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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Lichtverschmutzung belastet die Umwelt und stiehlt Sterne vom
Firmament

Der verlorene Himmel

Von Christian Pinter

Licht im Wert von 1 bis 2 Mrd. Dollar, so die Schätzung, wird allein in den USA
jährlich in den Himmel verpulvert. Das meiste davon nicht absichtlich. Schlecht
abgeschirmte Lampen lassen es seitlich nach oben entweichen, statt es auf die zu
beleuchtenden Flächen darunter zu werfen. Wieviel Licht vergeudet wird, hängt von
Bauart und Anbringung der Beleuchtungskörper ab. Meist sind es einige Prozent, im
Extremfall verschwindet jedoch auch mehr als die Hälfte gen Himmel.


Dort braucht es freilich niemand. Würde man die Photonen konsequent auf ihr
eigentliches Ziel einschwören, könnte man die Leistung der Glühlampen und Röhren
entsprechend drosseln - ohne an tatsächlicher Beleuchtungsstärke einzubüßen, ohne
Sicherheit und Sicherheitsempfinden zu stören.


In den USA wird darüber seit Jahren diskutiert. Mehrere Städte haben ihre
Straßenbeleuchtung umgerüstet oder achten wenigstens bei der Neuinstallierung auf
größere Effizienz: reflektierende Abschirmungen blocken nach oben und in
Horizontnähe ab, bündeln das Licht streng nach unten. Das kalifornische San Diego will
sich solchermaßen 3 Mill. US-Dollar pro Jahr zu ersparen.


In Mitteleuropa scheint dies noch kaum Thema zu sein. Dabei beweist der
Lokalaugenschein: Auch hier strahlen Straßenlampen verschwenderisch nach oben,
beleuchten die Fronten hoher Wohnhäuser mit, als gelte es, einen Großangriff von
Fassadenkletterern abzuwehren. Dieses Licht fehlt am Boden - ein Manko, das durch
stärkere Lampen kompensiert wird.


Bequeme Nacht Ein Blick aus dem Fenster im dritten Stockwerk macht das Problem
deutlich. Eigentlich sollte man die Neonröhren in Straßenlampen, die niedriger
angebracht sind als der eigene Standort, gar nicht erkennen. In einiger Entfernung tut
man es meist dennoch. Ihr schräg nach oben entweichendes Licht wird von Wänden
und Zimmerdecken darüber liegender Wohnräume reflektiert, taucht diese in konstantes
Halbdunkel. Um schlaftrunken den Weg zum Kühlschrank zu finden, braucht man den
Griff zum Lichtschalter oft gar nicht mehr zu tun.


Das ist bequem. Doch dieses Licht ist immer da, ob es nun gebraucht wird oder nicht.
Bei unglücklichem Zusammenspiel von Fensterlage und Straßenlampen kann das
streunende Kunstlicht sogar den Mond an Helligkeit übertreffen - und nicht wenige
Menschen schwören, daß sie das Licht des Vollmonds um die Nachtruhe bringt.


Selten kommt Druck nach effizienteren Beleuchtungskörpern auf. Energie ist nach wie
vor billig. Ein Teil der Produktions- und Folgekosten wird einfach auf kommende
Generationen abgewälzt. Das Kilowatt als Hypothek: fossile Brennstoffe, zu deren
Bildung Jahrmillionen nötig waren, werden in Jahrzehnten verheizt; Veränderungen des
Erdklimas durch freigesetztes Kohlendioxid in Kauf genommen. Radioaktiver Müll wird
produziert, der noch in Jahrtausenden extremes Sicherheitsrisiko darstellen wird.
Natürliche Flußlandschaften werden unwiederbringlich zerstört.


Es ist hübsch, von erhöhtem Standort über ein Lichtmeer von Straßenlampen zu
blicken. Doch es ist auch Luxus. Weitgehend abgeschirmte Beleuchtungskörper wie am
Franz-Jonas-Platz in Wien XXI sind rar. Gleich daneben zielen Scheinwerfer nach
oben, tauchen die Floridsdorfer Pfarrkirche in ein nächtliches Photonenbad. Das
absichtliche Bestrahlen von Bauwerken erfreut sich zunehmender Beliebtheit.
Wahrzeichen wie der Wiener Stephansdom werden so ins rechte Licht gerückt.
Vorstadtkirchen auch. Dabei sind in Szene gesetzte Türme besonders krasses Beispiel
für Ineffizienz: Ein Teil des Lichtkegels schießt notgedrungen am schlanken Bau vorbei
und stürmt den Himmel.


