Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Portal zum ouml;esterreichischen EU-Vorsitz 2006 Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Eiland mit Todesschatten

Eine Geschichte ökologischer Katastrophen: Inseln als Giftmüll-
deponien oder Atomversuchsgelände
Von Hans- Jürgen August

Die Straße führt von Gairloch westwärts nach Ullapool, das sich mit etwa 800 Einwohnern als Metropole der Küste der schottischen Highlands versteht. A832 ist die Bezeichnung der für dortige Verhältnisse großzügig ausgebauten Straße, die gar das Passieren zweier einander entgegenkommender Fahrzeuge erlaubt. Dunkelgrüne Wiesen und ein paar bemooste Felsblöcke säumen die Fahrbahn, der am Horizont wie ein Vulkan aufragende Beinn Ghobhlach vervollständigt die rauhe Idylle, die Klischee und Realität scheinbar zur Deckung bringt. Westwärts auf gleicher geographischer Höhe liegt die für ihre Landschaft wie für ihre Whisky-Destilleries gleichermaßen berühmte Isle of Skye. Ein Stück unberührter Natur, denkt sich der bereits der Entrückung nahe Autotourist, und: ein guter Ort zum Fischen.

Um so größer die Verwunderung, als unvermittelt Drahtzäune die Straße von der Naturidylle trennen und am Wegesrand grellrote Tafeln das Fischen strikt untersagen. Nur wenige Reisebücher verraten das Geheimnis, das sich hinter diesem unerwarteten Landschaftswechsel verbirgt: Die Insel, die im Westen, etwa 2 km von der Küste entfernt, flach und dunkelgrün aus dem Atlantik ragt - Gruinard Island - diente den Briten im Zweiten Weltkrieg als Experimentierfeld für den Test biologischer Waffen, im konkreten von Milzbrandbakterien.

Obwohl B-Waffen für die Kriegsführung keine Rolle spielten, entwickelten vor allem Briten und Deutsche Arsenale biologisch wirksamer Kampfmittel, und zumindest in einem Fall kamen diese auch zum Einsatz: SS-Führer Heydrich, Organisator des Holocaust, starb 1942 nach einem von Briten unterstützten Anschlag in Prag an Botulismus. Infiziert hatten ihn mit Botulinustoxin getränkte Splitter der Attentatsbombe.

Weit über das Ende des Dritten Reichs und des Zweiten Weltkriegs hinaus kontaminiert blieb allerdings Gruinard Island, und obwohl das Eiland 1988 entseucht wurde, darf es nicht ohne weiteres betreten werden. Etwas Positives können diesem Zustand vor allem Biologen und Zoologen abgewinnen, zumal Gruinard Island einer der seltenen Landstriche in Europa ist, in denen sich Flora und Fauna über Jahrzehnte vom Menschen unbehelligt entwickeln konnten.

Seit Jahrtausenden schon strahlen Inseln die Aura des Abgeschiedenen, oft des Exotischen, Andersartigen aus, umgibt sie der Nimbus, andere Welten darzustellen, selbst wenn sie nur einige wenige Kilometer vom Festland entfernt sind. Schon Plato sah Inseln als Orte der Abgeschiedenheit, als Gegenden, die buchstäblich ohne feste Verbindung zur eigenen Kultur das ideale Ambiente bieten, um etwa Ideen und Sozialtheorien plastisch darzustellen. Sein modellhafter Inselstaat Atlantis inspirierte Dutzende Sozial- und Staatstheoretiker, man denke etwa an Thomas Morus (1478 bis 1535) und sein Werk "Vom besten Zustand des Staates und der neuen Insel Utopia". (Siehe auch EXTRA-Seite 9).

Eine schmerzliche Tradition besteht auch darin, mißliebige Personen an entlegene Orte zu schaffen und ihnen dadurch wenn nicht die physische, so zumindest die soziale Existenz zu nehmen. Die wohl berühmteste dieser Inseln, das San Francisco vorgelagerte Eiland Alcatraz, diente von 1861 bis 1963 als Kerker für Gefangene aus dem Sezessionskrieg, für renitente Indianer und später als Hochsicherheitszuchthaus unter anderem für Mafiabosse wie "Scarface" Al Capone.

