...selber schuld, wenn Sie mir schreiben!
...selber schuld, wenn Sie mir schreiben!...selber schuld, wenn Sie mir schreiben!
Die offizielle Homepage von Henryk M. Broder

Happy Iceland (Teil 5)

Das Häppchen als Schnäppchen

Viel Natur und wenig Menschen — vor 15 Jahren lebten in den Nordfjorden noch 12.000 Isländer, heute sind es gerade 8000, darunter viele Einwanderer. Jetzt versuchen einige, die Landflucht zu stoppen — mit Lyrik, Sushi und kulinarischem Kunstsinn.

Dichter Norddahl: "Niemand wird es für dich machen" (Anklicken zum Vergrößern)
Dichter Norddahl: "Niemand wird es für dich machen"

Es ist kein einfacher Job, ein Caféhaus-Dichter in Isafjördur zu sein. Denn erstens gibt es nur ein Cafehaus in der Hauptstadt der Westfjorde und zweitens auch nur einen Dichter. Und so sitzt Eirikur Örn Norddahl mittags im »Langi Mangi«, surft mit seinem wireless Laptop im Internet, beantwortet Emails und schreibt an einem neuen Buch. Das macht er jeden Tag, von Montag bis Freitag. Nur am Wochenende erscheint er später an seinem Stammplatz am Fenster, denn da arbeitet er als Nachtportier im »Hotel Isafjördur«, genau gegenüber dem »Langi Mangi«. »Es ist ein guter Job, nachts ist nicht viel los, ich kann in Ruhe nachdenken.«

Der Aussteiger als Workaholic

Eirikur Örn Norddahl könnte auch vom Schreiben allein leben, aber dann müsste er sich sehr einschränken. Vor allem weniger rauchen und den »Caffe latte« daheim statt im »Langi Mangi« trinken. Immerhin, er hat Allen Ginsberg und Michael Moore ins Isländische übersetzt und zwei Bücher veröffentlicht, einen Gedichtband mit dem Titel »Nihil obstat«, (Es spricht nichts dagegen — so lautete die Formel, mit der die Kirche Bücher zum Druck frei gab) und einen Roman, »Die ideologische Nutte«. Von den Gedichten wurden 250 Stück verkauft, von dem Roman über 1000 Exemplare. Das sind für isländische Verhältnisse ordentliche Auflagen, vor allem für einen jungen Schriftsteller.

Außerdem schreibt Eirikur Rezensionen für »Morgunbladid«, die älteste der drei isländischen Tageszeitungen, er bereitet ein internationales Lyrik-Festival vor und hat soeben einen eigenen Verlag gegründet, »Traktor«, in dem er avantgardistische Autoren veröffentlichen will. In diesem Jahr sollen zwei Bände erscheinen, der erste Roman von Ofeigur Sigurdsson und »Motherless Brooklyn« von Jonathan Lethem, der bis jetzt noch nicht ins Isländische übersetzt wurde.

Sushi-Unternehmer Jonatansson: Mit Japan-Happen die eigene Wirtschaft unterstützen (Anklicken zum Vergrößern)
Sushi-Unternehmer Jonatansson: Mit Japan-Happen die eigene Wirtschaft unterstützen

Eirikur Örn Norddahl kam 1978 in Isafjördur zur Welt und ist in Isafjördur aufgewachsen. Sein Vater war Fischer, heute ist er arbeitslos und langweilt sich zu Hause, die Mutter arbeitet noch immer als Lehrerin. Nach der Schule sah er sich eine Weile in Dänemark, Norwegen, Finnland und Berlin um. »Ich hatte eine sehr gute Zeit, ich war sehr produktiv, obwohl ich nichts zu Ende gebracht hatte.« Er sei »ein dreifacher Aussteiger«, zuerst habe er nach nur sechs Wochen eine Ausbildung zum Lehrer in Dänemark abgebrochen, dann nach einem Semester mit dem Studium der isländischen Sprache an der Universität in Reykjavik aufgehört und schließlich die Beschäftigung mit der amerikanischen Literatur der Gegenwart an der Berliner FU »gar nicht erst begonnen«, obwohl er dafür ein Stipendium der isländischen Regierung hatte.

Doch seit er wieder in Isafjördur lebt, ist er »ein Workaholic«. Zurzeit arbeitet Eirikur an sechs Projekten gleichzeitig. »Wenn du es nicht selber machst, wird es niemand für dich machen. Es gibt kein Konzert, wenn du nicht für die Musik sorgst. Wenn du einen Job brauchst, musst du eine Firma gründen.« So lauten seine Glaubenssätze.

