LEXIKON - Steinschneidekunst ("Glyptik")

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Die Geschichte der Steinschneidekunst ("Glyptik")
3Beschäftigt man sich mit Gemmen und Kameen, so studiert man die Geschichte. Sie stellen die Verbindung zu den Veränderungen der Zeiten her.
Die Bezeichnung "Glyptik" kommt vom griechischen Wort "glyptos"=geschnitten und bedeutet Steinschneidekunst. Gemmen sind vertieft geschnittene Edelsteine (="Intaglio") oder erhaben herausgearbeitete (="Kamee"). Im Handel werden jedoch eher nur die Intaglien als Gemmen bezeichnet.
Skizze (Intaglio/Kammee)
Text: "oben: vertieft geschnittene Intaglio, unten: erhaben geschnittene Kamee (aus: "Cameos - old and new, A. Miller)"

Der Vorläufer der ersten geschnittenen Siegel war wohl wurmstichiges Holz, welches in Ton gepresst wurde und auf diese Weise ein einzigartiges Muster erzeugte.

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Rollsiegel, Stempel und Skarabäus (aus "Edelsteingravierungen im Wandel der Zeit" - Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 7.9.-1.12.2002 im Deutschen Edelsteinmuseum Idar-Oberstein)

Die Geschichte der Steinschneidekunst selbst geht auf das 7. Jahrtausend vor Christus zurück. In Babylonien wurden die ersten bekannten Siegel aus gebranntem Ton bzw. diversen weichen Steinen erzeugt und vom Besitzer auf der Kleidung oder am Hals getragen, in den verschiedensten Formen, meist mit religiösen oder geometrischen Motiven.
Ca. 3300 v. Chr., ungefähr zur Zeit, als die Schrift eingeführt wurde, setzte sich im südlichen Mesapotamien die erste wichtige Gruppe von Siegel, die Zylinder-Siegel oder Roll-Siegel, durch. Diese wurden sowohl für Dokumente verwendet aber auch um ganze Kisten rundherum zu verschließen. Vor allem Hämatit, Serpentin, Jaspis, Chalcedon und in besonderen Fällen Lapis-Lazuli wurden verwendet.
Mit dem Einsetzen der neuen Radtechnik im 4. Jahrtausend wurden die anfänglich noch einfachen Darstellungen durch wesentlich kompliziertere abgelöst. Mystische und religiöse Motive wie mit Tieren kämpfende Helden oder Götterkämpfe bestimmten das Aussehen der Siegel.
Die minoisch-mykenische Zeit des 3. und 2. Jahrtausends verwendete hingegen die Natur als Quelle der Motive: Pflanzen, Tiere, Insekten und Fische wurden verstärkt dargestellt.
Die Ägypter entwickelten die Siegel weiter in Form eines Skarabäus (ca. 3200-200 v.Chr.). Dieser symbolisiert den Sonnengott und die Ewigkeit.

Auf der flachen Unterseite wurden Hieroglyphen eingraviert (siehe Seite 14). Als Materialien bevorzugten sie Karneol, Bergkristall und Amethyst.
In der klassischen Periode (500 v.Chr. - 400 n.Chr.) perfektionierten die Griechen und Römer die Kunst der Glyptik. Die Form des Skarabäus wurde nach und nach durch den sogenannten Skaraboid ersetzt, 4ein ovaler Stein, oben glatt und an der Unterseite geschnitten, vorallem aus blauem Chalcedon und zuerst als Anhänger am Hals getragen.
Durch die Expandierung des griechischen Reiches in Richtung Osten durch Alexander dem Großen (356-323 v.Chr.) fanden viele neue und bis dahin unbekannte Edelsteine ihren Weg nach Griechenland und Rom. Sardonyx wurde zum beliebtesten Material, die meist
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mehrfachen Schichten wurden nun nicht mehr vertieft sondern erhaben geschnitten. Doch auch alle anderen bekannten Steine außer Diamanten wurden verarbeitet.

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Ptolemäer-Kamee (Ptolemaios II und Arsion II von Ägypten, Mitte 3. Jahrhundert v. Chr.), die erste bekannte Kamee überhaupt.

 

 

 

 

 


Ägypten wurde im 3. Jhdt. v.Chr. zum Geburtsland der ersten Kameen. Aus dieser Zeit stammt die berühmte "Ptolemäer-Kamee", aus einem elfschichtigen indischen Sardonyx geschnitten, ein Porträt des ägyptischen Königs Ptolemaios des II. Philadelphos und seiner Schwestergemahlin Arsinoe II.
Viele Prunkameen wurden in dieser Zeit geschaffen, wie die "Gemma Claudia", der "Löwenkameo" oder die "Gemma Augustea" (alle im Besitz des Kunsthistorischen Museums in Wien).
Während der hellenistischen Periode (zwischen dem Tod Alexander des Großen 323 v.Chr. und der Eroberung Griechenlands durch Rom 146-39 v.Chr.) setzte sich die Verwendung des Skaraboids als Ringstein und damit der auch heute noch verwendete Siegelring durch.
Die Römer waren nicht nur begnadete Steinschneider sondern auch eifrige Sammler. Julius Cäsar widmete sechs Vitrinen mit Edelsteinen im Tempel der Venus Genetrix und Marcellus - man könnte sagen, dass er damit das erste öffentliche Museum schuf.


Mit dem

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Gemma Augustea: Prunkkamee aus zweilagigem Sardonyx, Foto: Prof. Rössler
Nähere Beschreibung (Uni Münster)

Niedergang des römischen Reiches ging auch die erste große Zeit der Glyptik zu Ende und geriet fast vollkommen in Vergessenheit.
Erst im 14. Jhdt. kam es zu einer Renaissance der Steinschneidekunst. Vorallem in Italien wurden wieder Siegel mit heraldischen und christlichen Motiven im gotischen Stil erzeugt. Im 15. Jhdt. wurde auch wieder auf klassische antike Motive zurückgegriffen. Auch Kameen wurden ab dieser Zeit wieder verstärkt erzeugt.
Im 15. und 16. Jhdt. förderten Adelige wie die Medici und Päpste (allen voran Papst Paul II. 1417-1471) die Kunst der Glyptik, zunehmend wurden auch edlere Steine wie Rubine und Smaragde verarbeitet.
Als im 16. und 17. Jhdt. in Idar-Oberstein große Mengen an Achaten gefördert wurden, entstand daraus das berühmte und weltweit wohl einzigartige Steinschneidezentrum.
Im 18. Jhdt. kam es erneut zu einer Wiederbelebung von klassischen Motiven, welche nun in großen Mengen kopiert wurden. Napoleon Bonaparte konnte im Zuge seiner vielen Eroberungen eine große Sammlung antiker Stücke aufbauen. Aber aufgrund der zu dieser Zeit enormen Nachfrage kam es auch zu entsprechenden Fälschungen.
Dies gipfelte in den (Kriminal-)Fall Prinz Poniatowski: dieser hatte von seinem Onkel, dem letzten König Polens, eine ansehnliche Sammlung von 154 gravierten Edelsteinen geerbt, welche er auf ungefähr 3000 Stück ausbaute. Nach seinem Tod im Jahre 1839 wurden diese bei Sotheby?s versteigert. Doch schon kurz danach entstand das Gerücht, dass diese nicht antik sondern von italienischen Künstlern nachgemacht worden sein sollen. Dieses Gerücht bestätigte sich letztendlich und führte so den Sammlern deren Unfähigkeit, antik von neu zu unterscheiden, vor Auge. Diese Geschichte führte zum Zusammenbruch der kollektiven Sammlerleidenschaft für Kameen, welche seitdem auch nie wieder zu einen solchen Höhepunkt gelangen sollte.
Im 19.Jhdt. wurden Kameen verstärkt im Schmuck verarbeitet.
Die großen Achatvorkommen in Brasilien wurden entdeckt und konnten so die zu Neige gehenden Vorräte in Idar-Oberstein ersetzen. Die Kunst der Achatfärberei vergrößerte noch die zur Verfügung stehenden Mengen an Rohmaterial. Schnecken wurden als neues Material eingeführt und vor allem in Torre del Greco/Italien verarbeitet. Queen Victoria von England sorgte durch ihren Faible für dieses Material für große Verbreitung, sodass letztendlich auch die Massenproduktion mit der entsprechend geringeren Qualität Einzug hielt.
In den 40er- und 50er-Jahren des 19. Jhdt. gingen etliche Idar-Obersteiner Steinschneider zur Ausbildung nach Paris und kehrten 1870/71 aufgrund des deutsch-französischen Krieges wieder zurück und bildeten damit die Basis für das heute in der ganzen Welt führende Steinschneidezentrum Idar-Oberstein.
Im 20. Jhdt. wurde die Gravierung mittels Ultraschall erfunden. Kameen und Intaglien können mittels dieser Technik in großen Mengen in kurzer Zeit perfekt reproduziert werden.

Quellen bzw. weiterführende Literatur:
Gray Fred L.: Engraved Gems: A historical Perspective, Gems & Gemmology Winter 1983
King C.W.: Handbook of engraved Gems, London 1866
Miller Anna M.: Cameos Old & New, 2nd. Edition 1998
Leopold Georg: Gemmen und Kameen des Altertums und der Neuzeit, Stuttgart
Pauly Erwin: Die Edelstein-Gravierungen im Wandel der Zeit, Birkenfeld 1993
Prof. Dr. Hermann Bank: Die Geschichte der Steinschneidekunst und ihre Produkte im Wandel der Zeit, Informationsschrift
Schmucklexikon Online: www.beyars.com