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Klimakiller Nummer 1

Ein Plädoyer gegen den Flugtourismus
Von Ursula Schleich und Piotr Dobrowolski

Die Szene wiederholt sich Jahr für Jahr tausendfach: Ein vollbesetztes Charterflugzeug rollt langsam zur Startbahn, dann heulen die Triebwerke auf, und nach kurzer, rasend schneller Fahrt werden 250 t Metall in die Luft gewuchtet. Knappe 10 Minuten später schwebt der Jet bereits in einer Höhe von mehreren Kilometern. Der Steigflug ist beendet, die Passagiere können ihre Sicherheitsgurte lösen und zur Beruhigung den ersten Drink einnehmen.

Doch der Start war aufwendig: 6.500 l Treibstoff hat die Maschine innerhalb der ersten Flugminuten verbrannt und dabei nicht weniger als 16.000 kg Kohlendioxid in die Luft geblasen.

Zum Vergleich: um auf die gleiche Menge zu kommen, müßte ein Auto 100 Tage lang pausenlos vor sich hin tuckern. Am Ziel der Flugreise, im fernen Thailand etwa, wird sich die Schadstoffbilanz noch einmal gewaltig verschlechtert haben. Verbrauchte Kerosinmenge ab Europa: rund 84.000 l. Schadstoffausstoß: circa 370.000 kg. Und dabei wird es nicht bleiben. Denn Tag für Tag fliegen Tausende von Maschinen kreuz und quer durch die Welt. Im Schnitt befördern sie schon jetzt 3,2 Millionen Personen täglich. Bis zum Jahr 2010 wird sich diese Zahl verdoppeln, dann gehen weltweit mehr als zwei Milliarden Menschen pro Jahr auf Flugreise.

Der Tourismus ist an dieser Entwicklung ganz maßgeblich beteiligt, denn der Anteil von Geschäftsreisenden unter den Passagieren ist mit 25 bis 30% verhältnismäßig gering. Den verbleibenden Rest machen fröhliche Urlauber aus - bei Charterflügen sind sie meist überhaupt ganz unter sich.

Vielflieger, Airline-Manager und Reiseveranstalter lassen sich von der rasanten Zunahme des Flugverkehrs nicht aus der Ruhe bringen. An der Umweltverschmutzung sei, sagen sie, der Luftverkehr höchstens marginal beteiligt.

In Zeiten, in denen Fliegen zum Urlaubssport geworden ist und eine Bahnkarte nach London oft deutlich teurer kommt als das Flugticket, möchte man Beteuerungen wie diesen gerne Glauben schenken. Doch leider - so einfach ist die Sache nicht. Während nämlich Flugfreunde von sauberer Luftfahrt sprechen, schlagen Wissenschafter Alarm.

Als zukünftigen "Klimakiller Nummer 1" bezeichnet den Flugverkehr die Enquete-Komission des Deutschen Budestags. Und Karl-Otto Schallaböck vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie spricht aus, was heute niemand so richtig wahrhaben möchte:

"Geht das Wachstum der Flugbranche ungehindert weiter, ist zu befürchten, daß der Luftverkehr allein eine Klimabelastung in der Größenordnung erzeugt, die dem gesamten Verkehr zugebilligt werden könnte."

Der Grund dafür ließe sich mit einem kurzen Merksatz zusammenfassen: Kerosinverbrennung in großer Höhe ergibt markant negative Klimaeinflüsse. Wie Benzin, Diesel oder Heizöl stellt auch Kerosin einen fossilen Energieträger dar, bei dessen Verbrennung neben anderen Schadstoffen vor allem Kohlendioxid, Stickoxide und Wasserdampf entstehen. Somit belastet der Luftverkehr die Umwelt gleich in zweifacher Weise - er trägt zur Klimaveränderung bei, und er ist beteiligt an der Ausbeutung unserer alles andere als unendlichen Erdölvorräte. Gehen die Fördermengen in Zukunft nicht zurück, werden die Erdölreserven in rund 40 Jahren erschöpft sein, prophezeit das Römpp-Chemiele~xikon.

