiger, die Erde heizt sich auf, Tier- und Pflanzenarten sterben mit einer in den Jahrtausenden vorher nie beobachteten Geschwindigkeit aus, die Wälder verschwinden ebenso wie die Fischvorräte und Korallenriffe . . .

Gebremster Optimismus

Lomborg hat vier Jahre an seinem Buch "The Skeptical Environmentalist" daran gearbeitet. Was herauskam ist - in der jetzt erschienenen deutschen Ausgabe - ein 410 Seiten langes polemisches Pamphlet in der Gegenrichtung, untermauert von 73 Seiten Anmerkungen, gestützt auf 1.800 Literaturzitate, die er alle zumindest überflogen zu haben scheint. Vor allem aber: im ersten Teil des Buches erinnert er an viele peinliche Zitate aus dem Kampf um die Umweltpolitik, die ihre Autoren - soweit sie Wissenschaftler und nicht "Umweltaktivisten" sind - heute gern vergessen haben wollten.

Sein Resümee ist ein schaumgebremster Optimismus: er konstatiert, dass das Leben der Menschen auf der Erde sich - im Vergleich zur Vergangenheit - in praktisch jedem ihm relevant scheinenden und messbaren Indikator verbessert und nicht verschlechtert hat. Mehr noch: es hat wesentliche Verbesserungen gegeben, auch wenn natürlich noch lange nicht erreicht ist, was man sich wünschen würde: "Wenn man klar macht, dass gerade unsere am meisten publizierten Ängste unbegründet sind, dann heißt das nicht, dass wir keine Anstrengungen unternehmen sollten, unsere Umwelt zu verbessern. Es ist in vielen Fällen vernünftig, Anstrengungen dazu zu unternehmen, besser mit unseren Ressourcen umzugehen und unsere Probleme auf Gebieten wie Erhaltung der Wälder, Wasserhaushalt, Luftverunreinigung und globale Erwärmung in Angriff zu nehmen".

Das Problem ist nur, dass sich Lomborg unmöglich viel vorgenommen hat: als Statistiker kann er zwar (meist) beurteilen, ob die erfassten Daten statistisch adäquat interpretiert wurden, aber er kann natürlich - ebenso wenig wie übrigens die Generalisten der Umweltbewegung - nicht immer beurteilen, welche Daten für ein Problem relevant sind. Er kann sich daher nur relativ selten auf die Originalliteratur beziehen und ist auf Dokumente wie die Berichte der FAO, der Weltgesundheitsorganisation, der verschiedenen UNO-Organisationen oder des IPCC (Intergovernmental Panel on Climatic Change) angewiesen, deren Grundlage ja die von den Spezialisten auf einem Gebiet kritisch gesichteten Modelle und Daten sind.

Es wäre natürlich etwas naiv anzunehmen, dass es zu sehr fruchtbaren Diskussionen kommen kann, wenn die Diskussionspartner einander in gegenteiligen Lagern sehen und hinter der jeweils anderen Position sinistre Motive vermuten - etwa im Sold einer Industrie zu stehen oder nicht gerechtfertigte Ängste erzeugen zu wollen, die man über den Umweg einer Umweltpolitik zu Geld machen kann. Sehr oft werden schon die Prämissen, von denen der Diskussionspartner ausgeht, nicht akzeptiert.

Trotzdem können solche Diskussionen einiges klären, vor allem, wenn die Einwände an Hand ganz spezifischer Behauptungen diskutiert werden und dabei interessante neue Aspekte ins Blickfeld kommen.

Gerade da kann Lomborgs Buch Diskussionen stimulieren.

Ein Beispiel dafür ist der Artikel, den Stephen Schneider, Spezialist für Klimamodelle und Senior Fellow am Institut für Internationale Studien der Stanford Universität, dem "Scientific American" beigesteuert hat, als dort einige Seiten der "Lomborg Kontroverse" gewidmet waren - übrigens bisher ohne Lomborg die Gelegenheit zu geben, zu der Kritik Stellung zu nehmen.

Stephen Schneider ist auch Herausgeber der Fachzeitschrift "Climatic Change", ein prominentes Mitglied des IPPC und seit einigen Jahren auf einer Art Kreuzzug für intellektuelle Redlichkeit im Hinblick auf die Unsicherheit wissenschaftlicher Resultate: wer ein Resultat zur Diskussion stellt, ist verpflichtet, auch anzugeben, in welchem Ausmaß es unsicher ist.