Mit dem Schreiben hat er als Siebzehnjähriger angefangen, »um ein Mädchen zu beeindrucken«, 1999 beschloss er, ein richtiger Schriftsteller zu werden. In Island kennt man ihn schon, er ist »der Mann aus Isafjördur«. Und diese Stadt mit ihren 4000 Einwohnern sei der ideale Ort zum Dichten und Schreiben. »Hier ist unheimlich viel los«, sagt Eirikur, als würde er in »Twin Peaks« leben. Nur dass die Geschichten auf der Straße liegen und darum bitten, aufgeschrieben zu werden.

Teufelskreis der Abwanderung

Menschen aus 40 Ländern leben in und rund um Isafjördur, Einwanderer aus Osteuropa, Asien, Afrika. Am letzten Aprilsonntag wurde das thailandische Neujahr gefeiert, nächstes Jahr wird es ein »polnisches Fest« geben. Sie sind nicht wegen der schönen Landschaft und der guten Luft in die Westfjorde gekommen, sondern weil viele Einheimische in die Region um Reykjavik ziehen, wo das Leben zwar teurer aber bequemer ist. In den 1990er Jahren lebten noch 12.000 Menschen in den Westfjorden, heute sind es nur noch 8000. »Wir versuchen, den Trend zu stoppen«, sagt Dorothee Lubecki aus Koblenz, die für die regionale »Tourismus- und Entwicklungs-Agentur« arbeitet. Sie kam Anfang der achziger Jahre zum ersten Mal nach Island, studierte in Bonn Skandinavistik, Philosophie und Tibetologie, später Landschaftsplanung an der Berliner FU, schrieb ihre Diplomarbeit über den Nordwesten Islands, »eine ländliche Region im Wandel«, und lebt seit 1996 in Isafjördur.

Sushi-Produktion in Island: "Kein Unterschied im Geschmack" (Anklicken zum Vergrößern)
Sushi-Produktion in Island: "Kein Unterschied im Geschmack"

»Abwanderung bedeutet weniger Wirtschaftskraft, weniger Arbeitsplätze, weniger Steuern, weniger Investitionen — es ist ein Teufelskreis.« Seit zwei, drei Jahren sieht es so aus, als würde sich die Abwärtsspirale verlangsamen. Erstens wegen der »Gastarbeiter«, die auch schlechte Jobs annehmen, ihre Familien nachholen und die Ökonomie beleben, und zweitens, weil einige Isländer sich mit der Aussicht nicht abfinden wollen, daß ganze Teile ihrer Insel veröden.

Elias Jonatansson wurde vor 46 Jahren in Bolungarvik, ein paar Kilometer nördlich von Isafjördur, geboren, hat in Reykjavik und Oregon/USA »mechanical engineering« und »industrial engineering« studiert und sich immer mit der Frage beschäftigt, wie man Fisch am besten fängt, verarbeitet und vermarktet. Seit fünf Jahren führt er die Firma »Sindraberg«, die von drei Reykjaviker Investoren gegründet wurde, »die etwas Ungewöhnliches unternehmen wollten«.

Das Glück schwimmt vor der Tür

Die drei waren nicht nur Unternehmer, sondern auch leidenschaftliche Sushi-Esser und irgendwann fiel ihnen auf, dass es keine isländischen Sushi-Produkte gab, obwohl »fast alles, was man dazu braucht, vor unserer Tür schwimmt«. Also fuhren sie nach Japan, machten sich über die Herstellung der Häppchen kundig, bestellten die Maschinen und bauten in einer verlassenen Halle im Hafen von Isafjördur eine Sushi-Fabrik auf. Die beschäftigt inzwischen 20 Mitarbeiter, davon 17 in der Produktion, und macht 120 Millionen Kronen (etwa 1,5 Millionen Euro) Umsatz, das ist nicht viel, aber es wird von Jahr zu Jahr mehr. Bei 150 Millionen Kronen wird die Gewinnzone erreicht.

»Wir bieten 30 bis 40 verschiedene Sushi-Sorten an, wie es der Kunde haben möchte«, sagt Elias, »einige Zutaten müssen wir selbst importieren«, zum Beispiel Aal aus Dänemark, getrocknete Algen aus Japan und Tiger-Shrimps aus Thailand. Und natürlich den Reis. Die Produktion ist aufwendig und teuer, die Ware muss nicht nur frisch, sondern auch klinisch sauber sein, die Arbeiterinnen am Band sehen wie Krankenschwestern auf der Intensivstaion aus.

