Die Brandenbürger

Jörg Uebel Foto: Gerd Engelsmann
Jörg Uebel ist passionierter Reiter und seit Juli dieses Jahres Geschäftsführer des traditionsreichen Haupt- und Landgestüts Neustadt (Dosse).

Der Herr der Pferde träumt von Touristen

Jörg Uebel führt Deutschlands größte Gestütsanlage in Neustadt und will dafür sorgen, dass sie künftig mehr Geld einbringt

Birgitt Eltzel

NEUSTADT. Wenn es stimmt, dass das Glück dieser Erde auf dem Rücken der Pferde liegt, müssten die Neustädter zufriedene Menschen sein. Denn nirgendwo sonst in Brandenburg ist die Pferdezucht so bedeutsam wie an der Dosse. Schon 1788 wurde das Brandenburgische Haupt- und Landgestüt Neustadt von König Friedrich Wilhelm II. gegründet. Heute ist es die größte deutsche Gestütsanlage. Ob die Neustädter aber mehr Glücksmomente als andere erleben, das weiß auch Jörg Uebel nicht. Der 48-Jährige ist seit Juli Geschäftsführer der traditionsreichen Gestüte.

Uebel sagt, dass die Liebe zu den Pferden sogar so weit reicht, dass ihnen in Neustadt Denkmäler gesetzt werden: Eine lebensgroße Bronzestatue erinnert seit 2001 an den weißen Hengst Kolibri, der 1 700 Nachkommen zeugte. Nahe des schlossähnlichen Landesstallmeisterhauses, wo auch Uebel sein Büro hat, zeigt eine Plastik die Stute Poesie mit ihrem Fohlen Poetin. Poetin, inzwischen in Frankreich verstorben, war das teuerste Pferd Brandenburgs: Für 2,5 Millionen Euro ging es im Jahr 2003 an einen neuen Besitzer.

310 Pferde, darunter 56 Zuchthengste und 40 Stuten, stehen im Haupt- und Landgestüt. "Dazu kommen noch einmal 40 Pferde, die von privaten Haltern hier in Pension gegeben worden sind", sagt Uebel. Er schwärmt von "Quaterback", dem Ausnahmehengst und Bundeschampion, der allein 2007 für rund 600 Nachkommen sorgte - und damit mehr als 700 000 Euro einbrachte.

Uebel, ein wortkarger Mann, wenn es um seine eigene Person geht, wird beredt, sobald sich das Gespräch um Pferde dreht. Er ist ein passionierter Reiter. Mit sieben Jahren saß er auf dem Bauernhof seiner Großeltern das erste Mal auf einem Pferd, später trat er bei Turnieren als Springreiter an. Im heimischen Bad Freienwalde besitzt er nicht nur eine Firma, die Kutschen vertreibt, sondern auch zwei Reitpferde. Um die muss sich jetzt jedoch meistens seine Frau kümmern. "Mir fehlt die Zeit", sagt Uebel. Denn noch pendelt der Vater einer erwachsenen Tochter zwischen Bad Freienwalde und Neustadt.

Wenn es spät wird, übernachtet Uebel nahe des Gestüts. Es wird häufig spät. Denn der Kaufmann, der ursprünglich Instandhaltungsmechaniker gelernt hatte, und nach 1990 zehn Jahre in der Bierbranche tätig war, soll die Moderne ins altehrwürdige Neustadt bringen.

Die Gestüte, seit 2001 eine Stiftung des öffentlichen Rechts, sollen nicht mehr nur Züchter, Pferdebesitzer und Reitsportler anziehen, sondern ein weitaus größeres Publikum. Deshalb wurde Anfang dieses Jahres das Stiftungsgesetz geändert. "Zum Besten des Landes" hieß der königliche Erlass, auf den seinerzeit die Gründung des Neustädter Gestüts folgte. Jetzt erwartet die Landesregierung positive Impulse - nicht nur das züchterische und architektonische Erbe soll gepflegt werden, sondern auch weitere Angebote für Freizeit und Tourismus sollen entwickelt werden. Dafür wurde extra der neue Posten des Geschäftsführers geschaffen. Uebel, der bereits für das Gestüt die Betreuung polnischer Züchter übernommen hatte, erhielt den Zuschlag.

40 Millionen Euro Fördermittel aus EU- und Landestöpfen sind bisher in die Sanierung des 410 Hektar großen Geländes mit seinen zwei denkmalgeschützten Gutshöfen, den Koppeln und Alleen geflossen. "Sanierungsrendite" nennt Jens-Uwe Schade, der Sprecher des Agrarministeriums, was Neustadt nun bringen soll: eine Ausstrahlung auf die gesamte landschaftlich schöne, aber strukturschwache Region Ostprignitz-Ruppin. Eine Faustregel besagt: Drei bis vier Pferde sichern einen Arbeitsplatz. "Wird der Tourismus rund ums Pferd ausgebaut, finden aber noch mehr Leute hier Beschäftigung", sagt Geschäftsführer Uebel.

Er träumt davon, dass künftig Reisebusse gezielt Neustadt ansteuern, um das "Sanssouci der Pferde", wie sich die Gestüte nennen, zu besichtigen. Tagungen könnten dort stattfinden, Betriebsfeiern mit Kutschfahrten und Bewirtung. Und Hochzeiten. Dafür wurde extra der frühere Beschälerstall, der Stall der Zuchthengste, als Außenstelle des Standesamtes eingerichtet. Seit Oktober können sich Paare dort trauen lassen - bisher allerdings traute sich noch niemand.

Uebel lässt sich davon nicht entmutigen. Er plant Events: Nicht nur die berühmten Hengstparaden sollen Zuschauer anlocken, sondern auch Konzerte und andere Open-Air-Veranstaltungen. Etwas für die ganze Familie ist die französische Hofreitschule "Le Cadre Noir de Saumur". Sie war letztmalig vor zwölf Jahren in Deutschland. Im März 2009 kommt sie an die Dosse.

Von "neuen Märkten" spricht der Geschäftsführer; gezielt soll in den Großstädten Berlin und Hamburg geworben werden: "Wir können Familientourismus entwickeln, indem wir gemeinsam mit anderen in der Region Pakete schnüren - die Tochter lernt bei uns Reiten, Vater und Sohn gehen Angeln, und die Mutter vielleicht zum Wellness", erklärt Uebel. Dass das umworbene Publikum trotzdem lieber nach Mallorca fährt als ins herbere Brandenburg, hofft er nicht. Zuversichtlich stimme ihn der Zuspruch für das deutschlandweit einmalige Projekt "Reiten in der Schule", das die Stiftung gemeinsam mit der Neustädter Gesamtschule durchführt: Eine der Schülerinnen kam extra dafür aus Brasilien in das 3 600-Einwohner-Städtchen.

Berliner Zeitung, 24.11.2008