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Bündnis fordert 500 Euro Grundsicherung für jedes Kind

Sozialverbände wollen einen Umbau der Familienförderung erreichen. Politiker halten Kosten für zu hoch

Katja Tichomirowa

BERLIN. Fast zweieinhalb Millionen Kinder in Deutschland sind arm, sie haben nur einen eingeschränkten Zugang zu Bildung und können am Leben ihrer Altersgenossen nicht teilhaben. Das zu ändern und für mehr Chancengleichheit zu sorgen, hat sich das "Bündnis Kindersicherung" auf die Fahnen geschrieben. Was die Allianz aus Experten und Sozialverbänden am Dienstag forderte, ist nichts Geringeres als eine Revolution in der Familienpolitik: Fünfhundert Euro Grundsicherung pro Monat für jedes Kind sollte der Staat zahlen. Finanziert werden soll diese Grundsicherung durch eine Umverteilung aus bereits vorhandenen Einnahmen.

"Schrottreifes System"

Die Dimension des Problems erfordere es, nicht länger nur an einzelnen Schräubchen zu drehen, erklärte Christiane Reckmann, Präsidiumsmitglied der Arbeiterwohlfahrt. Das bisherige Fördersystem sei vielmehr "schrottreif" und gehöre "abgewrackt". Die Kinderarmut lasse sich weder durch eine geringfügige Anhebung des Kindergelds noch über eine Ausweitung des Kinderzuschlags beseitigen. Die Lösung des Problems erfordere den "politischen Mut", einen Systemwechsel herbeizuführen. Das bestehende sei zu "bürokratisch, intransparent und ungerecht".

So kritisierte das Bündnis, dass der steuerliche Kinderfreibetrag gut verdienende Familien finanziell bevorteile, während Kinder aus Familien, die Hartz IV beziehen, faktisch kein Kindergeld erhielten, weil es auf das Sozialgeld angerechnet werde. Zudem orientierten sich die geltenden Regelsätze nicht an dem wirklichen Bedarf der Kinder, sondern würden willkürlich aus dem Regelsatz für Erwachsene abgeleitet. Auch der Kinderzuschlag sei kein geeignetes Instrument, er sei zu kompliziert gestaltet und unterliege zu starren Einkommensgrenzen, monierte das Bündnis. Schließlich fördere das steuerliche Ehegattensplitting nach wie vor allein den Trauschein und nicht etwa die in den Familien geleistete Betreuung von Kindern.

Die Vielzahl von familienbezogenen Leistungen will das Bündnis deshalb durch eine einzige ersetzen: die Grundsicherung von 500 Euro. Sie setzt sich zusammen aus 320 Euro Existenzsicherung und einem Ausbildungsbedarf von 180 Euro, errechnete der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers. Die Kindergrundsicherung soll bis zum 27. Lebensjahr gewährt werden und der Einkommensteuer unterliegen. Gutverdiener würden also weniger erhalten.

Die Bruttokosten des vorgeschlagenen Systems lägen beim Dreifachen des heutigen Kindergeldes. Wenn aber Leistungen wie Bafög oder Steuerfreibeträge künftig wegfallen würden, müssten nur zehn Prozent, also 10 Milliarden Euro, gegenfinanziert werden.

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und familienpolitische Sprecherin der SPD, Christel Humme, hält den Vorschlag des Bündnisses für "interessant und prüfenswert". Die Ungerechtigkeiten des bestehenden Systems wolle sie nicht in Abrede stellen, "von Freibeträgen profitieren immer vornehmlich höhere Einkommen", sagte Humme der Berliner Zeitung. "Langfristig müssen wir zu einer Änderung des Systems kommen", sagte Humme. "Uns sollte jedes Kind gleich viel wert sein." "Hätten wir zusätzliche Milliarden für die Förderung von Familien und Kindern zur Verfügung, müssten wir sie vor allem in den Ausbau und in die Qualitätssicherung von Kinderbetreuung und Bildung investieren", sagt Humme.

Auch die familienpolitische Sprecherin der Grünen, Ekin Deligöz, kann sich mit der Höhe der vorgeschlagenen Grundsicherung nicht anfreunden. Sie schlägt eine Kinder-Grundsicherung von einheitlich 330 Euro pro Monat vor, die ab einem Jahreseinkommen von 60 000 Euro besteuert werden soll. "Wir wollen die Förderung vornehmlich den Familien zukommen zu lassen, die sie benötigen, denn das wäre ein Instrument, das Kinderarmut vorbeugen würde, sagte Deligöz der Berliner Zeitung. "Wir brauchen zudem beides", erklärte sie: "Eine Existenzsicherung für Kinder und einen Ausbau der Infrastruktur. Deshalb sind 500 Euro zu teuer."

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Familienleistungen

Ein Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen überprüft seit 2006 im Auftrag des Familienministeriums die Effizienz der Familienförderung.

Eine Umstrukturierung von insgesamt 153 Leistungen sollte eine zielgenauere Förderung ermöglichen. Ergebnisse des Zentrums liegen indes bis heute nicht vor.

Das Ministerium reagierte auf die Vorstoß des Bündnisses mit Skepsis. Alle bislang präsentierten Modelle seien "nicht fundiert genug", hieß es.

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Foto: Die Familienförderung soll erst ab 2011 reformiert werden, sagt das Bundesfamilienministerium.