Kleinunternehmer Augutsson, Hafberg: Lammbraten und Pönnukökur (Anklicken zum Vergrößern)
Kleinunternehmer Augutsson, Hafberg: Lammbraten und Pönnukökur

Am Ende werden die tiefgefrorenen Reis-Canapees verpackt und als »Original Japan Sushi« nach Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Griechenland und die Schweiz geschickt. Der Kunde muss schon sehr genau hinschauen, um auf der Rückseite der Packungen den Hinweis auf das Herkunftsland Island zu entdecken. »Aber es gibt keinen Unterschied im Geschmack«, versichert Jonatansson, wenn man die Reisrollen zweieinhalb Stunden auftauen lässt.

Dennoch: Sushi aus Island, das ist wie Leberkäs aus Holland oder Gouda aus der Toscana. Doch was spricht dagegen? »Eigentlich nichts«, sagt Jonatansson, »wir neigen dazu, uns für wichtig zu halten, wir beschäftigen gut ausgebildete Arbeiter und wir leisten einen Beitrag zur Globalisierung«. Seltsam sei nur, daß so lange niemand auf diese Idee gekommen ist. Jetzt will »Sindraberg« auch den isländischen Markt angehen, denn 99% der Produktion gehen in den Export. So werden demnächst auch Isländer »Original Japan Sushi« essen, ohne zu ahnen, daß sie damit die eigene Wirtschaft unterstützen.

Geschichte mit Geschmack

Während Elias Jonatansson in die Zukunft schaut, blicken Thorleifur Augustsson und seine Frau Hrafnhildur Hafberg täglich in die Vergangenheit. Er ist Meeresbiologe, hat in Göteborg studiert und promoviert, sie hat in London ein Studium der Theaterwissenschaft mit einem M.A. abgeschlossen. Vor knapp einem Jahr zogen sie aus Reykjavik nach Isafjördur, denn »Reykjavik ist eine kleine Stadt, aber die Leute dort benehmen sich, als würden sie in New York leben«. Sie unterrichtet am Gymnasium in Isafjördur, er arbeitet weiter als Meeresbiologie, schreibt grade ein Gutachten für die EU, wie man die Pubertät des Kabeljau verzögern könnte, damit er langsamer wächst.

Ehemaliges Handelshaus in Isafjördur: "So orginal, wie es nur geht" (Anklicken zum Vergrößern)
Ehemaliges Handelshaus in Isafjördur: "So orginal, wie es nur geht"

Und weil Thorleifur und Hrafnhildur damit noch nicht ausgelastet sind, haben sie vor kurzem das »Faktorshusid« übernommen, ein ehemaliges Handelshaus, das 1788 gebaut wurde und zu den ältesten Häusern in ganz Island zählt. »Wir wollen es rekonstruieren, wie es einmal war, so original, wie es nur geht.« Das wird noch eine Weile dauern, deswegen machen sie das »Faktorshusid« jetzt schon am Wochenende auf und servieren ihren Gästen Lammbraten und Pönnukökur, Crepes aus Vollkornmehl.

Frau Magister steht am Herd, Herr Doktor am Spülbecken. »Ich bin der am besten ausgebildete Geschirrspüler von Island.« Und wenn das »Faktorhusid« eines Tages fertig ist, wird auch Eirikur Örn Norddahl eine Alternative zum Cafe »Langi Mangi« haben, einen Ort, an dem er sitzen, nachdenken, schreiben und surfen kann. Wireless natürlich, obwohl das 1788 noch nicht möglich war.

HMB, 29. Mai 2005

Copyright © 2005 Henryk M. Broder
Quelle: http://www.henryk-broder.de/tagebuch/island5.html

Das Blog | Tagebuch | Schmock der Woche | Foto des Tages | Forsicht Freddy! | Fremde Federn | Audio | Bücher | Galerie | Links | Kontakt | Impressum | Sitemap · Letzte Aktualisierung: 12.6.2005 · Copyright © 2005 Henryk M. Broder · Diese Seite ist optimiert für die aktuellen Versionen von Internet Explorer, Netscape oder Firefox · Empfohlene Bildschirmauflösung 1024x768 Pixel

kostenloser Counter