Wesentlich kulanter gehen offizielle Stellen mit Helmholtz, dem Dissidenten in Aldous Huxleys "Schöne neue Welt", um: Ihm bleibt die Wahl, auf welche Insel er sich zurückziehen möchte. Wegen des rauhen Klimas, das gute Voraussetzungen zum Schreiben biete, entscheidet er sich für die Falklands. Realhistorisch kamen diese Inseln im Südatlantik 1982 in die Schlagzeilen, als argentinische Truppen versuchten, die von ihnen so genannten "Islas Malvinas" den Engländern zu entreißen. Obwohl der kurze aber heftige Seekrieg zugunsten der Briten verlief, tragen die Falkländer noch immer eine schwere Hypothek. Etwa 90.000 Minen vergruben die Argentinier im Inselboden, über 10.000 liegen noch unentdeckt auf Feldern und Wegen oder werden an den Strand gespült - einer jener Fälle, in denen die Konfrontation von Inseln mit der "Zivilisation" dazu geführt haben, daß diese Inseln verseucht oder vernichtet, kaum oder gar nicht mehr bewohnbar wurden.

Die berühmtesten Beispiele für solche Inseln sind natürlich - auch aus aktuellem Anlaß - die strahlungsverseuchten Atolle und Inseln des Pazifik. Als die Amerikaner kurz nach dem Zweiten Weltkrieg auf Bikini ihre Atomwaffen erprobten, sah dies zumindest die westliche Öffentlichkeit mit Interesse, einem gewissen Stolz und dem beruhigenden Gefühl, der sowjetischen Bedrohung etwas Wirksames entgegensetzen zu können. So fand man nichts dabei, ein zweiteiliges Kleidungsstück nach dem Atomwaffentestgelände zu benennen. Vier Jahrzehnte später ist es hingegen mehr als unwahrscheinlich, daß eine Pariser Sommerkollektion unter den Namen "Mururoa" oder "Fangataufa" präsentiert werden wird.

Bikini, Eniwetok, Johnston Island, die Weihnachtsinseln, Malden: So die Namen jener pazifischen Inseln, auf denen Amerikaner und Briten insgesamt 111 Atomwaffentests durchführten (die Sowjetunion ließ ihre Bomben - wie dies China noch heute tut - auf dem Festland detonieren). Mehr Versuche noch als die anderen beiden Westmächte zusammen führten die Franzosen auf ihren Kolonialinseln Mururoa und Fangataufa durch: Schon vor der von Präsident Chirac am 13. Juni 1995 angekündigten und mittlerweile begonnenen Testserie hatten französische Militärs 187 Zündungen durchgeführt. Kilometerlange Risse und riesige Krater haben die Bomben in das einst idyllische Atoll inmitten des pazifischen, des "friedlichen" Ozeans geschlagen. Experten schätzen, daß sich etwa 20 kg nicht nur strahlenden, sondern hochgiftigen Plutoniums abgelagert haben, die über die Gesteinsrisse nach und nach in das Wasser sickern, wie auch andere radioaktive Substanzen, etwa Jod-131, Krypton-85, Tritium oder Cäsium.

Ein wahres Sammelsurium von Giften aller Art und verschiedenster Provenienz findet sich auf der etwa 4.000 km nordwestlich von Mururoa und nur etwa 1.300 km westlich von Hawaii gelegenen Insel Johnston, auf der auch zwölf Atomwaffentests durchgeführt wurden. Die militärische Nutzung des Atolls begann im zweiten Weltkrieg, als die amerikanische Marine einen Hafen anlegte und die Fläche des Eilands mit dem ausgebaggerten Korallenschutt auf das Zehnfache, nun 280 ha, vergrößerte.