Die von Flugzeugen mitverursachte Klimakatastrophe könnte allerdings noch viel schneller eintreten. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Da wäre einmal das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2), das bei jedem Flug in beträchtlichen Mengen freigesetzt wird. Anders als jenes CO2, das am Boden oder in Bodennähe entsteht, verbleiben die in Flughöhe emittierten Kohlenwasserstoffe überdurchschnittlich lange in der Atmosphäre und können daher ihre klimaverändernde Wirkung umso stärker ausüben. Das Wuppertal-Institut etwa geht davon aus, daß ein Kilogramm in Flughöhe ausgestoßenes CO2 für das Klima doppelt so gefährlich ist wie auf der Erde.

Bei Wasserdampf, von dem pro Liter verbranntes Kerosin rund ein Kilogramm entsteht, stellt sich die Situation noch viel drastischer dar. Am Boden und in niedrigen Höhen zeigt Wasserdampf kaum klimarelevante Wirkung - er kann von der Luft mühelos aufgenommen werden. In Flughöhe, die bei Langstreckenflügen immerhin zwischen 9 und 12 km liegt, sinkt jedoch aufgrund der niedrigen Temperaturen die Aufnahmefähigkeit der Luft.

Der in hohen Luftschichten eingebrachte Wasserdampf kann daher nicht sofort abgebaut werden und wirkt dort wie eine Käseglocke - er läßt zwar die Wärmestrahlen der Sonne durch, verhindert aber eine Abstrahlung zurück in den Weltraum. Das Ergebnis ist allgemein bekannt:

Mutter Erde beginnt treibhausartig zu schwitzen. Auch Kondensstreifen, die nichts anderes sind als gefrorene Wasserdampfpartikel, verursachen den gleichen Effekt.

Den dritten Platz im Bunde der flugbedingten Schadstoffe nehmen Stickoxide ein. Doch nur, was ihre absolute Menge betrifft - ihre Gefährlichkeit dürfte unübertroffen bleiben. Im unteren Teil der Atmosphäre, der sogenannten Troposphäre tragen sie - wie auch der Autoverkehr - zur Bildung des hier nicht erwünschten "bodennahen" Ozons. In der eine Etage höher gelegenen Stratosphäre bauen sie hingegen die schützende Ozonschicht ab und vergrößern somit das Ozonloch.

Das Heimtückische daran: aufgrund der großen Höhen, in denen Flugzeuge Stickoxide ausstoßen, erlangen diese an sich eher kurzlebigen Verbindungen eine ungewöhnliche Beständigkeit. Während Stickoxide am Boden innerhalb weniger Tage zerfallen, können sie sich in mehreren Kilometern Höhe über zwei Jahre halten. Klar, daß diese Langlebigkeit ein drastisch erhöhtes Umweltrisiko bedeutet. Schließlich wirken dadurch die Schadstoffe wesentlich länger auf die Atmosphäre ein.

Um es auf den Punkt zu bringen: In Flughöhe, schätzt der Stuttgarter Flugexperte und Buchautor Jürgen Armbruster, ist die Verweildauer von Stickoxiden rund hundertmal länger als in Bodennähe.

Doch selbst wenn man die Potenzierung der Umweltgefahren durch die Höhe unberücksichtigt läßt, erweist sich der Flugverkehr als ein ökologisch fragwürdiges Unterfangen. Mit 4 bis 5 Prozent wird etwa der Anteil der Luftfahrt am weltweiten Ausstoß von Kohlendioxiden geschätzt.

Auf den ersten Blick mutet diese Zahl eher bescheiden an. Sie kann allerdings auch anders gesehen werden: 5 Prozent bedeutet nämlich, daß der Flugverkehr die Umwelt mit so viel Kohlendioxid belastet wie alle Bewohner Indiens und Afrikas zusammengenommen.

Und das Schlimme daran: zu einem Großteil geschieht das im Rahmen von Flügen, die alles andere als unbedingt notwendig sind. In einer jüngst veröffentlichten Studie des deutschen Umweltbundesamtes und des Instituts für Energie und Umwelt in Heidelberg stellen die Autoren unmißverständlich fest:

"Der Flugverkehr dient überwiegend touristischen Zwecken. Eine zwingende Notwendigkeit der meisten dieser Flüge kann, ebenso wie bei sonstigen Privatflugreisen angesichts der erheblichen Klimagefahren nicht gesehen werden."

