Ein blasser Mythos
Ein blasser Mythos, William T.: Hobo Blues
Von Andreas Wirthensohn
Amerikanische Lebensphilosophie ist ob ihrer schlichten Prägnanz meist von unüberbietbarer Überzeugungskraft. "Wenn man auf einen Güterzug setzt, ist es genau wie im Leben; man kennt die Zukunft nicht."
Weder weiß man, wohin er unterwegs ist, noch, wo er wie lange stehen bleiben wird. Das heimatlose Leben der Hobos , dieser uramerikanischen Gestalten, die auf Güterzügen im Land umherreisen, ist bestimmt von "wilder Freiheit", die Cinder, Großfürstin der Hobos, ganz profan so beschreibt: "Du kannst schnell weiterfahren, aber du musst nicht. Du kannst mit Leuten kampieren, und wenn du nicht mit ihnen kampieren willst, kannst du einfach gehen."
Doch dieser Lebensstil, der einst den Drang nach Freiheit idealtypisch verkörperte, ist "auf den Hund gekommen". Hobos sind heute vor allem diejenigen, die nichts haben – nicht jedoch diejenigen, "die hier sind, weil sie hier sein wollen".
Der 1959 geborene William T. Vollmann, Verfasser von Romanen, Erzählungen und eigenwilligen Sachbüchern, gehört in den USA zu den großen Autoren, rangiert bei uns aber noch immer unter der Rubrik "Geheimtipp". Daran wird auch dieses Buch vermutlich nichts ändern. Es bleibt sowohl in seiner Thematik, wie in seiner seltsamen Mischung aus Sozialreportage, Erfahrungsbericht und Literatur ziemlich fremd. Am bedauerlichsten dabei ist, dass Vollmann sich für die Hobos, denen er im Zuge seiner mehrjährigen Feldforschung begegnet, nicht wirklich interessiert. Sie bleiben bloße Schattengestalten ohne Biographie, ohne Seele und – wären da nicht ein paar Fotos – ohne Gesicht.
Für die Landschaft hingegen hat Vollmann durchaus ein Gespür, ebenso für die literarischen Hobo-Klassiker von Mark Twain, Jack London oder Thomas Wolfe. Hier blitzen für Momente immer wieder die Stärken dieses Autors auf. Der Rest aber ist in der Tat eher ein Nachtbild.
William T. Vollmann: Hobo Blues. Ein amerikanisches Nachtbild. Aus dem Amerikanischen von Thomas Melle. Suhrkamp, Frankfurt 2009, 275 S., 20,40 Euro.
Printausgabe vom Samstag, 30. Mai 2009
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