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Luftschloß der Umweltbewegung

Warum das Verursacherprinzip in ökologischen Zusammenhängen nicht funktionieren kann
Von Franz Schandl

In der neueren ökologischen Diskussion geht es auch darum, bestimmten, noch freien Gütern Schutz zu gewähren. Sie sollen einen Wert erhalten. Gefragt ist nicht der Gebrauchswert, sondern primär der Tauschwert: "Bekommt die Umweltnutzung einen Preis, wird ein homo oeconomicus die Umwelt nur insoweit belasten, als sein Nutzen aus der Umweltbelastung die Kosten übersteigt. Verleiht die Rechtsordnung der Umwelt einen Preis, wird der Markt auch (. . .) dafür sorgen, daß Umweltgüter nicht verschwendet werden", schreibt etwa die Grazer Juristin Monika Gimpel-Hinteregger. Die Zauberformel ist also die "Verpreisung der Umwelt".

Als konzentrierter Ausdruck dieser Überlegungen muß das Verursacherprinzip gelten. Im Umweltmanifest des "Forums Österreichischer Wissenschafter für Umweltschutz" aus dem Jahr 1987 heißt es dazu: "Im Sinne der Verantwortungsethik ist jeder Verursacher von Gesundheits- und Ökosystem-Schäden konsequent und im allgemeinsten Sinn zur Verantwortung zu ziehen. Die Beweislast hat der Verursacher zu tragen. Zur Haftung für Umweltschäden ist kein strenger naturwissenschaftlicher Kausalitätsnachweis notwendig. Bei auftretenden Schäden genügt ein wissenschaftlich begründeter Verdacht. Der in Verdacht geratene Verursacher hat seine Unschuld zu beweisen. (. . .) So müssen etwa die Kosten einer restlosen Schadensbehebung in die Wirtschaftsrechnung der Umweltbeeinträchtiger einbezogen, das heißt ,internalisiert` werden. Die Einbeziehung dieser Kosten in die jeweilige Wirtschaftsrechnung soll bewirken, daß marktwirtschaftliche Kräfte zum Schutz der Umwelt mobilisiert werden."

Was so einfach klingt, kennt zahlreiche Tücken, die das ganze Verursacherprinzip selbst ad absurdum führen. Der Tatbestand erscheint vor~erst einmal relativ banal: Die Minimierung des Kostenfaktors Produktionsmittel bedeutet Raubbau an den ergiebigsten Quellen der Natur, Nichtberücksichtigung der Folgekosten einer Produktion durch Luft- und Gewässerverschmutzung, Untergrabung der Bodenfruchtbarkeit, eskalierende Störung des Haushalts der Natur. Dabei nutzt die Wirtschaft jede Möglichkeit, die sich bietet, Naturkräfte wie Wasser und Luft möglichst gratis zu nutzen und zugleich die anfallenden Folgekosten räumlich und zeitlich auszulagern. Aus eben dieser Basiserkenntnis, daß Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden, folgern die Vertreter des Verursacherprinzips, daß es neben den Gewinnen auch die Verluste zu privatisieren gelte.

Das Verursacherprinzip unterstellt schon vom Ausdruck her, daß die Verursachung eben keine gesellschaftliche Angelegenheit ist, sondern einer individuellen und willkürlichen Veranlassung oder Unterlassung folgt. Auch wenn man das Verursacherprinzip bloß als Denkmöglichkeit anerkennt, verbliebe da immer noch die viel grundlegendere Frage: Was verursacht die Verursacher zu verursachen? Welche Zustände bedingen die inkriminierten Handlungen, welche Umstände erzwingen ein solches Verhalten?

Ursache ist immer nur ein Hilfsbegriff. Eine Ursache ist ein Faktor, wo andere Faktoren in der Betrachtung von dessen Folgen vernachlässigbar sind. Ursache meint, daß aus ihr etwas folgt, während sie niemandem folgt. So betrachtet, ist dieser Terminus lediglich begrenzt anwendbar. Die Logik der Verursachung zu Ende denkend, würde dann völlig richtig argumentiert, daß jede Ursache vielfältigste Ursachen kennt. Das Spiel endet dann in einer interessensorientierten Schuldzuweisung, wer denn nun wirklich den "Schwarzen Peter", die letztendlich unabhängige Variable habe.