Das ist zwar auf vielen Gebieten der Naturwissenschaften seit langem zur Selbstverständlichkeit geworden, auf anderen Gebieten aber immer noch umstritten - und das nicht ganz ohne Grund.

Stephen Schneider sieht es als nicht sehr erfreulich an, dass Lomborgs Buch von zahlreichen Spezialisten verrissen worden ist, er fürchtet aber, dass "leider viele Laien und Entscheidungsträger die Verrisse gar nicht zu Gesicht bekommen werden und sich verleiten lassen, Tausende von Zitaten und hunderte Seiten für eine fundierte und ausgewogene wissenschaftliche Arbeit zu halten", was er nicht nachempfinden kann. Er schlägt eine Art Faustregel für die schnelle Beurteilung wissenschaftlicher Ergebnisse vor - nämlich im Zweifel "zu prüfen, wer Unsicherheitsspannen und subjektive Wahrscheinlichkeiten angibt, und vor Leuten auf der Hut zu sein, die meinen, die Wahrheit gepachtet zu haben". Man vermutet zwar, dass dieser Vorschlag dazu angetan ist, die Reihen von Lomborgs Gegnern gefährlich zu lichten, aber der Vorschlag ist ganz ausgezeichnet.

Er ist nur leider schwer zu verwirklichen und es gibt - woran ein Bericht in der jüngsten Ausgabe der "Nature" erinnert - auch unter Schneiders Kollegen im IPPC entschiedenen Widerstand.

Wahrscheinlichkeiten

Seit 1995, als der IPCC seinen zweiten Bericht veröffentlichte, kämpfen Stephen Schneider und sein Kollege Richard Moss, der alle amerikanische Forschungsprogramme zum Thema Klimawandel koordiniert, dafür, selbst bei den komplexesten wissenschaftlichen Vorhersagen den Bereich abzustecken, in dem der vorhergesagte Wert unsicher ist, am besten durch Angabe der Wahrscheinlichkeit, mit der das wahre Ergebnis in diesem Bereich liegen wird.

Der Bericht von 1995 war der erste IPPC-Bericht, in dem man zu dem unmissverständlichen Schluss gelangt war, dass menschliche Aktivitäten das Klima bereits beeinflussen. Im Bericht stand zu lesen, dass sich das Klima um 1,5 bis 4,5 º C erhöhen würde, falls die Kohlendioxidkonzentration doppelt so groß werden sollte wie vor der Industrialisierung.

Es kam wie es kommen musste: Umweltgruppen zitierten die obersten Werte, die Vertreter der Erdölfirmen den unteren Grenzwert - beide, obwohl es wahrscheinlicher war, dass Werte in der Mitte des Bereichs erreicht werden könnten.

Schneider und Moss schlugen vor, die Werte mit der absehbaren Wahrscheinlichkeit ihres Eintreffens anzugeben und für den Unsicherheitsbereich noch qualitative Beschreibungen anzufügen: eine Wahrscheinlichkeit unter 5 Prozent sollte etwa als "sehr niedrige Eintrittswahrscheinlichkeit", Werte zwischen 33 bis 67 Prozent als "mittlere Eintrittswahrscheinlichkeit" und Werte über 95 Prozent als Werte mit sehr hoher Eintrittswahrscheinlichkeit und daher ziemlich vertrauenswürdig bezeichnet werden.

Viele Klimaforscher zögerten allerdings, die mögliche Fehlerbreite der Resultate ihrer Modelle quantitativ zu bewerten, da sie keine Methode sahen, wie sie zu diesen Werten kommen sollten. Sie waren ohne die Möglichkeit, ihre Modelle an der Realität testen zu können, in ungleich schlechterer Position als etwa die Meteorologen, die zwar auch mathematische Modelle verwenden, aber an realen Daten ausprobieren können, was sie wert sind: sie können angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit ihr Modell, wenn man bestimmte Eingangsdaten hineinfüttert, auch richtige Wettervorhersagen liefern. Sie haben dazu ja Wetterdaten aus der Vergangenheit und können so eine Art Kalibration erreichen. Die verschiedenen Szenarien für die in den kommenden Jahrzehnten zu erwartenden Anstiege der Kohlendioxidkonzentration hängen natürlich von künftigen energiepolitischen Entscheidungen ab, deren Wahrscheinlichkeit man bestenfalls subjektiv abschätzen kann.

