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Enterprise unter der Erde

Ein Verein will die früher geheime Funk-Zentrale bei Wollenberg als Touristenattraktion betreiben

Susanne Rost

WOLLENBERG. Gewaltige Schaltkästen stehen wie Schränke an den Wänden. Einige Lämpchen darin leuchten grün auf. Sie scheinen zu Stromkreisen zu gehören, die auf den "Schränken" abgebildet sind. In der Mitte des Zimmers steht ein riesiges Pult mit diversen Displays, Knöpfen und Reglern, mit Telefonhörern, Gegen- sprechanlagen und einem Mikrofon. Das Interieur wirkt futuristisch und veraltet zugleich - ähnlich der Kommandozentrale des Raumschiffs Enterprise. Doch dieses Zimmer liegt unter der Erde, in einem Berg bei Wollenberg, einem Dorf unweit von Bad Freienwalde.

Es ist einer der zentralen Räume eines früher streng geheimen NVA-Bunkers - einer so genannten Troposphärennachrichtenzentrale, von denen es in der DDR nur drei gab. Von hier aus hätten im Kriegsfall Funksprüche und Fernschreiben abgesetzt und empfangen werden sollen. Das Bauwerk von der Kubatur eines Vier-Familien-Hauses wurde zwischen 1984 und 1987 gebaut und war bis April 1990 in Betrieb. Allein die Technik soll 47 Millionen DDR-Mark gekostet haben.

Führungen ab 1. Mai

Heute gehört der Bunker dem Verein Militärhistorisches Sonderobjekt 301 Wollenberg. Er hat das zehn Hektar große Areal vor eineinhalb Jahren vom Bund gekauft, sagt Nico Schröder, der Vereinsvorsitzende. Vom 1. Mai an soll es nach Voranmeldung Führungen durch das angeblich atombombensichere Gebäude geben.

Der Wollenberger Bunker ist eines von 30 großen unterirdischen "Schutzbauwerken", die von 1973 an auf dem Gebiet des heutigen Landes Brandenburg errichtet worden sind. Die meisten entstanden nordöstlich von Berlin, in der Nähe des Verteidigungsministeriums in Strausberg und der Waldsiedlung Wandlitz, in der die Politbüromitglieder lebten. Mehr als eine Milliarde DDR-Mark kosteten diese geheimen Bauten, errechnete Bunker-Experte Paul Bergner.

Heute haben die meisten Bunker ausgedient, die Bundeswehr hat nach der Wiedervereinigung nur einen kleinen Teil übernommen. Für den Rest hoffen die Oberfinanzdirektion (OFD) und die Brandenburgische Boden Gesellschaft (BBG) Käufer zu finden. Die OFD hat nach Angaben ihrer Sprecherin immer noch drei Dutzend Liegenschaften mit 135 Einzelbunkern im Angebot, die BBG bietet knapp ein Dutzend Bunker feil. Einige Anlagen seien an Naturschutzverbände verkauft worden, die daraus Fledermausquartiere machten, sagt Lothar Lankow, der zuständige Mitarbeiter der BBG. Manche Bunker würden heute als Schießanlage oder Lager genutzt. Bei anderen wurden sämtliche Eingänge verschlossen, um Neugierige abzuhalten. "Es ist erstaunlich, mit welcher Energie diese Bunkerspechte vorgehen", sagt Lankow. Dabei sei in den meisten Anlagen gar nichts mehr zu sehen. Zudem sei es gefährlich, dort einzusteigen, da die Luft oft nicht mehr genügend Sauerstoff enthalte.

In fünf Bunkern gibt es schon jetzt regelmäßig Führungen: Den inzwischen denkmalgeschützten NVA-Bunker bei Harnekop beispielsweise besuchen nach Angaben des Betreibers jedes Jahr mehrere tausend Menschen. Besonders häufig kämen Schulklassen, Reservistenverbände und Bundeswehr-Angehörige. Auf eine ähnliche Klientel setzt der Verein, der den Wollenberger Bunker betreibt.