Das schonungslose Urteil hat seine guten Gründe. Denn während noch vor kurzem der Europaurlaub die Regel war, fliegen heute immer mehr Menschen selbst für Kurzferien in ferne Kontinente. Daß Flugexperten diesen Reiseboom gelegentlich als grünen Erfolg anzupreisen versuchen, läßt sich bei bestem Willen nur in die Rubrik Bioschwindel einordnen.

Die minuziösen Berechnungen, wonach ein Flugzeug pro Passagier und Kilometer nicht mehr Treibstoff verbrauche als ein Auto, haben nämlich einen gewaltigen Haken: sie lassen außer Acht, daß bei einem Flug von Europa nach Thailand rund 14.000 km zurücklegt werden, eine Distanz, vor der selbst der hartnäckigste Autofahrer zurückschreckt.

Abgesehen davon, fängt der Vergleich zwischen Auto und Flugzeug spätestens dann zu hinken an, wenn die Auslastung des Fliegers unter 65 Prozent fällt. Ungefähr dann ist nämlich der Punkt erreicht, wo der Treibstoffverbrauch des Flugzeugs höher wird als jener des ökologisch auch nicht gerade vorbildlichen Autos. In der Praxis dürfte das gar nicht so selten der Fall sein. Insbesondere auf Kurzstreckenflügen ist die Auslastung der Flugzeuge oft katastrophal niedrig, und selbst ein so bekanntes Unternehmen wie die österreichischen Austrian Airlines hat es im ersten Halbjahr dieses Jahres nicht geschafft die Auslastung der Flotte auf mehr als 55 Prozent zu bringen. Die Lufthansa steht mit 69 Prozent für das Jahr 1995 zwar verhältnismäßig gut da, das Europageschäft läuft aber auch beim deutschen Vorzeigecarrier nicht gerade berauschend.

Der absurde Vergleich zwischen Auto und Flugzeug verschleiert auch noch einen anderen wichtigen Zusammenhang. Während Bangkok von Deutschland aus tatsächlich nur mit dem Flugzeug erreicht werden kann, stehen innerhalb Europas mit Bus und Bahn zwei Reisearten zur Verfügung, die dem Fliegen ökologisch um Längen voraus sind.

Wenn die Flugzeugindustrie betont, sie habe den Treibstoffverbrauch pro Passagier innerhalb der letzten zwanzig Jahre halbiert, so findet das zwar allgemeine Anerkennung - angesichts der explosionsartig steigenden Zahl der Fluggäste kann damit jedoch nicht allzu viel bewirkt werden: Der globale Verbrauch von Kerosin steigt Jahr für Jahr und mit ihm auch die Menge der emittierten Schadstoffe.

Was in anderen Bereichen des Tourismus wenigstens ansatzweise probiert wird, täte daher auch dem Flugverkehr gut: freiwillige Selbstbeschränkung.

Davon ist freilich nicht viel zu merken. Gängigste Ausrede: Anders als die staatlich gestützte Bahn oder der Autoverkehr, müsse die Luftfahrt ihre Kosten selbst tragen. Beschränkungen seinen daher allein schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich. Klingt nachvollziehbar, stimmt aber so nicht. Denn der Flugverkehr wird derzeit - wenn auch auf Umwegen - kräftig subventioniert.

Im Gegensatz zu anderen Mineralölen, die je nach Land mit Steuersätzen zwischen 60 und 80 Prozent belegt sind, werden auf Kerosin keinerlei Steuern eingehoben - und das weltweit. Während also Busunternehmer rund 9 Schilling für den Liter Diesel zahlen und damit trotzdem noch lange nicht die von ihnen verursachten Umweltkosten abdecken, bekommts der Flugkapitän deutlich billiger. Zwischen 70 und 2,10 Schilling pro Liter kostet derzeit das Kerosin auf dem Weltmarkt.

Die Forderung, den Flugtreibstoff genauso wie Autobenzin zu besteuern, ist alt. Ihre Einführung hat die Flug-Lobby bislang allerdings erfolgreich zu verhindern gewußt. So wird etwa die offensichtliche finanzielle Bevorzugung des Luftverkehrs mit dem Argument verteidigt, eine Steuer auf Flugtreibstoff würde den Prinzipien des freien Marktes widersprechen. Dabei scheint es derzeit eher so, daß es gerade die Flugbranche ist, die mit den ihr zugestandenen Sonderregelungen den freien Wettbewerb der Verkehrsmittel behindert. Die EU-Kommission will daher bis Ende 1997 prüfen, ob die Steuerbefreiung für Kerosin auch in Zukunft beibehalten werden soll.