Beleuchtung wird als Garant für nächtliche Sicherheit empfunden. Doch Licht allein ist
zuwenig. Jeder Autofahrer kennt den beklemmenden Moment, wenn ihm die
Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge die Sicht stehlen. Obwohl kurzzeitig die
doppelte Lichtmenge zur Verfügung steht, wird die Fahrbahn bei Blendung schlechter
wahrgenommen.


Fußgänger machen ähnliche Erfahrungen. Kugelförmige Beleuchtungskörper in Park-
oder Wohnhausanlagen strahlen mangels jeder Abschirmung oft weniger als die Hälfte
ihres Lichts auf den Boden. Wenn besonders grelle Glühlampen dies ausgleichen,
können sie blenden. Was sich hinter den Kugellampen verbirgt, ist dann schwer
erkennbar. Fazit: Nicht nur die umgesetzten Watt steuern Sicht und Sicherheit, sondern
auch Bauweise und Anbringung der Beleuchtungskörper.


Ein Instrument der Leopold-Figl-Sternwarte, Außenstelle der Wiener Universität am
Schöpfl, zog das Licht des sterbenden Sterns SN 1993J in der Galaxis M81 zu einem
Regenbogen auseinander. Linien unterschiedlicher Intensität verrieten chemische
Elemente und gaben Hinweise auf jene Vorgänge, die sich während seiner Explosion
ereignet hatten. So gelang es erstmals in Österreich, das Spektrogramm einer
Supernova aufzunehmen.


Sternentod Zwölf Millionen Jahre war das Licht des Sterns unterwegs, der kurz so hell
wie eine ganze Galaxie aufleuchtete. Doch in den letzten Millionstel Sekunden seiner
Reise mußte es mit einem Meer künstlicher Lichtquellen konkurrieren. Die stärkste
Spektrallinie hieß "St. Pölten".


Das Problem ist nicht die direkte Blendung durch einzelne Straßenlaternen. Vielmehr ist
es die Widerspiegelung der städtischen Lichterflut in der Lufthülle, die
Himmelsaufhellung bewirkt. Schlecht abgeschirmte Beleuchtungskörper und Strahlen,
die von Fassaden oder vom Asphaltboden hochreflektiert werden, marschieren die
Erdatmosphäre hinauf. Dort treffen sie auf freischwebende Staub- und Wasserpartikel
und werden gestreut. Je nach Art der verwendeten Lampen färbt sich der Himmel
hellgrau oder orangerot ein, wird bis auf das Fünfzigfache erhellt.


Über besiedelten Gebieten entsteht eine Lichtglocke. Vom Wiener Stadtrand erkennt
man den Schein von Bratislava. Vom Waldviertel aus läßt sich am Horizont Wien orten.
Das meiste Licht entweicht nicht auf kürzestem Weg hinauf ins All, sondern unter
flachem Winkel nach oben. Daher reicht die Lichtglocke weit über das eigentliche
Stadtgebiet hinaus. Diese Aufhellung des Himmels durch Kunstlicht wird "Light
Pollution" (engl. Lichtverschmutzung) genannt.


Opfer ist der nächtliche Sternenhimmel. Vor hellem Hintergrund verlieren Sterne an
Kontrast und werden unsichtbar. Vor allem in den USA stellten Astronomen das
traurige Schicksal ihrer Forschungsobjekte zur Diskussion. Dort hatten theoretisch
hervorragende Beobachtungsbedingungen den Einsatz teurer Großteleskope begünstigt.
Entsprechend groß empfand man den Schaden.


