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Werner Tübke - Mitbegründer der Leipziger Schule

Gegenwart, nichts als erinnerte Vergangenheit

Mit Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer gehörte er zu den Begründern der Leipziger Malschule. Einen "großen Unzeitgemäßen" nannte ihn der Kritiker Eduard Beaucamp ob seines altmeisterlichen Malstils. Wenige Wochen vor seinem 75. Geburtstag starb der Maler Werner Tübke am 27. Mai 2004 in Leipzig.

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Werner Tübke (1929-2004)

"Wissen Sie", meinte Werner Tübke mal, "wenn ich durch ein Museum gehe und mir die Arbeiten eines anderen Künstlers ansehe, denke ich, den müsstest du mal besuchen, und dann stelle ich fest, der lebt ja gar nicht mehr!" Für ihn schien es keine unüberbrückbare Zeitspanne zwischen den Künstlern der Frührenaissance und der heutigen Zeit zu geben. Entsprechend "bediente" er sich bei den altdeutschen und italienischen Meistern, um einen auf seine Art realistischen Bildkosmos zu schaffen.

"Der Künstler beginnt, den Weg des Realismus zu verlassen"


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"Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze" in der Nationalgalerie Berlin. Tübke thematisiert den Typus des Nazirichters, der in der Bundesrepublik in Amt und Würden blieb.

Gegenwart war für den Künstler erinnerte Vergangenheit. Den gesellschaftlichen Umbruch 1989 empfand er nicht als Bruch oder Einschnitt. Doch er musste sich mit Vorwürfen auseinander setzen, ein Auftragsmaler gewesen zu sein, der sich vom Zyklus "Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" (1960/1961) über "Arbeiterklasse und Intelligenz" (1973) bis zum monumentalen Bauernkriegspanorama, in die Programmatik der DDR-Obrigkeit einfügte. Doch war seine Malerei von Anfang nicht unumstritten. Im "Neuen Deutschland" fürchtete Alfred Kurella 1967 aufgrund der "Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze" - Tübkes eigentlich politisch korrektes Hauptwerk zu dieser Zeit - der Künstler beginne, den Weg des Realismus zu verlassen - formal gesehen. Zu der von 1965 bis 1967 entstandenen Folge gehören zwölf Ölbilder, 37 Zeichnungen und Aquarelle. Sein opus magnum sollte erst noch folgen.

Besucher besichtigen das Monumentalgemälde "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" von Werner Tübke (1929-2004) im Panorama-Museum in Bad Frankenhausen.; Rechte: dpa
Besucher besichtigen das Monumentalgemälde "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" von Werner Tübke (1929-2004) im Panorama-Museum in Bad Frankenhausen.

Das Panorama - Großes Welttheater und eine Viecherei

1976 ließ sich Werner Tübke vom Kulturministerium zu einem der größten Kunstprojekte des Jahrhunderts verpflichten. Zu Ehren von Thomas Müntzer und in Erinnerung an den Bauernaufstand sollte ein monumentales Rundgemälde für die zu errichtende Gedenkstätte auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen entstehen. Dort war Müntzers letzter "Haufen" von einem Adels- und Landsknechtsheer vernichtend geschlagen worden, und dort wollte der Arbeiter- und Bauernstaat an das erfüllte Vermächtnis der Aufständischen erinnern.

Elf Jahre sollten die Arbeiten an dem Werk durch den Meister und viele Helfer dauern, 1987 war das Panoramagemälde mit mehr als 3000 Figuren fertig und der Maler mit seinen Kräften am Ende. Der eigentlichen Arbeit waren sieben Jahre der Studien sowie Modellzeichnungen vorausgegangen. Dann stand der Maler täglich zehn Stunden auf den Gerüsten, eine "Viecherei". Er schuf kein Schlachtgemälde, sondern einen historisch-philosophischen Bildkosmos für eine ganze Epoche und setzte so seine Vorstellungen gegen den Auftraggeber durch. Sich selbst verewigte er im Bild als Harlekin.

Der Kritiker Eduard Beaucamp interpretierte das Werk mit dem Titel "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" als großes "Welttheater". Das 14 x 123 Meter große Rundbild ohne Anfang und Ende transzendiere die historische Wirklichkeit des Bauernkrieges "in die Zeitlosigkeit der apokalyptischen Entstehung der Welt oder deren Untergang". Über die DDR-spezifischen Lebenserfahrungen des Künstlers hinaus werde das Werk so zum Spiegel einer von Utopien enttäuschten Übergangszeit.

"Ich zähle mich nicht zur DDR-Kunst."

Am 14. September 1989 wurde das Panorama Museum eingeweiht, zur Wende kamen Stimmen auf, die die Schließung forderten und Tübke als Staatskünstler schalten, der von Aufträgen gut gelebt habe. Tübke entgegnete, unabhängig gelieben zu sein, gerade bei der Arbeit am Panorama-Gemälde.