Optisch dominiert wird die Insel durch die Fluglandebahn, die sich als dunkles Band von einem zum anderen Ende der Insel zieht. Die anderen Bauwerke sind vor allem Unterkünfte für die über 1.000 Soldaten, ein Spital sowie jenes Gebäude, das als funktionales Herzstück dieses flachen Stücks Land gelten darf: In einer 1986 errichteten Verbrennungsanlage werden veraltete chemische Kampfstoffe aus US-Beständen vernichtet, wobei es sich um Senfgas sowie die Nervengifte Sarin und VX handelt. Senfgas wurde bereits 1916 an den verhärteten Fronten des ersten Weltkriegs eingesetzt. Die Folgen waren derart erschreckend, daß sich die wichtigsten Industrienationen im Genfer Protokoll 1925 darauf einigten, im Kriegsfall auf den Einsatz chemischer Waffen zu verzichten. Geächtet wird allerdings nur die Anwendung chemischer Waffen, nicht jedoch deren Herstellung, was die amerikanischen Bestände erklärt. Sarin erlangte durch die Anschläge in Tokioter_ U-Bahnen, verübt wahrscheinlich von der Aum-Sekte, Bekanntheit. Während Senfgas zu Verätzungen führt, wirkt Sarin auf das Nervensystem und führt zum Tod durch Atemstillstand.

Die Gifte, die auf Johnston verbrannt werden, stammen zu einem guten Teil aus Deutschland, von wo sie 1990 abgezogen wurden. Über Jahrzehnte wurden auf der Insel chemische Waffen auch gelagert. Im Zuge des An- und Abtransports dieser Gifte kam es hin und wieder zu Unfällen, die - wie Bild der Wissenschaft berichtet - das Erdreich weiter kontaminierten: Das im Vietnamkrieg großflächig eingesetzte dioxinhaltige Entlaubungsmittel Agent Orange versickerte in unbekannter Menge an der Nordwestküste der Insel. Ein weiteres Gebiet wurde abgezäunt, weil die Erde dort mit Plutonium zweier fehlgestarteter Atomraketen verseucht ist.

Die Verbrennung der chemischen Waffen soll hingegen, so versichern amerikanische Militärbeamte, ohne weitere Kontamination der Insel oder der Atmosphäre vor sich gehen. Dafür sorgen Verbrennungstemperaturen von bis zu 1.500 Grad Celsius sowie ein komplexes Filtersystem, das nur Wasserdampf und Kohlendioxid entweichen lassen soll.

Etwa 4.000 km südwestlich von Johnston findet sich eine tropische Insel, der ihr Reichtum an Bodenschätzen zum Verhängnis wurde. Nauru wurde 1798 entdeckt, war 1888 bis 1914 deutsch und wurde anschließend unter britisch-australisch- neuseeländisches Protektorat gestellt. 1968 erlangte die Insel mit jetzt ungefähr 10.000 Einwohnern die volle Unabhängigkeit. 1906 begann jene Entwicklung, die aus der Insel mittlerweile eine zerklüftete Mondlandschaft gemacht hat. Unter der deutschen Kolonialhoheit begann der Abbau der für die Düngemittelindustrie wichtigen Phosphatvorkommnisse, die etwa 80 Prozent der Gesamtfläche dieser 21,3 km² großen, knollenförmigen Insel einnehmen. Nach der kurzen deutschen Herrschaft bauten vor allem Australier den Bodenschatz ab, der für die Nutzbarmachung der eigenen Böden auf dem Kontinent dringend benötigt wurde. Seit bald einem Jahrhundert ist der Phosphatabbau der einzige Wirtschaftszweig, etwa 60 Prozent der Beschäftigten waren jahrzehntelang direkt damit befaßt, 30 Prozent in der Verwaltung tätig. Auch die ein paar Kilometer lange Eisenbahnstrecke diente ausschließlich dem Phosphattransport. Der ausgelaugte Boden erlaubt keine landwirtschaftliche Nutzung, so daß fast alle Lebensmittel importiert werden müssen.

