Fauna & Flora
Schneckgespenst
Von Stefanie Holzer
In meinem Garten liegen zu Frühlingsbeginn auf der Sonnseite unterhalb der Nordkette noch 30 Zentimeter Schnee. Im Tal zeigen sich erste Winterlinge und Schneeglöckchen, als wollten sie vorsichtig erkunden, wie lang das mit dem Winter heuer noch dauern wird. Auch wir Menschen sind des Schnees und der Kälte überdrüssig.
Für den Gärtner hat der langanhaltende Winter allerdings auch Vorteile: Nach den vergangenen zwei milden Wintern waren meine Beete zu Frühlingsbeginn mit dichten, knapp halbmeterhohen Unkrautteppichen bedeckt. Das einjährige Rispengras hatte auf den Wegen ungemein dichte, gut verwurzelte Schöpfe gebildet, die ich nur unter größten Anstrengungen ausreißen konnte. Heuer werden sich mir die Beete nach der Schneeschmelze nahezu blank präsentieren. Am ehesten erwarte ich Mäusegänge zu sehen, die im Limbus zwischen Erde und Schnee gegraben wurden. Das Wohlleben dieser Tiere wird Anfang Mai, sobald wir wieder ins Sommerhaus übersiedeln, ein abruptes Ende nehmen. Verursacht durch Maxi und Lili, unsere knapp einjährigen Katzen, die sich derzeit noch mit Spielmäusen zu einem Euro das Stück behelfen. Es wird ein schreckliches Morden sein – und ich werde danach vielleicht zum ersten Mal seit Jahren wieder Karotten ernten können.
Den spanischen Wegschnecken haben die niedrigen Wintertemperaturen sicherlich zugesetzt. Den überlebenden Gartenfeindinnen werde ich wie jedes Jahr ein paar Kopfsalatpflänzchen opfern und im übrigen auf eine mäßig feindliche Koexistenz hoffen. Ich verfolge sie unnachgiebig, sobald sie sich dem Rittersporn nähern. Dafür werde ich ein Auge zudrücken, wenn sie sich damit begnügen, nur hie und da ein bisschen zu naschen. Für mich lässt sich jetzt schon sagen: Sobald der Schnee geschmolzen ist, hat ein gutes Gartenjahr begonnen.
Meinem Bekannten S. dagegen graut schon vor dem Tag, an dem die bloße Erde vor ihm liegen wird. Er hat sich vor zwei Jahren ein Hochbeet gebaut, um damit die spanische Wegschnecke dauerhaft aus dem Paradies auszu-sperren. Der arme Mann muss noch viel leiden und lernen. Es führt zu nichts, im Garten das Absolute zu wollen. Im letzten Sommer hatte die Wegschnecke alle hinderlichen Blechkanten überwunden und im Hochbeet großen Schaden angerichtet. Deswegen will S. nach der Schneeschmelze die mit Schneckeneiern kontaminierte Erde abtragen. Nach dieser Plagerei wird er mit der neuen Erde vielleicht eine kleine leistungsfähige Wegschneckenpopulation re-importieren. Oder eine solche wandert später mit den Salatpflanzen ein. Oder aber eine einzelne Schnecke kommt aus dem Rasen und überwindet wieder alle Hindernisse, um im Garten Eden bis zu zweihundert Eier zu legen.
Stefanie Holzer, geboren 1961, lebt als Schriftstellerin in Innsbruck.
Printausgabe vom Samstag, 21. März 2009
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