Nach der Wende arbeitete Tübke an zwei großen Aufträgen; einem Bühnenbild für del Monacos Neuinszenierung von Webers "Der Freischütz" in Bonn(1990-1993) und an einem Flügelalar für die St. Salvatoris-Kirche in Clausthal-Zellerfeld (1993-1996). Außerdem entstanden viele eigenständige, meist kleinformatige Gemälde mit typischem Personal, Narren und Harlekine sowie Porträts. Auf die Frage, ob er sich beschwert habe, dass auch seine Bilder in der umstrittenen DDR-Kunst-Schau in Weimar 1999 auftauchten, konterte er in seiner bekannt trockenen Art: "Nein, ich registriere so etwas eigentlich nicht ... Ich zähle mich nicht zur DDR-Kunst."

Werner Tübke - Selbstporträt; Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Werner Tübke - Selbstporträt

Zur Biografie: Handwerk und Kunst

Werner Tübke wurde am 30. Juli 1929 in Schönebeck (Elbe) geboren. Dort machte er zunächst eine Malerlehre und besuchte die Meisterschule für das deutsche Handwerk in Magdeburg. Er holte 1947 das Abitur nach, studierte dann bei Ernst Hassebrauk und Elisabeth Voigt an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB). 1950 sattelte er auf Kunstgeschichte und Psychologie um, das Studium an der Uni Greifswald schloss er zwei Jahre später ab.

Rechte: Panorama Museum Bad Frankenhausen
Der tote Harlekin, 1978 (Bild: Bundesrepublik Deutschland; Dauerleihgabe an die Stiftung Moritzburg Halle)

8 Uhr in der Leipziger Schule

Von 1955 bis 1957 wurde er Assistent an der HGB. Dorthin kehrte er nach einer längeren Periode als freischaffender Künstler 1963 zurück. 1972 zum Professor ernannt, trat er im März 1973 und bis 1976 die Nachfolge von Albert Kapr als Rektor der HGB an. Lehrer dort sei er sehr gern gewesen, sagte er rückblickend. Ein strenger allerdings: "Es war sehr schön. Der Unterricht begann um 8 Uhr. Im ersten halben Jahr kamen die Studenten dann so 8.30 Uhr - und durften wieder gehen." Gemeinsam mit Wolfgang Mattheuer und Bernhard Heisig gilt Tübke als Begründer der Leipziger Schule, deren besonderer, realistischer Malstil hohen künstlerisch-handwerklichen Anspruch und gesellschaftliche Analyse zu verbinden sucht.

Reisen zu den "Wahlverwandten"

Die elf Jahre währende und körperlich zehrende Arbeit am Bauernkriegs-Panorama hatte Tübke "seiner Gegenwart und Umwelt fast entfremdet". Um wieder an Licht und Luft zu kommen, begab er sich immer wieder auf Reisen in den Süden. "Den ganzen mediterranen Raum", besonders Bella Italia betrachtet er als seine "wahre künstlerische Heimat", die großen Renaissance-Maler als seine "Wahlverwandten". 1971 war er das erste Mal nach Italien gereist, der Mailänder Kunsthändler Emilio Bertonati hatte die Wanderausstellung organisiert, die Tübke international bekannt machte.

"Der Mensch – das Maß aller Dinge" (1974–1975) heißt ein "unvollendetes" Bild des Künstlers: Ein Fenster des Polyptychons blieb frei – in bester Tradition des humanistischen Freidenkertums soll der Betrachter die "Leerstelle" füllen. Nicht ein Gott oder verschiedene "Götter", die Entdeckung der "heidnischen" Welt und eines selbstbewussten Menschen darin – für Werner Tübke waren das immer wiederkehrende Motive.

Zuletzt aktualisiert: 14. Juni 2004, 11:24 Uhr

 

Weitere Inhalte:

Wie war das, fühlten Sie sich als Künstler früher mehr beachtet?

"Ich kann das so nicht beantworten, weil ich das nie richtig registriere. Die
50er und 60er waren ganz schwierig für die Kultur. Doch dann brauchte die DDR Valuta. Da ich Valuta produzierte, hieß es: Sie müssen mal wieder nach Frankreich oder Italien, malen. Ich bekam 15 Prozent des Bildererlöses, der Staat 85. Auf diese Art hatte ich aber Gelegenheit, Europa kennenzulernen,
jung genug."

(LVZ, 1999)

Meinen Sie, dass es eine DDR-Kunst gab? Wenn ja, gehört Ihr Werk dazu?

"Der Begriff DDR-Kunst ist bei mir negativ besetzt. Ich verstehe darunter etwas nicht zu Definierendes: nicht ganz modern, nicht ganz altmodisch, ein
bisschen plakativ, ein bisschen optimistisch, sehr vereinfacht gemalt, aber nicht expressiv, und ohne Substanz. Die Anfangsjahre waren dabei am schlimmsten. Und: Ich zähle mich nicht zur DDR-Kunst. Wenn man an die denkt, denkt man bestimmt nicht an meine Bilder."

(LVZ, 1999)

Leipziger Schule

"... hier gab es das Primat des Zeichnerischen, die so genannte Leipziger
Schule, also nicht Berliner Vereinfachung, nicht Dresdner Halbexpressives.
Das begrenzte sich aber auf einen relativ kleinen Kreis."

(LVZ, 1999)

 
 
 
 
 
 
 

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