Zu prüfen wäre allerdings noch so manches mehr. Etwa der Umstand, daß auf Flugtickets im internationalen Verkehr keine Umsatzsteuer eingehoben wird, auf internationale Bahnreisen aber schon.

Oder die Tatsache, daß zahlreiche Staaten den Flugverkehr stützen, indem sie durch Beteiligungen an Flughafengesellschaften für den Bau der nötigen Infrastruktur sorgen.

Und wenn's ums Geld geht, darf schließlich nicht unerwähnt bleiben, daß der zivile Luftverkehr erst durch massive Unterstützung von Vater Staat zu dem geworden ist, was er heute verkörpert. Ein Beispiel aus der Aufbauphase der Lufthansa zeigt das in aller Deutlichkeit: In den Jahren 1952 bis 1965 hat die Bundesrepublik Deutschland die gesamten Verluste des damals noch recht flügellahmen Unternehmens übernommen. Insgesamt handelte es sich um die stolze Summe von 5,5 Mrd. Schilling.

Heute stellen europäische Airlines freilich einen unübersehbaren Wirtschaftsfaktor dar. Umweltfreundlich sind sie deshalb aber dennoch nicht - auch dann nicht, wenn Institutionen wie die Pilotenvereinigung "Cockpit" den Kunden versichern, das Flugzeug sei "auf längeren Strecken gemessen an Personenkilometer das umweltfreundlichste und energieschonendste Verkehrsmittel".

Die Kapitäne übersehen leider eine Menge: Neben den fatalen Klima~auswirkungen der Vielfliegerei auch die weniger bekannte, aber dennoch wahre Tatsache, daß Flugverkehr stets auch eine beträchtliche Zunahme des Pkw-Verkehrs bedeutet.

Eine Untersuchung aus der Schweiz zeigt das Ausmaß des Phänomens. Allein die Flüge der schweizerischen Fluglinie Swissair verursachen im Raum Zürich täglich 970.000 zusätzliche Pkw-Kilometer - gefahren von Besuchern, Passagieren und dem Personal. Auch in Österreich kennt man das Problem. Leopold Schilling, Ökologiebeauftragter am Wiener Flughafen beklagt daher die mangelnde Anbindung des Vienna International Airport an das öffentliche Verkehrsnetz: "Bis vor kurzem sind weniger als 5 Prozent der Kunden mit den Öffentlichen angereist. Jetzt hat sich die Situation zumindest ein wenig gebessert."

Doch die Besserung dürfte ein Tropfen auf den heißen Stein bleiben. Selbst Flugplätze, die wie Frankfurt über ein recht gutes Zubringernetz verfügen, stöhnen unter dem Autoverkehr. Laut Angaben vom Verkehrsklub Deutschland ist in Flughafennähe die Umweltbelastung durch den Autoverkehr bereits ähnlich hoch wie durch die startenden und landenden Jets. Als erste Gegenmaßnahme fordern Verkehrsplaner daher, derzeit bestehende Subventionen für Flughafenparkplätze zu streichen.

Die Forderung ist gut. Um das globale Luftverkehrsproblem zu lindern - von einer Lösung wagt ohnehin kaum jemand zu sprechen - halten Experten aber ganz andere Schritte für nötig: Abbau oder zumindest Einfrieren der Start- und Landekapazitäten, drastische Verteuerung der Flugpreise, verursacherbezogene Umweltsteuern. Passiert nichts von alledem, werden wir uns, so die Befürchtungen, vermutlich zu Tode fliegen. Denn was bislang an Verbesserungsvorschlägen zu vernehmen ist, schwankt zwischen technikgläubigem Größenwahn und purer Fassadenkosmetik. Die Idee Fluggäste in 50 km Höhe per Überschalljet von Kontinent zu Kontinent zu jagen, fällt gewiß unter die erstgenannte Sparte. Was mit der zweitgenannten gemeint ist, hat hingegen ein Branchenkenner folgendermaßen zusammengefaßt: "Heute gilt es schon als sanfter Tourismus, wenn auf dem Charterflug nach Übersee Müsli in der Porzellanschale statt Weißbrot in der Plastikfolie serviert wird."

Mittwoch, 20. Mai 1998

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