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Leistung soll sich lohnen!

Hendrik Munsberg

In sorgsam inszeniertem Crescendo weitet die Gewerkschaft IG Metall derzeit die Warnstreiks aus, um ihrer Lohnforderung Nachdruck zu verleihen. Womöglich ist die Wirtschaft schon ab Monatsende weitgehend gelähmt, wenn flächendeckend die Arbeit ruht. Dabei wissen alle: Nichts kann Deutschland derzeit weniger brauchen als einen Streik. Gerade erst schien die Konjunktur an Fahrt zu gewinnen, fassten die Unternehmen wieder Zuversicht. Schon droht der steigende Ölpreis, Folge der Krise in Nahost, den Aufschwung empfindlich zu dämpfen. Mit Sicherheit würde ein Arbeitskampf alle Hoffnung auf Besserung zunichte machen. Aber aus der Gewerkschaftszentrale tönt es ungerührt weiter: 6,5 Prozent mehr Lohn - oder Streik!

Und doch drängt sich die Frage auf: Kann man den 3,6 Millionen Metallern wirklich verübeln, dass sie deutlich mehr Geld auf dem eigenen Gehaltskonto sehen wollen - im Zweifel auf Kosten anderer, der Arbeitslosen, deren Zahl bei überhöhtem Tarifabschluss gewiss wieder wüchse, weil die Unternehmen steigendem Rationalisierungsdruck ausgesetzt wären?

Immerhin sind es Deutschlands Spitzenmanager, Angehörige der Führungselite also, die der Republik seit geraumer Zeit vorführen, wie man zuallererst an sich selbst denkt. Zwischen 1998 und 2000, so registrierte penibel die IG Metall, ließen sich die Vorstandsmitglieder der 30 größten deutschen Konzerne ihre Gehälter um 64 Prozent erhöhen. Dieselben Leute also, die voller Entrüstung erklären, dass 6,5 Prozent mehr Lohn eine unerträgliche Belastung der Metallbranche sei.

Zur Legitimation der eigenen Bezüge verweisen die Herren in den Führungsetagen gern auf ihre immense Verantwortung und darauf, dass besonders in den Vereinigten Staaten noch viel höhere Summen gezahlt werden. Und dass sich deutsche Konzerne diesem Trend nicht verschließen können, weil es sonst künftig immer schwieriger werde, internationale Spitzenkräfte zu gewinnen.

Daran mag schon etwas Wahres sein. Aber hat, beispielsweise, die achtköpfige Vorstandsriege der Deutschen Bank 2001 für ihre Arbeit wirklich einen Erfolgsbonus von rund 50 Millionen Euro verdient? Immerhin brachen die Erträge des Kreditinstituts alarmierend ein, weswegen Tausende Stellen abgebaut werden. Und auch die strategische Ausrichtung der Deutschen Bank ist gegenwärtig keineswegs so geartet, dass man auf übergroße Führungskunst schließen müsste. Was hat da die Bezahlung der Führungsspitze noch mit dem Äquivalenzprinzip von Leistung und Gegenleistung zu tun - für Ökonomen sonst eine eherne Regel? Aufs gemeine Volk jedenfalls wirken die Multimillionengehälter nur so: frivol.

Und wie sollen die Bürger den folgenden Vorgang deuten? Da schlägt im Februar die so genannte Corporate-Governance-Kommission unter Vorsitz des Thyssen-Krupp-Aufsichtsratschefs Gerhard Cromme einen "Beurteilungskatalog für gute Unternehmensführung" vor, der empfiehlt, dass die Vergütung von Vorstandsmitgliedern künftig einzeln - und nicht nur als pauschale Summe - offen gelegt werden möge. Schon grummelt es aus den Führungsetagen zurück: Für so viel Transparenz, die etwa in den USA längst obligatorisch ist, sei die Zeit hier zu Lande noch nicht reif. Welch eine Heuchelei!

Es lohnt, nach der materiellen Verantwortung von Spitzenmanagern zu fragen. Wahr ist: In der Hand so manches Konzernchefs liegt heute das Schicksal zigtausender Angestellter. Aber was passiert den Unternehmenslenkern persönlich im Falle ihres Scheiterns? Worin liegt ihr individuelles Risiko? Auch Konzernchefs müssen gehen, wenn sie sich gravierende Fehler leisten - aber meist nicht, ohne üppige Abfindungen einzustreichen. Durch Missmanagement-Versicherungen, im Fachjargon Directors&Officers-Policen; genannt, sind sie zudem weitgehend gegen privaten Vermögensverlust gefeit, der aus Aktionärsklagen resultieren könnte.

Wären sie ehrlich, würden Top-Manager zugeben: Ihre Entlohnung ist vor allem eine Prestigefrage geworden: Wer den größten Millionenbetrag bekommt, ist Tabellenführer, kann seinesgleichen imponieren. Für alle übrigen hingegen ist kein vernünftiges Verhältnis zu Kategorien wie Leistung oder gar Bedarf erkennbar.

Leistung muss sich lohnen! Das ist ein wichtiger Grundsatz der Marktwirtschaft. Wer ihn missachtet, verhindert Prosperität. Leistung soll sich auch lohnen. Aber Führung von Menschen verlangt Legitimität. Das festzustellen ist kein Beitrag zur Neiddebatte. Sondern ein lohnender Ausgangspunkt für Führungsseminare.

Von 1998 bis 2000 ließen sich die Vorstandsmitglieder der 30 größten deutschen Konzerne ihre Gehälter um 64 Prozent erhöhen.