Textarchiv

Huch - aus Versehen kaputtgespart

Die Berufsakademie Berlin wehrt sich gegen ihre gedankenlose Zerstörung

Torsten Harmsen

In der vergangenen Woche gingen drei Berliner Hochschulen an die Öffentlichkeit. Sie warnten davor, dass neue Sparauflagen des Senats sie zerstören würden. Ihre erstklassige Ausbildung - in Musik, Schauspiel, Design oder bildender Kunst - sei hochgradig gefährdet. Der Grund: Die kleinen Kunsthochschulen sind nicht wie andere Hochschulen durch Verträge mit dem Land Berlin geschützt. Sie gelten als "nachgeordnete Einrichtungen" des Senats. Und weil in der Senatsverwaltung gekürzt werden muss, trifft es automatisch auch sie.

Zu den Betroffenen gehört ebenso die Berufsakademie (BA) Berlin. Gemeinsam mit den Kunsthochschulen soll sie im Doppelhaushalt 2002/03 mehr als zwei Millionen Euro einsparen. Das klingt - verglichen mit anderen Ausgaben - nicht gewaltig. Aber für diese kleinen Hochschulen ist es so viel, dass es Strukturen zerstören würde, und zwar ganz nebenbei. Denn eigentlich soll diese Sparauflage gar nicht die Wissenschaft treffen, sondern die Verwaltung. An den kleinen Hochschulen jedoch - die keine nennenswerte Verwaltung haben - trifft es vor allem Lehrkräfte, also Bildung und Wissenschaft.

Die Berufsakademie Berlin wurde 1993 gegründet. Der damalige Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) hatte das Modell aus Baden-Württemberg mitgebracht. Mittlerweile ist die Berufsakademie "eine etablierte Einrichtung" in Berlin, wie der neue rot-rote Senat ausdrücklich betonte. Ihre Diplome sind seit 1995 denen von Fachhochschulen gleichgestellt, auch im europäischen Maßstab.

Handverlesen

Was ist das für ein Modell? Es bietet eine duale Ausbildung - Studium vernetzt mit Berufspraxis. Während aber an Fachhochschulen das Studium durch Praktika ergänzt wird und die Absolventen sich erst ein Unternehmen suchen müssen, ist es hier anders herum. Die etwa 470 Partnerfirmen der Berufsakademie schicken ihre Studenten an die Akademie - darunter Schering, IBM, DaimlerChrysler und viele mittelständische Betriebe. Das Land bezahlt das Studium, die Betriebe die praktische Ausbildung. Die 1 485 Studenten sitzen auf vergüteten Ausbildungsplätzen.

Abitur ist Voraussetzung. Der Zugang ist sogar straffer geregelt als anderswo. Ein Fachabitur reicht nicht, weil den Studenten in kürzester Zeit allerhand abverlangt wird. Drei Monate Theorie, drei Monate Praxis im Betrieb, und das ganze Studium in drei Jahren - so lautet die Vorgabe. Die Akademie bietet 17 Kurse in zwölf Fachbereichen. Am Ende steht ein Diplom - als Betriebswirt oder Ingenieur (mit dem Zusatz "BA").

"Unsere Studenten sind handverlesen", sagt Professor Hartmund Barth, Direktor der Berufsakademie. "Sie haben sich ja nicht bei uns, sondern bei den Betrieben um den Ausbildungsplatz beworben." Sie mussten mehrstufige Auswahlverfahren überstehen. Der Erfolg der Berufsakademie ist unbestritten. Auch in der rot-roten Koalitionsvereinbarung wird der hohe Zulauf an Bewerbern betont. "Auf jeden unserer Studienplätze bewerben sich ungefähr dreißig Abiturienten", sagt Hartmund Barth. "Die Absolventen gehen zu hundert Prozent weg." Etwa ein Fünftel folgt "zum Bedauern der Ausbildungsbetriebe" den Angeboten von Konkurrenzunternehmen. "Sie sind am Arbeitsmarkt sehr beliebt, weil sie nicht nur ihr Theoriepensum draufhaben, sondern über Arbeitserfahrung und Einblick in betriebliche Abläufe verfügen", sagt Barth. Im Übrigen sind sie jung: im Durchschnitt 23,6 Jahre alt.

Das Modell der Berufsakademie passt genau in die Forderung des Berliner Senats, die "praxisnahe Ausbildung" zu stärken. Der Wissenschaftsstaatssekretär Peer Pasternack bekräftigte im März die Absicht, auch mit der Berufsakademie einen Vertrag zu schließen.

Bis dahin jedoch könnte es längst zu spät sein. Laut Auflage der Finanzverwaltung muss die Berufsakademie 2002/03 zehn Prozent des Personalhaushalts - 410 000 Euro - kürzen. Für den Zeitraum 2004 bis 2006 soll sie schon mal mit mindestens vergleichbaren Kürzungen rechnen, heißt es. Die Finanzverwaltung beabsichtige zudem, so erklärt Helmut Lück, Sprecher der Berufsakademie, bei ihrem Haushaltsansatz nicht vom Soll- sondern vom Ist-Zustand des vergangenen Jahres auszugehen. Damals waren einige der 49 Professoren- und der etwa 25 Mitarbeiterstellen noch vakant. Der Personalhaushalt wurde also nicht voll ausgeschöpft. Doch seit Februar 2002 sind erstmals alle BA-Stellen besetzt. Durch den neuen Haushaltsansatz, so Lück, ergebe sich eine Differenz von etwa 300 000 Euro, die zum Sparbeitrag noch dazukomme. Alles in allem müsse die Hochschule also mit 710 000 Euro weniger auskommen. - Das seien auf einen Schlag 17 Prozent des Personaletats. Alle Kürzungen zusammen beträfen 21 Stellen, davon 13 Professuren. Eigentlich müsste man fünf Fachbereiche schließen.

Ausgehöhlt

Dass eine Studieneinrichtung wie ein Verwaltungsbereich behandelt wird, auf den Einsparungen einfach umgelegt werden, widerspricht für Hartmund Barth den Senatsbekundungen, in Bildung und Wissenschaft nicht kürzen zu wollen. "Ich will nicht glauben, dass es dabei bleibt", sagt der BA-Direktor. Er hoffe auf eine Korrektur.

"Befindet sich eine Hochschule erst einmal auf der schiefen Bahn, steht bald ihre Wettbewerbsfähigkeit in Frage", sagt Helmut Lück. "Wir kommen an die Grenze der kritischen Größe - nicht zuletzt auch gemessen an den Kriterien des Wissenschaftsrates, der eine bestimmte Vielfalt der Fachrichtungen als Voraussetzung für die Qualität des Studiums sieht." Professoren, die jahrelang in Unternehmen an verantwortlicher Stelle gearbeitet hätten, würden sich künftig "drei Mal überlegen, an eine Hochschule zu gehen, die keinen Rückenwind mehr hat". Eine ausgehöhlte, mittelmäßige Hochschule steht schließlich zur Disposition. Das ist auch die Gefahr für die Kunsthochschulen. Am Ende hat Berlin - weil es kurzsichtig sparte - vier Hochschulen zerstört.

BA BERLIN Berufsakademie: im Gebäude der ehemaligen Knorr-Bremse, nahe Ostkreuz.