Umweltverschmutzung wird individualisiert anstatt in ihrer gesamtgesellschaftlichen Problematik diskutiert. Ursächliche Gründe festzustellen, erscheint diesem Denkansatz nicht allzu schwierig, sonst könnte er dieses Lösungsmodell ja gar nicht erst vorschlagen. Er unterstellt so in den meisten Fragen die Möglichkeit, jene zu einer Sachfrage zu isolieren, das Problem dingfest zu machen und es nach dem kausalen Prinzip von Ursache und Wirkung auflösen zu können. Kaum ist der Schaden erkannt, ist der Verursacher auch schon benannt, meinen die Anhänger des Verursacherprinzips. Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus. Aus nebenstehender Grafik einer Typologie des Verursacherprinzips anhand einer Schadens-Kosten-Schablone sollten einige unsere Einwände recht plausibel ersichtlich sein.

"Der König erkundigte sich, wieviel Zeit erforderlich sei, um einen genauen Unterschied zwischen Recht und Unrecht festzustellen, und wieviel Geld." So fragte einst der Herrscher von Brobdingnag den gestrandeten Gulliver über die Gerichtsgebräuche seiner Heimat. Wir fragen uns das bezüglich des Verursacherprinzips auch. Aus der Typologie (siehe Grafik) geht deutlich hervor, wie schwierig es selbst bei einer gutwilligen Interpretation sein wird, Schädiger dingfest zu machen, geschweige denn ihrer Moneten habhaft zu werden. Die Schädigung muß objektiv erfolgen, sie muß subjektiv auffallen und als solche erkennbar sein, sie muß weiters zuordenbar sein, meßbar, monetarisierbar und zahlbar. Wenn aber auch nur ein Kriterium nicht positiv bewältigt werden kann, bricht das ganze Luftschloß des Verursacherprinzips in sich zusammen.

Die allermeisten Schäden werden diese Hürden nicht nehmen können. Entweder werden sie nicht erkannt oder sie sind nicht zuordenbar. Sind sie das, dann müssen sie noch lange nicht meßbar und monetarisierbar sein. Erfüllen sie auch diese Kriterien, so folgt daraus nicht zwingend, daß die festgestellte Schadenssumme auch tatsächlich eingehoben werden kann. Man denke hier bloß an Betriebe mit Hunderten Arbeitern, die vom Bankrott der Firmen bedroht wären u. v. m. Problematische Fälle ließen sich Dutzende finden.

Das Verursacherprinzip kann sich in der Realität nur blamieren: Die Tat ist keine Tat, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis; das Opfer ist kein Opfer, sondern ein individuelles Ensemble gesellschaftlicher Einwirkungen; der Täter ist kein Täter, sondern Agent ökonomischer Prozesse; die Schuld ist keine Schuld, sondern folgt den Zwängen gesellschaftlichen Handelns; die Sanktion ist keine Sanktion, weil sie letztendlich übergewälzt werden kann.

Die Privatisierung der Social costs ist ökologische Augenauswischerei. Die Folgen sind weder zufriedenstellend terminisierbar, noch lokalisierbar, geschweige denn formal beweisbar und inhaltlich begründbar. Mit einer erweiterten Kostenrechnung ist dem Problem nicht beizukommen. Ökonomisch ist es daher unmöglich, diese Kosten zu mathematisieren, zu monetarisieren und somit zu internalisieren. Jede Computersimulation muß daran scheitern. Wie errechnet man etwa zukünftige gesellschaftliche Kosten, die durch heutige Produktion verursacht werden? Je zukünftiger die Kosten, desto weniger monetarisierbar! Sie können in einer seriösen Preiskalkulation keinen Eingang finden, höchstens in einer willkürlichen Preisspekulation.

Das Verursacherprinzip geht in seinem sachlichen Konstruktivismus davon aus, daß es möglich ist, der sogenannten Umweltschädiger habhaft zu werden. Schäden haben jedoch komplexe Grundlagen, sie werden nur in Ausnahmefällen quantifizierbar sein. Das Verursacherprinzip scheitert an der Vielzahl der Ursachen und der Unmöglichkeit, für jeden einzelnen Schadensfall seriöse Gewichtungen vorzunehmen. Es verkennt den gesellschaftlichen Gehalt der Umweltzerstörung, reduziert diese auf individuelle Fehlleistungen. "Schaden heißt jeder Nachteil, welcher jemanden an Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefügt worden ist", heißt es im z 1293 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB). Und im z 1294 lesen wir: "Der Schaden entspringt entweder aus einer widerrechtlichen Handlung, oder Unterlassung eines Andern; oder aus einem Zufalle."