Mitarbeiter des Kitt Peak Observatoriums machten gegen die Lichtverschmutzung von
Tucson, Arizona, mobil und gründeten 1988 die IDA, die "International Dark-Sky
Association". Sie zählt heute über 1.900 Mitglieder in 63 Ländern. Schwerpunkt blieb
die USA. Aktive Gruppen gibt es aber auch in Kanada, Japan, Großbritannien oder
Belgien. Hauptziel ist, Öffentlichkeit und Kommunalpolitiker von den Vorteilen einer
Umrüstung auf besser konstruierte und montierte Beleuchtungskörper zu überzeugen
und sie für einen bewußteren Umgang mit Licht zu gewinnen. Dies soll nach Meinung
der IDA allen zugute kommen: Forschern ebenso wie Stromzahlern.


In Liberty Township, Ohio, einigte man sich auf die Abschaltung von Lichtquellen nach
23 Uhr, sofern sie nicht der Sicherheit, sondern bloß dekorativen Zwecken dienen. Die
Olympiastadt Atlanta ließ sich davon überzeugen, Werbetafeln nicht mehr von unten
nach oben anzustrahlen. All diese Maßnahmen reduzieren Streulicht und damit Light
Pollution.


In europäischen Großstädten hat Lichtverschmutzung dramatisch zugenommen. Vom
Wiener Stadtrand aus konnte man vor 30 Jahren bequem die Milchstraße erblicken.
Heute macht man nur die hellsten Sterne aus. Eine ganze Generation von Stadtkindern
ist aufgewachsen, die die Milchstraße bloß aus "Raumschiff Enterprise" kennt.


Die fantastischsten Gebilde am Firmament sind wie verschwunden. Einst gab es dicht
gedrängte Sternhaufen mit uralten Sternen. Kugelförmige Gasnebel erinnerten an
zerborstene Sonnen. Weite Gaswolken kündeten von der Entstehung neuer
Himmelskörper. Galaxien tauchten im Fernglas auf, machten unsere Sonne zu bloß
einer von vielen Milliarden. Doch sie alle scheinen für Stadtbewohner nicht mehr real zu
existieren, finden sich fast nur noch in Büchern, Zeitschriften und im Internet.


Die Lichtverschmutzung läßt auch außergewöhnliche Himmelsschauspiele zur
Enttäuschung geraten. Für die Nacht vom 11. zum 12. August 1993 hatten Forscher
eine erhöhte Sternschnuppenaktivität vorausgesagt. Hunderte Wiener hofften auf ein
Spektakel, brausten auf Bisamberg und Kahlenberg. Sie blieben unter der Lichtglocke
und sahen so gut wie nichts. 50 km entfernt freuten sich Naturfreunde in dieser Nacht
über fast 300 Sternschnuppen.


Ähnlich schlecht steht es um Kometen. Ihre Schweife werden mit zunehmendem
Abstand zum Kern lichtschwächer. Sie sind empfindliche Indikatoren für
Lichtverschmutzung, gleichsam das "Lackmus-Papier des Himmels". Der Schweif des
Jahrhundertkometen Hyakutake spannte sich im März 1996 über weite Teile des
Firmaments. Städter sahen bestenfalls ein winziges, kaum auffallendes Nebelfleckchen.


Das gleiche Schicksal vermag dieser Tage Komet Hale-Bopp zu widerfahren. Noch
vor 100 Jahren hätte ein solcher Schweifstern die Menschen in Erregung versetzt.
Heute ist er primär Medienereignis. Die meisten Stadtbewohner werden ihn wohl nicht
einmal registrieren.


Nur noch Mond, Planeten und die allerhellsten Sterne bevölkern den Himmel der
Großstadt. Fernrohre können zum Teil schwächere Sterne durch den Einsatz hoher
Vergrößerungen aus dem Lichtbrei holen. Bei flächigen Objekten wie Galaxien,
Kometen oder Gasnebeln helfen sie recht wenig. In jedem Fall zeigt das enge
Gesichtsfeld nur einen kleinen Ausschnitt der Himmelskugel. Phänomene, die unsere
Vorfahren jahrtausendelang studiert haben, sind in Städten nicht mehr sichtbar.


Für die Alten hatte die Auseinandersetzung mit dem Himmel unterschiedliche
Funktionen. Sie diente der Zeitmessung, der Navigation, der Religion, der
Wissenschaft oder der ästhetischen Erbauung. Einige dieser Rollen hat der
Sternenhimmel notwendigerweise eingebüßt, andere nicht.


