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Datum:   26.07.2004
Ressort:   Politik
Autor:   Holger Schmale, Bettina Vestring
Seite:   05

"Wir haben nur einen Schuss frei"

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) über Schulden, Sparen und Regieren

Herr Wulff, darf ein christlicher Politiker das tun: Blindengeld streichen?

Das unmoralischste Verhalten der Politik ist, viel mehr Geld auszugeben als man hat. In Niedersachsen müssen wir sieben Millionen Euro am Tag für Zinsen zahlen. Von diesem Geld könnten wir jeden Tag etwas für Blinde tun, wir könnten täglich eine Schule bauen, einen Tag lang 56 000 Lehrer bezahlen oder zehn Kilometer Landstraße bauen. Das zeigt, welche Entscheidungen wir uns durch die Schuldenpolitik verbaut haben.

Trotzdem: Sind die Einschnitte gerade bei einer so hilfsbedürftigen Gruppe wie den Blinden vertretbar?

Bei den Leistungen für die Blinden stellen wir künftig auf die individuellen Verhältnisse ab. Wer bedürftig ist, bekommt weiterhin Geld. Niemand fällt durch die Maschen des sozialen Netzes. Bei leeren öffentlichen Kassen können wir aber kein Blindengeld mehr ohne Bedürftigkeit zahlen. Ich bin überzeugt, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder folgen die Bürger unserem Konsolidierungskurs. Dann haben wir eine Chance, den Fallschirm zu öffnen, bevor wir aus dem freien Fall heraus unten aufschlagen. Oder Deutschland prallt sehr hart auf, weil die Kräfte gefehlt haben, rechtzeitig den Weg aus dem Schuldenstaat zu finden.

Sind Ihre Sparmaßnahmen in dieser Lage nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Wir haben immerhin die richtige Richtung eingeschlagen. Wir senken jetzt das dritte Jahr in Folge die Neuverschuldung. Wir werden im Jahr 2007 wieder einen verfassungsmäßigen Haushalt haben. Im Jahr 2013 wollen wir ohne neue Schulden auskommen. Damit gehe ich schon an das Äußerste dessen, was ich politisch durchsetzen kann. Ich bewundere den Mut eines jeden, der sagt: noch mehr sparen. So tollkühn bin ich aber nicht.

Haben Sie bei Ihren Rechnungen die Pensionslasten berücksichtigt?

Dadurch wird alles noch viel schlimmer. Daher glaube ich, dass dies der letzte Moment ist, den Fallschirm zu öffnen. Ich möchte nicht in den Zustand Berlins kommen, wo den Betroffenen immer mehr zugemutet werden muss. Berlin kann seine Probleme nur noch durch die Hilfe anderer lösen.

Halten Sie die Verfassungsklage des Berliner Senats für angemessen?

Dass ich eine Klage auf 35 Milliarden Euro für verwegen erachte, wird Sie nicht verwundern.

Was täten Sie als Berliner Finanzsenator?

Ich glaube, ich würde meine Vorgänger auf Schadensersatz verklagen.

Das geht nicht.

Leider. Leider haben wir keine Haftung von Politikern.

Verstehen wir Sie richtig: Die Verfassungsklage als solche billigen Sie, es ist nur der Betrag zu hoch?

Wir brauchen sicherlich eine Regelung für Berlin als Bundeshauptstadt. Aber ich will nicht jedes Land isoliert betrachten, erst Bremen, dann das Saarland, dann Berlin. Wir brauchen eine Vereinbarung, die alle diese Probleme im fairen Ausgleich löst. Ich schlage einen nationalen Entschuldungsplan vor. Darin sollten sich Bund und Länder für mindestens 15 Jahre festlegen, was sie mit ihrer Finanzpolitik machen.

Mit welchem Ziel?

In diesen 15 Jahren sollten alle Beteiligten die Neuverschuldung auf Null reduzieren. Danach müssen wir dann die Schulden zurückführen. Für unser Land ist das überlebenswichtig, denn sonst müssen immer weniger Bürger immer mehr Zinslasten tragen.

Es geht um verbindliche Vorgaben?

Ja, der Rahmen muss verbindlich sein. Über die Sparvorgaben darf die Politik sich dann nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im jeweiligen Parlament hinwegsetzen.

Was sagt die CDU-Führung dazu?