Die Baracken mit Tarnanstrich und der Bunker dort sind wieder möbliert: "99 Prozent aller Gegenstände haben wir in mühevoller Kleinarbeit zusammengesucht", sagt Vereinschef Schröder. Denn als der Verein das zehn Hektar große Areal übernommen hätte, seien alle Gebäude leer gewesen - und der Bunker teilweise verwüstet. Die elf Mitglieder fanden das passende Mobiliar im Internet, bekamen es von Einheimischen und Fremden geschenkt, tauschten es bei anderen Vereinen ein.

Im Kommandeurszimmer gibt es neben Schreibtisch, Schlafcouch und Sprechpult auch eine Minibar aus DDR-Produktion - hinten ein Fach für die Flaschen, vorne eines zum Aufklappen für die Gläser. In der BA-Kammer für Bekleidung und Ausrüstung stapeln sich originale Putzmittel, Schlafsäcke und Uniformteile. Den Aufenthaltsraum schmücken Gemälde, die den Alltag von Soldaten einer Nachrichteneinheit zeigen. Von dem oberirdischen Gebäude führt ein 200 Meter langer Tunnel zum Bunker.

Eines der Telefone im riesigen Schaltpult klingelt. "Dispatcher-Zentrale", meldet sich Vereinsmitglied Peter Hesse. Von diesem Raum im unteren Stockwerk aus wurde früher das Bauwerk "gefahren" - wurde die Versorgung mit Strom und Wasser kontrolliert, wurden Temperatur und Luftzufuhr geregelt, wurde der Zugang kontrolliert. Zwei Wochen hätten die Soldaten hier autark überleben können. Für die Nachrichtentechnik war das obere Stockwerk des Bunkers reserviert. Auch diese Räume haben die Vereinsmitglieder mit technischem Gerät ausstaffiert, das sie aus vergleichbaren Anlagen beschafften - auch sie wirken ein wenig wie aus der Enterprise entliehen.

Anmeldungen für Führungen unter 033454/49865 oder

www.bunker-wollenberg.de

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In fünf Bunkern gibt es schon Führungen // Mehr als 30 größere Bunkeranlagen- Komplexe gibt es in Brandenburg - und unzählige kleinere. In fünf dieser unterirdischen Bauwerke werden Führungen angeboten.

1. Harnekop bei Bad Freienwalde - dreietagiger Bunker für Hauptführungsstelle der NVA. Führungen im Sommerhalbjahr sonnabends, sonntags und feiertags um 10, 12, 14 und 16 Uhr. Eintrittspreis: 10 Euro. Anmeldungen unter 030/96204930 oder 033436/35727.

Mehr Infos: www.bunker-harnekop.de

2. Garzau bei Strausberg - zweietagiger Bunker für Organisations- und Rechenzentrum der NVA. Führungen immer sonntags um 10 Uhr, 12 Uhr, 14 Uhr und 16 Uhr. Eintritt: 10 Euro. Mehr Infos unter 030/4263101 u. 0173/9562963 oder www.bunker-garzau.de

3. Ladeburg bei Bernau - zweietagiger Bunker für Führung der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung auf Gelände des Tierheims. Führungen nur nach Voranmeldung unter 03338/702819 (AB) oder 0162/1812926. Eintritt: fünf Euro.

4. Wünsdorf bei Zossen - dreietagiger Bunker Zeppelin, oberirdische Schutzbunker sowie Bunkerhaussiedlungen Maybach I und II, gebaut für Oberkommandos des Heeres und des Generalstabes der Wehrmacht, später von Sowjetarmee genutzt; Führungen montags bis freitags um 14 Uhr, sonnabends, sonntags, feiertags um 13 und 15 Uhr. Eintritt: sieben Euro. Mehr Infos unter www.buecherstadt.com

5. Falkenhagen bei Seelow - vieretagige Bunkeranlage der Wehrmacht, später von Sowjetarmee ausgebaut; Führungen sonnabends um 13 Uhr - nach Voranmeldung im Seehotel Luisenhof unter 033603/400. Eintritt: sieben Euro.