Zur Zeitmessung stehen uns Atomuhren zur Verfügung, die verläßlicher sind als die
Erdrotation. Zur Navigation dienen Satellitenempfänger, die genauere Koordinaten
liefern, als der zu den Sternen gerichtete Schiffssextant. Die göttlichen Kräfte, die
Menschen einst Sternen und Planeten zuschrieben, brauchen wir ebenfalls nicht mehr.
Die Alten hofften damit, Naturgewalten begreifbar machen und - durch Anbetung der
Gottheiten - auch steuern zu können. Die Namen der Sternbilder erinnern daran: etwa
der Steinbock, Sinnbild des babylonischen Schöpfergotts Ea, der Löwe,
südgriechisches Ungeheuer und Bruder der Sphinx oder die Jungfrau, Tochter der
Fruchtbarkeitsgöttin Ceres. Heute kennen wir Naturgesetze. Die einstige
Himmelsmacht ist obsolet. "Steinbock", "Löwe" und "Jungfrau" sind Thema für
Kaffee- und Bürotratsch geworden.


Aber auch die wissenschaftliche Rolle ist in Bedrängnis. Astronomen verlegen ihre
Himmelsstudien an entlegene, dunkle Orte. Sie errichten Observatorien in
größtmöglicher Abgeschiedenheit oder versuchen wenigstens, an solchen Instituten
Beobachtungszeit zu bekommen. Gelingt dies nicht, müssen sie sich auf Bereiche
beschränken, in denen man trotz widriger Bedingungen noch Forschung betreiben kann.


Naturfreunde wiederum versuchen, sich wenigstens die Ästhetik der Sternenpracht zu
retten. Dazu unternehmen sie immer aufwendigere "Expeditionen". Alle paar Jahre
müssen Städter beim Kurzausflug aufs Land ein paar Kilometer dazulegen, um den
Lichtglocken zu entgehen. Die Zersiedlung des ländlichen Raums birgt neue Risken:
Was früher ein dunkler Feldweg war, ist heute beleuchtete Zufahrtsstraße. Der
Lichtschein eines Tennisplatzes, hohe Strahler einer Lagerfläche, Neonlichter eines
Einkaufszentrums oder Lichtfinger einer angestrahlten Dorfkirche haben so manchen
Beobachtungsort verdorben.


Ohne Fluchtauto gelingt das "Abenteuer Sternenhimmel" kaum noch. Öffentliche
Verkehrsmittel kehren abends meist viel zu früh Richtung Stadt zurück. Wenn die ersten
Züge am Morgen Wien verlassen, neigt sich die Nacht bereits dem Ende zu. In
Bahnhofsnähe klagen Beobachter zudem über hoch angebrachte, mäßig abgeschirmte
Neonlampen über den Gleisanlagen: sie können die ganze Nacht hindurch strahlen -
auch dann, wenn längst alle Früh- und Spätverbindungen eliminiert sind und kein Zug
mehr stehenbleibt. "Geisterlichter" werden nicht gestrichen.


Kulturhimmel Vertan ist die Chance, nach getaner Arbeit mit den Augen am Himmel
spazierenzugehen; Sternbilder auszuloten, den Windungen der Milchstraße zu folgen,
die scheinbare Drehung des Firmaments zu erleben, Regelmäßigkeit und Veränderung
wahrzunehmen, sich an den vielfältigen Erscheinungen im Universum zu erfreuen, sich
dabei zu entspannen.


Die Ästhetik des Firmaments wurde ohne zwingenden Grund preisgegeben. Die ganze
obere Hälfte der Umwelt ist aus dem Bewußtsein gedrängt: ihr Verschwinden wird nur
selten als Teil der Umweltzerstörung begriffen. Statt dem nächtlichen Sternengewimmel
spannt sich jedenfalls ein fader, strukturloser, kaum zur Auseinandersetzung anregender
"Kulturhimmel" über die Städte - verschmutzt vom verpulverten Licht ihrer Bewohner.

 

Mittwoch, 02. April 1997 15:41:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:57:00

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