Viele sagen, dass die Argumentation schlüssig und stringent ist.

Eine solche Haushaltskonsolidierung bedeutet, die staatlichen Leistungen stark zu kürzen.

Wir müssen die Staatsquote senken und Prioritäten setzen: Bildung, Sicherheit, Wirtschaftsförderung.

Und wo wollen Sie sparen?

Wir kürzen in allen Bereichen. Aber es bringt nichts, den Leuten mit lauter Ankündigungen ständig Angst zu machen.

Ihre Partei hat gerade ein Papier zur Arbeitsmarktpolitik vorgelegt, das vielen Leuten Angst macht.

Im Gegenteil. Die Vorschläge zur Flexibilisierung des Arbeits- und Tarifrechts machen Mut, weil sie die Chancen, Arbeit zu finden, erhöhen. Es ist doch so, dass das so heilig gesprochene Kündigungsschutzrecht im Kern nur noch der Beschäftigung der Arbeitsgerichte und der Anwälte dient. Wenn es wirklich die Menschen vor der Arbeitslosigkeit bewahren würde, dann hätten wir hier nicht sechs Millionen Arbeitslose. Es ist in Deutschland zweimal schwieriger arbeitslos zu werden als in Amerika. Aber es ist auch 13-mal schwieriger, hier wieder Arbeit zu finden. Damit richtet sich der Kündigungsschutz gegen die, die geschützt werden sollen.

Es stört Sie nicht, ganz und gar auf die Seite der Arbeitgeber zu stehen?

Ich glaube, dass sozial ist, was Arbeit schafft.

Glauben Sie, dass die CDU mit einem solchen Programm die Bundestagswahl gewinnen kann?

Ich kann aus meiner Erfahrung in Niedersachsen nur sagen: Man muss vor der Wahl sagen, was man tun will, auch wenn dabei einige potenzielle Sympathiekiller sind. Wir müssen die Debatte durchstehen, um die Berechtigung zu erwerben, diese Politik dann auch durchzusetzen. Wir haben nur einen Schuss frei. Rot-Grün hat das Land bitter enttäuscht. CDU/CSU und FDP dürfen das nicht tun, sonst drohen uns Wahlenthaltung und Radikalisierung.

Auf der linken Seite des politischen Spektrums gibt es bereits Pläne, eine neue Partei zu gründen.

Ich hoffe aus demokratietheoretischer Sicht, dass die Sozialdemokraten keine Abspaltung erleben, sondern ihre Mitglieder bei den Reformen mitnehmen können. Denn wenn die Parteienlandschaft im Linken aufbröselt, besteht die Gefahr, dass separatistische Tendenzen auch bei der anderen großen Volkspartei um sich greifen.

Was muss die Union, was muss Angela Merkel bis 2006 noch leisten?

Angela Merkel muss am wenigsten leisten. Sie ist der Motor unserer Reformbewegung. Die Partei muss leisten, Angela Merkel zu folgen.

Ist es für Sie so klar, dass Sie mit einer Kanzlerkandidatin Merkel antreten?

Wir sind beim letzten Mal gut damit gefahren, die Entscheidung über den Kandidaten erst im Jahr vor der Bundestagswahl zu fällen.

Wäre Merkel eine gute Kanzlerin?

Angela Merkel bringt alle Fähigkeiten mit, die man für alle politischen Spitzenämter in Deutschland braucht.

Das Gespräch führten Holger Schmale und Bettina Vestring.

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Zur Person // Christian Wulff galt als der ewige Kandidat: 1994 und 1998 trat der "junge Wilde" in Niedersachsen gegen Gerhard Schröder an - und verlor.

2002 gelang dem heute 45-Jährigen der Durchbruch. Im dritten Anlauf wurde die CDU mit 48,3 Prozent der Stimmen stärkste Partei.

Der Rechtsanwalt, der in Hannover in einer Koalition mit der FDP regiert, wurde von seinen Freunden aus der Jungen Union einst mit dem amerikanischen Präsidenten Bill Clinton verglichen. Wulff beschrieb sich selbst als eine charakterliche "Mischung aus Bescheidenheit, Zurückhaltung und Entschlossenheit".

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Foto: Christian Wulff will die letzte Chance nutzen, um den Fallschirm zu öffnen.

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23. Januar 2005
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