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Bestellte Überraschung

US-Heimatschutzminister Tom Ridge sollte rechtzeitig vor Bushs Wiederwahl Terrorwarnungen verkünden

Dietmar Ostermann

Die "Oktober-Überraschung" ist eine feste Größe in der amerikanischen Politik, seit der gewiefte Taktiker Richard Nixon zwölf Tage vor der US-Präsidentschaftswahl 1972 den greifbaren Frieden in Vietnam verkünden ließ. "Tricky Dick" Nixon gewann die Wahl. Der Krieg allerdings ging noch drei Jahre weiter.

Über eine Oktober-Überraschung dachte man auch vor fünf Jahren im Weißen Haus nach, damals war George W. Bush Präsident. Das hat jetzt dessen früherer Heimatschutzminister Tom Ridge in seinem neuen Buch "The Test of Our Times" - Die Herausforderung unserer Zeit - erzählt. Nachdem El-Kaida-Führer Osama bin Laden im Oktober 2004 kurz vor der US-Wahl eines seiner notorischen Tod-für-Amerika-Videos veröffentlicht hatte, sei er gedrängt worden, die Terrorwarnstufe anzuheben, schreibt Ridge. Einer der Fürsprecher hieß Donald Rumsfeld.

Der damalige Verteidigungsminister mag sich an seinen alten Boss Nixon erinnert haben. 1972 war Rumsfeld ein junger Beamter im Weißen Haus. Tom Ridge aber sträubte sich: Außer dem Video gab es keine Hinweise auf eine zugespitzte Gefahrenlage. In seinen Memoiren fragt sich Amerikas oberster Heimatschützer a.D. nun, ob es den Kollegen damals um die Sicherheit des Landes ging oder doch eher um die Wiederwahl des Präsidenten. Bush gewann eine zweite Amtszeit auch ohne neuen Terroralarm.

Vielleicht hätte er die Wahl verloren, hätte Tom Ridge sich schon damals offenbart. Der Vorgang zeigt, zu welch genehmen Zeitpunkten - nicht nur in den USA - vor möglichen Terroranschlägen gewarnt wird. Natürlich mag sich niemand eine Regierung wünschen, die aus politischem Kalkül Terrorängste schürt. Irgendwie aber sehnt sich ein dunkles Zipfelchen der deutschen Seele in diesem komatösen Bundestagswahlkampf nach einer Art vorgezogener Oktober-Überraschung. Nichts Schlimmes, bitte. Aber etwas, das aufrüttelt und wach macht. Vielleicht könnte Frank-Walter Steinmeier ja zwölf Tage vor der Bundestagswahl den baldigen Frieden in Afghanistan verkünden.

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Foto: Tom Ridge, Bushs emsiger Helfer