Unsicherheiten

Richard Moss und Stephen Schneider schlugen daher vor, eine in anderen Fächern durchaus verwendete Methode, nämlich die "Bayesianische" Statistik einzusetzen, bei der man zu quantifizieren versucht, welche Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Behauptung im Licht des vorliegenden Belegmaterials hat. In Abwesenheit anderer Daten muss man dazu allerdings von einem subjektiv abgeschätzten ersten Wahrscheinlichkeitswert ausgehen und kann dann diesen Wert mit objektiven Methoden im Licht neu hinzukommenden Belegmaterials korrigieren. Diese Methoden sind zwar nicht mehr so subjektiv, wie eine informierte persönliche Einschätzung ohne alle Statistik, es schien aber vielen Experten doch zu missverständlich, solche relativen Wahrscheinlichkeiten zu nennen, da sie eine Sicherheit jenseits aller subjektiven Einschätzungen vorspiegeln, was missverständlich ist.

Die Frage, wie man die unvermeidliche Unsicherheit im Hinblick auf die Genauigkeit der durch Klimamodelle erhaltenen Daten Außenstehenden so vermittelt, dass sie nicht missverstanden werden können, hat Stephen Schneider seit Jahren beschäftigt. Es ist nur zu offensichtlich, dass eine einzige Wahrscheinlichkeit als Maßzahl für die Güte der mit einem Modell erhaltenen Resultate nicht ausreichen kann. Schneider schlug daher eine mehrdimensionale Charakterisierung vor und erarbeitete Methoden, mit denen man das Ausmaß des Vertrauens in ein Modell auch grafisch eindringlich darstellen kann.

Einer der diskutierten Vorschläge geht - zum Beispiel - von einer Bewertung des Modells in Bezug auf vier Eigenschaften aus: wie gut ist die Theorie, welche dem mathematischen Modell zugrunde liegt, geprüft worden; wie weit reicht unter Experten der Konsens über die Brauchbarkeit des Modells; wie plausibel sind die Resultate, die man mit dem Modell errechnen kann, wenn man hypothetische Versuchsergebnisse einfüttert, und wie bewährt sich das Modell, wenn man Beobachtungsdaten damit verarbeitet. Man kann Kennzahlen für diese Eigenschaften eines Modells auf den vier Achsen eines Achsenkreuzes auftragen und dann die Punkte auf den vier Achsen verbinden - das dadurch einstehende Viereck hat eine umso größere Fläche, je vertrauenswürdiger den Experten ein Modell scheint.

Voreingenommenheit?

Stephen Schneiders Kritik an BjØrn Lomborgs Behandlung der Arbeit von IPCC trifft interessante Punkte, auch wenn sie gelegentlich wider Willen demonstriert, wie schwierig es ist, eine wissenschaftlich exakte und doch lesbare Bewertung so komplexer Arbeiten, wie es die IPCC-Berichte sind, zu schreiben.

Er zitiert ausführlich ein seiner Ansicht nach typisches Beispiel für Lomborgs Voreingenommenheit. Lomborg referiert eine am englischen Hadley Center durchgeführte Studie darüber, wie sensibel eines ihrer Modelle auf eine Änderung der Eingangsparameter reagiert. Er schreibt: "Dann verbesserten die Programmierer die Wolkenparameter an zwei Stellen, und das Modell reagierte mit einer Reduktion seiner Temperaturprognose von 5,2 Grad auf 1,5 Grad". Stephen Schneider moniert, dass Lomborg, wissenschaftlich korrekt, eigentlich noch den Satz hätte zitieren müssen, mit dem die Autoren am Ende des ersten Absatzes ihrer Arbeit einschränkend schrieben. "Zu beachten ist, dass das revidierte Wolkenschema zwar mehr Details enthält, aber nicht notwendigerweise präziser ist als das einfachere Modell".

Man wünschte sich, dass die sehr notwendige Diskussion um Lomborgs Thesen nicht durch gravierendere Regelverstöße verzerrt wird.

Literatur:

Björn Lomborg: Apocalypse No ! Wie sich die menschlichen Lebensgrundlagen wirklich entwickeln. Aus dem Englischen von Thomas Laugstien und Katrin Grünepütt. Zu Klampen Verlag, Lüneburg 2002, 560 Seiten.

Stephen Schneider: Globale Erwärmung: Lomborg macht es sich zu leicht. Spektrum der Wissenschaft, August 2002, 36-40.

Jim Giles: When doubt is a sure thing. Nature von 1. August 2002, 476-478.

Es gibt mittlerweile eine Lomborg Official Web page: http://www.lomborg.com

und eine Anti-Lomborg Web page: http://www.anti-lomborg.com

Freitag, 16. August 2002

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