Dieser Schadensbegriff ist in seiner Dimensionierung auf ökologische Schäden kaum anwendbar. Letztere sind im Sinne des ABGB weder Unterlassungen noch Handlungen noch Zufall, sie sind selbst Norm oder besser noch: Gesetz, aber ökonomisches, und zwar von solcher Wucht, daß das abendländische Sachenrecht vor ihm erbleicht. Es ist sogar davon auszugehen, daß das bürgerliche Recht überhaupt an ökologischen Fragestellungen zerbrechen wird, auch wenn ausgeklügelte Öko-Versicherungssysteme das noch zeitweilig überspielen können. Mittelfristig wird das Verursacherprinzip nämlich auf Umweltzertifikate und ein Umweltversicherungssystem, kurzum Umweltverschmutzungsrechte hinauslaufen. Nicht der Profit wird dadurch beschnitten, sondern es entstehen den Konsumenten nur neuartige Belastungen, denn auf sie als letztes und schwächstes Glied der ökonomischen Kette werden alle außerökonomischen Eingriffe, die betriebswirtschaftlich nichts anderes als Unkosten sind, übergewälzt. Das Verursacherprinzip läuft also auf folgende Alternative hinaus: Zahlt die Allgemeinheit oder zahlt die Allgemeinheit?

Das Verursacherprinzip löst wenig, ja es legitimiert durch seine partielle praktische Durchsetzung in Umweltzertifikaten und Umweltversicherungen sogar die Umweltzerstörung, den Raubbau an Mensch und Umwelt im nachhinein. Sein Motto lautet: Umweltzerstörung ohne Bezahlung gibt es nicht! Oder in des Exkanzlers Worten: "Die Umwelt darf in Zukunft nicht mehr verschmutzt werden - und dort, wo es doch geschieht, schon gar nicht kostenlos!" (Regierungserklärung 1990) Auf nichts anderes kann das Verursacherprinzip hinauslaufen.

Grundgedanke des Verursacherprinzips ist die Monetarisierung von Umweltschäden. Die Logik des Geldes wird nicht kritisiert, sondern sie soll noch ausgeweitet werden. Der Zusammenhang zwischen Wert, Geld, abstrakter Arbeit wird so nicht nur nicht angegriffen (und nebenbei: er wird nicht einmal aufgegriffen), nein, er wird geradezu vorausgesetzt bei der Lösung der Umweltprobleme. Im Verursacherprinzip wird die kapitalistische Logik nicht angezweifelt oder gar gedanklich durchbrochen, nein, sie wird vielmehr weitergedacht. Mit dem Verursacherprinzip werden objektiv nicht primär die ökologischen Schäden und ihre gesellschaftlichen Grundlagen kritisiert, sondern deren teilweise Ausgeschlossenheit aus den Kriterien des Werts.

Es will uns nämlich betreffend der Kategorisierung nicht in den Kopf, warum die negativen gesellschaftlichen Folgen unbedingt mit dem Kostenbegriff verknüpft werden müssen. Das kleine Wort Kosten für die großen Folgen demonstriert einmal mehr, daß die gängige Ökologiekritik nicht über die Kategorien des Werts hinausdenkt, in ihnen vielmehr gefangen bleibt. Die vielfach erhobene Forderung nach einer Kostenwahrheit kann sich nur an der Realität blamieren. Die Kostenwahrheit ist unmöglich einzulösen, da die Folgen zu keinen wirklich aussagekräftigen objektiven Zahlen finden können. Ökologische Schäden sind resistent gegen den herrschenden Zahlenfetischismus. Umweltfolgen sind analysierbar, jedoch nicht berechenbar. Mit den Methoden der Kostenrechnung ist den ökologischen Problemen weder theoretisch noch praktisch beizukommen.

Nicht ein schonenderer Umgang mit der Umwelt wird also die Folge eines (partiell) praktizierten Verursacherprinzips sein, nein, ein noch schonungsloserer, jetzt auch durch bezahlte Zertifikate und Lizenzen legitimierter Umgang wird sich uns bescheren. Wie heißt es doch so schön im österreichischen Schadensrecht (z 1305 bzw. 1306 ABGB): "Wer von seinem Rechte innerhalb der rechtlichen Schranken Gebrauch macht, hat den für einen anderen daraus entspringenden Nachteil nicht zu verantworten." Das Verursacherprinzip muß so denn eher als Beschleunigungsmoment der Ökonomisierung der Ökologie, der Umweltvermarktung gelten, nicht als bremsender Faktor der Umweltzerstörung. Das Verursacherprinzip ist nicht nur in seiner Konstruktion fehlerhaft, es hält nicht einmal in Ansätzen das, was es verspricht.

Franz Schandl ist Publizist in Wien und Mitautor der Studie "Die Grünen in Österreich" (Promedia 1996).

Montag, 25. Mai 1998

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