6. Wollenberg bei Bad Freienwalde, zweietagiger Bunker für Troposphärenfunkstelle, Führungen vom 1. Mai an nach Voranmeldung. Eintritt: 13,50 Euro. Mehr Infos unter 033454/49865 oder www.bunker-wollenberg.de

Der Großteil der brandenburgischen Bunkeranlagen ist nicht zugänglich und ihr Betreten ist verboten, weil gefährlich.

7. Bei Prenden liegt der größte, gesperrte Bunker. Hier sollte die Partei- und Staatsführung der DDR im Kriegsfall Unterschlupf finden. Mehr Infos dazu und zu anderen Bunkern in Paul Bergners Buch "Befehl ,Filigran'" (Preis 9,95 Euro, FB-Verlag) oder unter www.ddr-bunker.de

8. Bei Bernau gibt es mehrere Bunker für insgesamt 220 Personen - 1982 bis 1984 gebaut als Kurier-, Melde- und Verteilerzentrale der Prendener Anlage.

9. Bei Marienwerder - zweistöckiger Nachrichten-Bunker des Nationalen Verteidigungsrates, für zirka 50 Personen, zur Prendener Anlage gehörend. Eingänge jetzt zubetoniert.

10. Bei Altenhof - mehrere, 1982 bis 1984 gebaute, einetagige, für 100 Personen ausgelegte Bunker, als Sendestelle und Ausweichobjekt für Marienwerder, jetzt Fledermausquartier.

11. In der Waldsiedlung Bernau ("Wandlitz") gab es mehrere, dem MfS unterstehende Bunker, unter anderem für die Familienangehörigen der Politbüromitglieder. Kapazität: 240 Personen.

12. Bei Biesenthal - zweistöckige, für 160 Personen ausgelegte und 1988 fertig gestellte Bunkeranlage, gebaut als Führungsstelle des Ministeriums für Staatssicherheit. Eingänge zubetoniert.

13. Bei Dammsmühle - frühere Re-serve-Ausweichführungsstelle des MfS.

14. Bei Freudenberg - drei einetagige Bunker gebaut zwischen 1984 und 1988 als Führungskomplex des Ministerium des Inneren, für 330 Personen.

15. Bei Groß Köris - mehrere einetagige Bunker, gebaut als rückwärtige Führungsstelle der NVA.

16. Bei Hennickendorf - erster Großbunker der DDR, zwischen 1966 und 1970 errichtet, Platz für 350 Personen, gebaut als Ausweichführungsstelle des Ministers für Nationale Verteidigung.

17. In Geltow - früherer Wehrmachtsbunker ("Großer Kurfürst"), von 1962 an modernisiert und durch Bunker ergänzt - erster Führungspunkt des Ministers für Nationale Verteidigung, später für Kommando der Landstreitkräfte. Platz für 400 Leute. Heute Einsatzführungskommando der Bundeswehr.

18. Bei Blankenfelde - zweietagige Bunkeranlage für 150 Personen, Reserve für Kommando der Luftstreitkräfte, 1990 fertig gestellt und zubetoniert.

19. Bei Lobetal - gesprengter und inzwischen zum Fledermaus-Winterquartier umgebauter Bunker des Oberbefehlshaber der Wehrmachts-Marine, Karl Dönitz. Mehr Infos im Buch "Deckname Koralle" von Hans Richter und Wolf-D. Holz (ISBN 3-930588-58-7, Preis 19,90 Euro).

Weitere größere Bunker befinden sich bei Briesen, Treplin, Schönfeld, Hoppegarten, Teupitz sowie bei Potsdam.

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Karte: Durchlöchert: Nordöstlich von Berlin gab es besonders viele Groß-Bunker.

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Foto: (2) Tief im Berg: Die Räumlichkeiten des Bunkers Wollenberg wurden für Führungen wieder zugänglich gemacht.

Gemälde im Clubraum: ein Soldat einer Nachrichteneinheit am Fernschreiber.