Textarchiv

Unverändert dramatisch

Das IOC redet die Situation der Olympiastadt Athen wider besseres Wissen schön

Jens Weinreich

ATHEN, 5. April. Die Chefin wählte diesmal einen Hosenanzug in grellem Orange. Dazu trug sie Perlmutt-Ohrringe in Blütenformen. Zwischen all den dunkelblau oder schwarz gewandeten Sportfunktionären sorgte Gianna Angelopoulos-Daskalaki einmal mehr für einen leuchtenden Farbtupfer. Verkleidet als Zitrusfrucht. Diese Frau steht, wo und wann immer sie auftaucht, im Mittelpunkt. Am Freitag war das nicht anders im Athener Nobelhotel "Divani Caravel". Gianna Angelopoulos, Präsidentin des Organisationskomitees für die Olympischen Sommerspiele 2004 (Athoc), bestieg als Letzte das Podium, um sich vom IOC-Prüfkommissar Denis Oswald Komplimente machen zu lassen.

Zum ersten Mal seit der Vergabe der Spiele an Athen (im September 1997) äußerte sich der Chef einer IOC-Koordinierungskommission halbwegs positiv zum Stand der Olympiavorbereitungen. "Die Situation hat sich seit meinem letzten Besuch im Januar kolossal verbessert", behauptete der Schweizer Oswald. "Wir sind zuversichtlich, dass alles rechtzeitig fertig wird." Und neben ihm lächelte selig Gianna Angelopoulos, die olympische Regentin, in die Kameras.

Schlechte Nachrichten

Oswald zog dieses Fazit seines dreitägigen Arbeitsbesuchs trotz einer nicht abreißenden Flut von schlechten Nachrichten. So hat gerade ein Verwaltungsgericht den Bau des olympischen Mediendorfes im Vorort Maroussi gestoppt. Auf dem Gelände des alten Athener Flughafens, wo allein sieben Sportarten ausgetragen werden sollen, haben die Bauarbeiten immer noch nicht begonnen. Bürgerinitiativen behindern den umstrittenen Bau einer Straßenbahn. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die geplante Umsiedlung von einigen hundert Roma, die derzeit noch in der Nähe des Olympiastadions in Slums hausen. Bauarbeiten an der Kifissos-Straße, einer der Hauptverkehrsadern Athens, mussten unterbrochen werden, als Überbleibsel von 2 446 Jahre alten Wehrmauern ausgegraben wurden. Nun verhandelt das zuständige Bau- und Umweltministerium mit dem Archäologischen Zentralrat. Das kann dauern. "Wir wissen ja alle, dass wir in diesem Land eine sehr langsam arbeitende Administration haben", sagte Frau Angelopoulos. Den IOC-Kommissaren wurde die "plötzliche Entdeckung" der so genannten Langen Mauern als Entschuldigung für diese weitere Bauverzögerung aufgetischt. Und dies, obwohl doch, wie die "Athener Zeitung" spottet, "der genaue Verlauf der Langen Mauern freilich seit dem 19. Jahrhundert bekannt ist". Die Aufzählung von Pleiten, Pech und Pannen ließe sich leicht um viele Dutzend haarsträubender und kurioser Beispiele verlängern.

Denis Oswald selbst hat vor zwei Monaten in Salt Lake City der IOC-Vollversammlung in einer scharfen Rede die größten Schwachpunkte vorgetragen. Noch nie waren Olympiaorganisatoren im IOC derart gegeißelt worden. Weil Oswald seinen Vortrag mit süffisanten und sarkastischen Tönen würzte, wurde die Prinzipalin Angelopoulos kurzzeitig zur Lachnummer degradiert. Das hat die Griechin dem Schweizer nicht verziehen. Da dessen nächster Zwischenbericht nun aber weit versöhnlicher ausfiel, zeigte sich auch Gianna Angelopoulos gnädig gestimmt. Als Oswald auf seiner Pressekonferenz im "Divani Caravel" dann doch noch die ärgsten Probleme erläuterte (Straßenbau, Nahverkehr, Hotel-Kapazitäten), widersprach Frau Angelopoulos keinesfalls.

Gianna Angelopoulos, studierte Juristin, Ehefrau eines milliardenschweren Reeders und Stahl-Magnaten, hat als Bewerbungschefin die Sommerspiele nach Griechenland geholt. Danach widmete sie sich wieder privaten Geschäften. Erst im Frühjahr 2000 kehrte sie als Wunschkandidatin des IOC an die Spitze des Athoc zurück. Zu einem Zeitpunkt, als der damalige IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch Athen symbolisch mit einer Gelben Karte bestrafte. Beinahe hätte das IOC Athen die Spiele wieder entzogen. Denn zwischen 1997 und 2000 hat sich dort überhaupt nichts getan. "Diese Jahre fehlen uns, das holen wir nie wieder auf", sagte Oswald, "es ist wichtig, dass nun kein weiterer Tag Verspätung hinzukommt."

Mehrfach wurde Oswald gefragt, wie er den Versprechen der Organisatoren so einfach Glauben schenken könne. Oswald verwies meist auf den vermeintlichen Sachverhalt ("Wir haben Experten für alle Gebiete"). Er machte aber auch klar, dass ihm die Hände gebunden sind. "Ich lasse immer alle Angaben prüfen. Ich lasse mir die Versprechen auch von Ministerien schriftlich geben. Heute Morgen hat mir Premierminister Kostas Simitis versprochen, dass alle geplanten Verkehrsprojekte gebaut werden. Es ist für mich schwer, mehr zu tun."

Trotz der etwas versöhnlichen Töne Oswalds ist klar: Die schlechten Meldungen aus Athen werden nicht abreißen. Der Zeitplan ist so eng, die Lage nach wie vor dramatisch. "Doch wenigstens herrscht jetzt eine Atmosphäre der Verantwortlichkeit", sagte das jugoslawische IOC-Mitglied Borislav Stankovic. "Jetzt werden die Griechen so langsam enthusiastisch", will Stankovic auf seiner Dienstreise mit der Koordinierungskommission beobachtet haben. "Das ist viel wert."

Krisenmanagement

Auf Enthusiasmus und Improvisationskunst setzen die Griechen traditionell. "Sie sind da sehr kreativ, geradezu artistisch im improvisieren", glaubt Denis Oswald: "Aber Olympische Spiele können nicht improvisiert werden, man muss sie organisieren." Diese Botschaft hat zumindest Gianna Angelopoulos-Daskalaki verstanden. "Wir müssen die Realität anerkennen, ich betreibe Krisenmanagement", formulierte sie: "Die Wahrheit ist, wir haben noch riesige Probleme zu lösen. Das müssen endlich alle Griechen begreifen. Alle Politiker, alle Bürger. Olympia ist eine nationale Angelegenheit."

"Die Wahrheit ist: Wir haben noch riesige Probleme zu lösen. " Gianna Angelopoulos.

DPA Das Hauptpressezentrum ist noch Papier: Denis Oswald (2. v. l. ) und Gianna Angelopoulos (3. v. l. ) bei der Inspektion.