Brachte der Phosphatabbau den Nauruern zumindest hohe, wenn auch vielleicht nicht angemessene Einkünfte, so sind die Bewohner der nur 17 km² großen Atlantikinsel Annobon zur Passivität gezwungene Opfer der Zerstörung ihrer Insel. Obwohl die Einheimischen, meist Nachkommen von Sklaven, weitgehend portugiesisch sprechen, gehört die Insel politisch zu Äquatorialguinea, einem Staat, der aus dem Festlandgebiet Rio Muni und mehreren der zentralafrikanischen Küste vorgelagerten Inseln besteht. Seit Beginn dieses Jahrhunderts war dieses Gebiet unter spanischer Kolonialhoheit, nach einem Referendum wurde Äquatorialguinea 1968 in die Unabhängigkeit entlassen. Seither erreichen immer wieder Meldungen über politische Willkür, eine katastrophale Wirtschaftssituation und daraus resultierende, kaum vorstellbare Armut Europa. Bei nur etwa 400.000 Einwohnern beträgt die Auslandsverschuldung etwa 300 Mill. Dollar. Die Situation ist derart ausweglos, daß vor einigen Jahren laut darüber nachgedacht wurde, den Staat zumindest temporär wieder unter spanische Hoheit zu stellen, was von den ehemaligen Kolonialherren abgelehnt wurde - und wohl kaum die Zustimmung der herrschenden Oligarchen erhalten hätte.

Während in den meisten Staaten der Ersten Welt schon die Existenz Äquatorialguineas unbekannt ist, werden in Spanien die Entwicklungen in der ehemaligen Kolonie zumindest am Rande des Tagesgeschehens mitverfolgt. Dementsprechend waren es - neben dem angesehenen britischen Fachblatt "Africa Analysis" - vor allem spanische Zeitungen, die spanische Sektion von Greenpeace und die spanische Entwicklungshilfeorganisation, die auf einen gigantischen Umweltskandal hinwiesen: Demzufolge wird die etwa 200 km südlich des Äquators gelegene Insel der von der Zentralregierung ohnehin ungeliebten Annobonesen zu einer riesigen Giftmülldeponie umgebaut. Schon 1988, so berichten mehrere Quellen übereinstimmend, wurden erste Verträge zwischen der Regierung von Äquatorialguinea und diversen Firmen aus Europa und den USA geschlossen, die umfangreiche Lieferungen giftiger Stoffe zum Zweck der Endlagerung vorsahen. Experten vermuten, daß vor allem Pestizide, dioxinverseuchtes Material, Schwermetallschlacken, Holzschutzmittel, Cyanide und Chlorphenole auf der Insel gelagert werden, auch die Gerüchte um die Lagerung radioaktiven Mülls wollen nicht verstummen.

Berichte von Europäern, die die Insel besuchten, bevor das Militär dafür sorgte, daß sämtliche unkontrollierten Verbindungen zur Außenwelt gekappt wurden, zeigen übereinstimmend die Folgen der Verseuchung auf: Pflanzenkrankheiten verbreiten sich rasant und sorgen zusammen mit einem generell verringerten Wachstum dafür, daß die Insel ihre einstmalige Lebensmittel-Autarkie verloren hat. Eine medizinische Reihenuntersuchung - durchgeführt von der spanischen Entwicklungshilfeorganisation - zeigte, daß ungefähr ein Drittel der Kinder an Anämie, etwa die Hälfte an Malaria erkrankt ist. Und auch die indirekten Schäden wirken sich katastrophal aus: Um Unruhen unter den etwa 2.000 Annobonesen im Keim ersticken zu können, stationierte die Zentralregierung Truppen auf der Insel. Vergewaltigungen und andere Gewaltexzesse sind an der Tagesordnung. Und weil Soldaten sämtliche Katzen der Insel verzehrten, grassiert eine Rattenplage. Doch kein Preis scheint zu hoch zu sein, um Giftmüll zu einem Fünfzehntel des in Europa üblichen Preises endlagern zu können.

Mittwoch, 20. Mai 1998

Aktuell

Blicke aufs Häusermeer
Erhöhte Aussichtspunkte haben schon immer Schaulustige angelockt
Wer übernimmt die Führung?
Die kommenden Probleme und Entwicklungen der Weltwirtschaft – Ein Panorama
In Millionendimensionen
Grundlegende Befunde über den allseits sichtbaren Wandel Chinas

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum