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Weltharmonik und Unfrieden

Johannes Keplers schweres Leben in Linz, das er vor 375 Jahren verließ / Von Christian Pinter

Jene Geschehnisse, die Franz Grillparzer später "Bruderzwist in Habsburg" nennt, treffen den Hofastronomen Johannes Kepler schwer. Unter dem exzentrischen Kaiser Rudolf II. hatte er seit 1601 seinen Forschungen in Prag ungestört nachgehen können. Doch jetzt greift Rudolfs Bruder Matthias nach der Macht, unterstützt von den böhmischen Ständen.

Ihre Soldaten stehen den Truppen von Erzherzog Leopold, Bischof von Passau, gegenüber; er eilt seinem Cousin Rudolf zu Hilfe. Die Front verläuft durch Prag. Die Kämpfenden schleppen Seuchen ein. Matthias zwingt Rudolf 1611 zum Abdanken, setzt sich auf dessen Thron. Keplers Frau Barbara, zunächst am "ungarischen Fleckfieber" erkrankt, stirbt im Juli - kurz nach seinem Lieblingssohn Friedrich.

Kepler fürchtet das Ende jener Freiheiten, die Rudolf Andersgläubigen gewährt hat. Der Protestant will weg aus der Moldaustadt. Schon zwischen 1594 und 1600, als er im Auftrag der Stände in Graz wirkte, hatte er Kontakte mit oberösterreichischen Adeligen geknüpft. Sie bieten dem Schwaben jetzt eine Stellung als Landschaftsmathematiker in Linz. Matthias stimmt zu. Er bestätigt Kepler zudem als Hofastronom. Der 40-Jährige lässt sich im Mai 1612 an der Donau nieder. Seine Kinder folgen nach.

Vermutlich wohnt der Witwer zunächst im Jörgerschen Haus (heute Hofgasse Nr. 23). Der Bau grenzt an die Mauer des Linzer Schlosses und ist ab 1613 Amtssitz des Landschreibers. Später wird er mit den Lebenswegen Rilkes und Bruckners verwoben sein. Schließlich übersiedelt Kepler aber in die Rathausgasse Nr. 5. Auch von dort sind es nur wenige Minuten zu seinem Arbeitsplatz, dem Ständehaus (heute Landhaus).

Unterricht im Ständehaus

Wie die Bauern hat auch der Adel des Landes ob der Enns längst den Glauben Luthers angenommen. In den Kirchen predigen Protestanten. Im 1. Stock des Ständehauses ist die Landschaftsschule eingerichtet. Hier gibt Kepler interessierten adligen Söhnen Unterricht in Mathematik, Philosophie und Geschichte. Vielleicht steht er so vor ihnen, wie ihn die Statue im Pavillon des Linzer Schlossparks zeigt - in langem Mantel, ein offenes Buch in der Rechten und mit einer Geste, als wolle er dem Zuhörer den Bauplan des ganzen Universums zu Füßen legen.

Die Stände möchten aus militärischen Erwägungen eine genaue Karte des Landes zeichnen lassen. Sie soll alle Flüsse, Berge und Dörfer zeigen. Die beschwerlichen Vermessungsarbeiten unternimmt Johannes ohne Enthusiasmus. Bald befreit man ihn davon. Landschaftsingenieur Holzwurm stellt die Karte fertig. Ein kolorierter Nachstich wird später im Schlossmuseum zu bewundern sein. Mit ebenso eingeschränktem Interesse macht sich Johannes an die Herausgabe der beliebten Jahreskalender, die astrologische Vorhersagen über Wetter, Ernte, Seuchen und Krieg beinhalten. Mit geglückten Vorhersagen hat er seinerzeit schon die Grazer beeindruckt. Er selbst hält wenig von solch simplen Tagesprognostiken. Die Herstellung der Kalender erscheint ihm "nur weniger ehrenhaft als betteln".

Doch Keplers Ehre wird von anderer Seite bedroht. Kaum hat er in Linz Fuß gefasst, setzt ihm ausgerechnet ein Studienkollege und Glaubensbruder zu - der protestantische Stadtpfarrer Daniel Hitzler. Schon während des Theologiestudiums in Tübingen weigerte sich Johannes, die Calvinisten zu verurteilen. Das rollt Hitzler neu auf. Es geht um die Frage, ob bei der Kommunion, wie Luther lehrte, der Leib Christi anwesend wäre, oder, wie die Calvinisten glauben, nur dessen Geist. Kepler hält es hier mit Calvin. Das reicht Hitzler, ihn vom Abendmahl im Ständehaus auszuschließen. Die Stuttgarter Kirchenbehörde bestätigt die lebenslange Exkommunikation. Johannes läuft Gefahr, auch gesellschaftlich geächtet zu werden. Beim Ständetag kommt es zur Kampfabstimmung um den Landschaftsmathematiker. Sie geht für Kepler aus.

Wie schon in Graz, macht sich der Gelehrte auch in Linz auf Brautschau. Nach langem Zögern wählt er unter elf Kandidatinnen die 23-jährige Susanne Reuttinger zur Frau. Die Tischlerstochter hat früh ihre Eltern verloren und ist im Waisenhaus der Starhemberger in Eferding aufgezogen worden. Sie wirkt bescheiden, sparsam, fleißig und gewillt, den beiden Kindern aus Keplers erster Ehe eine gute Mutter zu sein. Der evangelische Stadtpfarrer von Eferding traut das Paar am 30. Oktober 1613. Baron Starhemberg lässt im Gasthof zum Goldenen Löwen (heute Nr. 37, am Eck des Stadtplatzes) auftischen. Susanne Kepler wird sieben Kinder zu Welt bringen, alle zwei Jahre eines. Man tauft sie vorzugsweise im Steinernen Saal des Linzer Ständehauses.

Bis 1615 lässt Linz in Wien oder Nürnberg drucken. Dann trifft der deutsche Protestant Hans Planck ein. Er bietet den Ständen beste Konditionen. Auch Kepler gibt seine Werke sofort bei ihm in Druck. Beim Kauf von Wein hat Johannes beobachtet, wie der Händler den Inhalt des Fasses rasch in Eimer umrechnet: mit Hilfe eines durchs Spundloch gesteckten Stabs. Angesichts der krummen Fasswände scheint ihm das allzu ungenau. Er überlegt präzisere Verfahren der Volumenberechnung, verfasst ein lateinisches Buch zur allgemeinen Raummesskunst. Ein Jahr später gibt er sogar eine deutsche Version für Beamte, Baumeister, Händler und Wirte heraus.

Für Schüler publiziert er ab 1618 einen Grundriss der kopernikanischen Astronomie. Dieser wird prompt vom Vatikan verboten. Die Lehre von einer Erde, die um ihre Achse rotiert und dabei um die Sonne kreist, läuft nach Meinung Roms der Bibel zuwider. Auch Luther hatte Nikolaus Kopernikus scharf angegriffen. Selbst jetzt, 75 Jahre nach dem Tod des großen Astronomen, können sich die meisten Gelehrten nicht mit seiner Kosmologie anfreunden. Dabei ist sie mittlerweile durch zwei Planetengesetze Keplers entscheidend verbessert worden: noch in Prag hatte er die falschen Kreisbahnen gestrichen. Nun ziehen die Planeten auf Ellipsen dahin; in Sonnennähe bewegen sie sich dabei rascher als in Sonnenferne.

Keplers Mutter im Kerker

Keplers Mutter ist in Lebensgefahr. Seit August 1615 ermittelt man gegen die angebliche "Hexe". Zunächst flieht sie vom schwäbischen Leonberg zu ihrem Sohn nach Linz. Dann sucht sie Schutz bei ihrer Tochter in Heumaden bei Stuttgart. Häscher zerren die 72-Jährige aus dem Haus. Sie landet im Kerker. Verbissen kämpft Johannes um Einsicht in die Akten, bemüht sich, die Anschuldigungen zu entkräften. Sein Ringen mit dem Hexenwahn dauert sechs Jahre. Er legt sein ganzes Ansehen als Hofastronom in die Waagschale. Mit Erfolg. Doch sechs Monate nach der Entlassung stirbt die alte Frau.

Jene Harmonie, die Kepler auf Erden schmerzlich vermisst, sucht er im Kosmos. In dessen Aufbau glaubt er Gottes Handschrift zu erkennen. Bei der Betrachtung des Alls könne er den Schöpfer "geradezu mit Händen greifen", erzählt er. Schon in Prag hat er Versuche mit einem einfachen Musikinstrument angestellt. Ein beweglicher Steg teilt dabei eine schwingende Saite; Kepler lauscht den Tönen und ermittelt dann das Längenverhältnis der beiden Saitenteile. Später sieht er sich die unterschiedlichen Bahngeschwindigkeiten jedes einzelnen Planeten in Sonnennähe und in Sonnenferne an. Er meint, hier die gleichen Proportionen wieder zu finden, die er etwa beim Halbton, der kleinen und der großen Terz oder der Quint gemessen hat.

Deshalb also, schließt er, ließe Gott die Planeten ausgerechnet auf Ellipsen um die Sonne ziehen - damit himmlische Harmonien erklängen! Erst 1687 wird Isaac Newton mit seinem Gravitationsgesetz die naturwissenschaftliche Begründung für die Bewegungen der Himmelskörper liefern. Johannes gibt die fünf Bücher der Weltharmonik heraus, die sich mit Geometrie, Arithmetik, Musik, Astrologie und Astronomie befassen. Im Mai 1618, während der letzte Band gerade bei Planck in Druck ist, findet er sein drittes Gesetz - die Beziehung zwischen den mittleren Entfernungen der Planeten und ihren unterschiedlichen Umlaufzeiten. Wenige Tage nach diesem Triumph beginnt der Dreißigjährige Krieg.

Noch ein Werk gilt es zu verfassen: 1601 gab Rudolf II. die Herstellung neuer Tafeln in Auftrag, aus denen Astrologen, Astronomen, Kalendermacher und Seefahrer zukünftige Planetenstellungen ermitteln können. Die bestehenden Werke weisen irritierende Fehler auf. Doch die Arbeiten an den Rudolfinischen Tafeln sind äußerst langwierig. Auch das Geld zum Druck fehlt. Schon Rudolf ist seinem Hofastronomen die versprochenen 4.000 Gulden schuldig geblieben. Matthias hat seinen Lohn gekürzt. Bei solchen Kammeranweisungen, klagt Johannes, könne man verhungern.

Kepler ahnt nichts Gutes. 1619 ist Ferdinand II. Kaiser geworden. Bereits als Erzherzog hatte er ihn und alle anderen Protestanten aus Graz verjagen lassen. Um die böhmischen Anhänger Luthers niederzuringen, verbündet sich Ferdinand jetzt mit Herzog Maximilian von Bayern. Der erhält dafür Oberösterreich zum Pfand. Mit Tausenden bayerischen Soldaten strömen ab 1620 Steuerbeamte, katholische Pfarrer und Jesuiten ins Land. Die Gegenreformation ist damit nicht mehr aufzuhalten, die Macht der Stände gebrochen.

Wie seinerzeit in Graz vertreibt man nun auch in Linz Prediger und Lehrer. Die Pfarreien werden wieder mit katholischen Geistlichen besetzt. Die Schule im Landhaus erhält ebenfalls eine neue Leitung. Als kaiserlicher Astronom ist Johannes noch vor Ausweisung sicher. Die Exkommunikation durch Hitzler rückt ihn außerdem in scheinbare Distanz zu den Protestanten. Doch auch seine Lage wird immer prekärer. Es sei schon ein großer Trost, nicht verbrannt zu werden, hält er verbittert fest.

Kepler stellt sich mit einem seiner vielen Horoskope beim Statthalter Adam Graf Herberstorff ein, der ein strenges Regiment führt. Calvinisten und Protestanten, darunter Baron Starhemberg und Pastor Hitzler, werden eingesperrt. Johannes interveniert für beide, erreicht ihre Enthaftung. Auch Drucker Planck entgeht dank seiner Fürsprache der Verfolgung. Wieder bittet Kepler den Kaiser um die Mittel für den Druck der Tafeln. Ferdinand delegiert die Auszahlung an einzelne Reichsstädte; diese zögern oder haben selbst nichts mehr. Mühsam jagt Johannes dem Geld hinterher. Seine Bibliothek wird versiegelt. Unter den vielen Büchern könnten ja auch ketzerische Werke sein, behaupten Jesuiten. So kann der Astronom nicht weiterarbeiten. Aus Wien bittet Jesuitenpater Guldin, mit Kepler freundschaftlich verbunden, einige Bücher ausleihen zu dürfen. Das bringt Guldins Linzer Glaubensbrüder in Verlegenheit; Johannes erhält wieder Zutritt zu seinem Bücherschatz.

Resignation nach 14 Jahren

Endlich beginnt der Druck des Tafelwerks bei Planck. Doch in Reaktion auf die despotischen Maßnahmen der neuen Herren erheben sich im Mai 1626 die Bauern. Unter der Führung von Stefan Fadinger erobern sie mit Schwert, Holzkeule, Kriegsflegel und Morgenstern Aschach, Eferding, Peuerbach, Lambach, Gmunden, Steyr und Wels. Zwei Monate lang belagern sie Linz. Innerhalb der Stadt macht sich Hunger breit. Man isst Pferde. Brände toben. Kepler wohnt jetzt offenbar im Landhaus, direkt an der Stadtmauer. Soldaten quartieren sich bei ihm ein.

Aus den Fenstern dieses Gebäudes fällt am 28. Juni 1626 der entscheidende Schuss: Fadinger wird tödlich verwundet. Schiffe legen an; ein kaiserliches Entsatzheer drängt die Aufständischen zurück. Plancks Druckerei ist mittlerweile abgebrannt, mitsamt den bereits fertig gestellten Bögen der Rudolfinischen Tafeln. Kepler resigniert. Nach 14 Jahren gibt er Linz auf. Am 20. November 1626 besteigt er mit seiner Frau und den drei noch am Leben gebliebenen Kindern ein Donauschiff. Es geht stromaufwärts. In Regensburg stoppt Eistreiben die Fahrt. Die Eheleute ahnen es nicht: diese Stadt wird einst ihre letzte Ruhestätte sein. Zehn Jahre bleiben Susanne, kaum vier Johannes. Der Heimatlose reist zunächst allein weiter. In Ulm vollendet er den kaiserlichen Auftrag - nach einem Vierteljahrhundert. Tausend Exemplare der Tafeln werden 1627 hier gedruckt. Sie fußen auf den drei Kepler'schen Planetengesetzen. Ihre Präzision überzeugt; das Vertrauen in die Richtigkeit der kopernikanischen Lehre wächst.

Freitag, 02. November 2001

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